© Frank Camuzat / Maison Gillardeau

Gillardeau: Globaler Genuss

Gillardeau ist gleich Geschmack. Immer mehr Spitzenköche schwören auf Austern des Familienunternehmens aus dem Südwesten Frankreichs.

Ein Automat für Austern? Schön designt, ja, aber ein Automat? In den man seine Kreditkarte steckt, die Klappe öffnet und anstatt eines Sandwiches eine Kiste mit gekühlten Spéciales herauszieht? Es wirkt wie die Idee eines übereifrigen Marketing-Menschen, ist aber Realität. Nicht in Paris, sondern im kleinen Bourcefranc-le-Chapus, direkt an der Landstraße D26, in der Boutique des Austernhauses Gillardeau. »So können Kunden unsere Austern auch mitten in der Nacht genießen, wenn der Laden zu hat«, sagt Geschäftsführer Julien Mesnard. Überhaupt, der Laden. Anders als die meisten anderen Austernzüchter in Marennes-Oléron bietet Gillardeau nicht nur das eigene Produkt an, sondern auch andere Weltmarken: Champagner von Ruinart oder Olivenöl von Château d’Estoublon.
Dieser verengte Blick zeigt, was auch am großen Ganzen deutlich wird. Gillardeau ist auch deswegen erfolgreich, weil sich das Familienunternehmen konsequent vermarktet. Was mit Véronique Gillardeau zu tun hat. Die 42-Jährige arbeitete bei Escada, als sie vor zwanzig Jahren Thierry Gillardeau kennenlernte. Die lebenslustige Französin ist die treibende Kraft hinter der Marke und sagt: »Dieser Shop ist meine Erinnerung an Escada.«

Knackig im Biss, nussig und ein wenig süsslich im Geschmack: Gillardeau-Austern gelten als der Rolls-Royce unter den Austern dieser Welt.
© Frank Camuzat / Maison Gillardeau
Knackig im Biss, nussig und ein wenig süsslich im Geschmack: Gillardeau-Austern gelten als der Rolls-Royce unter den Austern dieser Welt.

Gillardeau macht fast alles anders als die örtlichen Produzenten in der berühmten ­Austernregion. Es gibt keine Fines de claires von Gillardeau – also Austern, die im Becken geklärt werden. Alle Gillardeau-Austern sind Spéciales de pleine mer, wachsen ausschließlich in Austernbänken im Ozean heran.
»Mein Schwiegervater wollte das so. Unsere Austern sollten fleischig sein. Und jodig, aber nicht salzig.« Zweite Besonderheit: ­Gillardeau besitzt keine einzige Austernbank am Stammsitz. Die neunzehn Bänke sind auf ganz Europa verteilt: Normandie, Irland, Schottland, England, Portugal. »Wir suchen unsere Parcs sehr sorgfältig aus. Wir brauchen stabil kaltes Wasser, 13 bis 16 Grad. Dann eine gute Strömung, damit die Austern viele Nährstoffe bekommen. Wir sind am ­liebsten in einsamen Gebieten. Weniger
Menschen heißt weniger Landwirtschaft heißt weniger Dünger heißt sauberes Wasser.« Deswegen mietet Gillardeau oft Flächen um die eigenen Bänke herum an – als Puffer. »Wir sagen nicht genau, wo wir sind. Unsere Konkurrenten müssen das nicht wissen.«

Handverlesen

Durch diese Europastrategie hat Gillardeau viele Einbußen vermieden, die lokale Züchter in den vergangenen Jahren durch ein immer noch nicht richtig erklärtes Austernsterben erlitten haben. Weniger ist mehr bei Gillardeau: »Normalerweise kann man in eine Poche, einen der Säcke zur Aufzucht, bis zu vierzig Kilo Austern packen. Wir begnügen uns mit fünfzehn Kilo. So haben die Austern mehr Platz und können besser wachsen.«
Außerdem werden die Austern während der drei bis fünf Jahre, in denen sie heranreifen, rund sechzigmal in die Hand genommen. »Unsere Mitarbeiter holen die Säcke aus dem Wasser, sortieren die schlechten Austern aus und klopfen bei den gesunden die Dentelles ab, die Wucherungen an den Schalen. Das hilft uns, die runde Form zu erreichen, die wir wollen. All das regt die Austern an. Das ist wie mit einer Pflanze. Wenn sie beschnitten wird, wächst sie besser.« Folge all dessen: ein außerordentlich exquisiter Geschmack, aber kein Goût de terroir. Eben danach reißt sich die Welt. Gillardeau exportiert in weit mehr als vierzig Länder, darunter die USA, China oder die Vereinigten Arabischen Emirate. »Europa bleibt mit rund der Hälfte der Exporte aber unser wichtigster Markt.«

Véronique Gillardeau ist die treibende Kraft hinter der Marke.
© Frank Camuzat / Maison Gillardeau
Véronique Gillardeau ist die treibende Kraft hinter der Marke.

Der Geschmack der großen, weiten Welt

Was macht eine Gillardeau geschmacklich aus? »Elle est croquante – sie hat einen knackigen Biss. Sie schmeckt nussig, fast süß. Und hat eine Longueur en bouche – der Geschmack hallt lange nach.« Der Nœud, also der weißliche Muskel, wird immer mitgegessen. Die Größe der Auster, so Madame Gillardeau, sei übrigens keine Frage des Alters.
»Das ist wie beim Menschen. Es gibt Kleine und Große, Dicke und Schlanke. Eine Fünfer von heute ist in zwei Jahren keine Zweier.« Eine Rivalität mit den lokalen Züchtern und ihren Austern sieht Madame nicht. »Wenn 
ich am Abend zuvor ein Glas mehr getrunken habe, geht nichts über eine Fine de claire.« Gillardeau-Austern seien fast nie milchig, sagt Madame. Das liege daran, dass man sehr viele Naissants, also Jungaustern, in Labors kaufe. Die wiederum züchten triploide Austern, die sich nicht fortpflanzen können. Zudem vermeide man es, im Sommer Austern zu ernten – zu ebendieser Zeit laichen die Tiere.
Gillardeau ist ein gesunder Mittelständler und geizt mit Umsatzzahlen. Mit 120 Mitarbeitern jedenfalls produziert das Unternehmen dreitausend Tonnen Austern pro Jahr. Die, die nicht schön oder gut genug sind, 
um Gillardeau zu heißen, werden unter anderen Handelsnamen verkauft. Das begrenze die Kosten. Die Firma gibt es seit 1898. Bewegung kam aber erst 1970, als Senior
chef Gérard die erste Austernbank in der Normandie erwarb und begann, die Austern unter dem Namen der Familie zu vermarkten. Und 1998, als Gillardeau begann, 
Austern auch im Ausland anzubauen, und den Export forcierte.

Mengenbeschränkung soll die Qualität steigern. Gillardeau packt viel weniger Austern in einen Aufzuchtsack als die Konkurrenten.
© Frank Camuzat / Maison Gillardeau
Mengenbeschränkung soll die Qualität steigern. Gillardeau packt viel weniger Austern in einen Aufzuchtsack als die Konkurrenten.

Hightech hinter Wellblechwänden

Über uns spannt sich ein makellos schöner Himmel in gleißendem Blau. Vor unseren Augen ist alles hässlich. Ein riesiges Gebäude in grauem Wellblech, Gabelstapler, Paletten mit Holzschachteln, leere Betonbecken, Pfützen, überall Neonlicht, Kaffeeautomaten, irgendwo plärrt ein Kofferradio. Der Eindruck täuscht. Die fünf Millionen Euro teure neue Halle beherbergt modernste Technik. Hier kommen jedes Jahr 32 Millionen Austern an, in Lastern, aus ganz Europa. Sie sind dreckig, voll mit Schlamm.
Zunächst werden sie von Hand sortiert. Die makellosen werden mit kaltem Meerwasser aus dem Hochdruckstrahler gewaschen. Nach kurzer Zwischenlagerung und einem weiteren Waschgang geht es auf ein Förderband und von dort in die Calibreuse.
Dieses Gerät sortiert sie nach Größe und spuckt sie unter ohrenbetäubendem Austernschalen-Geklacker wieder aus. Fabienne Bonhomme, die uns durch die Halle führt, erklärt: »Nach ganz rechts kommen die großen Nuller und Einser, ganz links die Sechser, die Kleinsten, die vor allem in den lokalen Handel gehen. Und in die Mitte die Verkaufsschlager, die mittelgroßen Dreier und Vierer.«

Einer der Schlüsselmomente bei der Austernproduktion: Die Gillardeaus werden automatisiert nach Grössen sortiert – von 0 (sehr gross) bis 6 (sehr klein).
© Frank Camuzat / Maison Gillardeau
Einer der Schlüsselmomente bei der Austernproduktion: Die Gillardeaus werden automatisiert nach Grössen sortiert – von 0 (sehr gross) bis 6 (sehr klein).

Den Mélangeur, der nun zum Einsatz kommt, hat sich Gillardeau nach Maß bauen lassen. Hier werden Austern gleicher Größe aus den verschiedenen Parcs miteinander 
vermischt, sodass jede Holzkiste einen identischen Inhalt hat. »Diesen Teil der Produktion haben wir im Höchstmaß industrialisiert«, sagte Fabienne Bonhomme. Vor der Verpackung in die Holzkisten mit dem charakteristischen G kommt ebendieses G auch 
auf jede einzelne Austernschale – per Lasergravur. Genialer Marketing-Gag.
Am Ende wird Kiste über Kiste eines globalen, immer gleichen Luxusprodukts auf Laster geladen. Louis Vuitton für Genießer, sozusagen. Zu hundert Prozent PR-technisch durchgestylt ist Gillardeau dann übrigens doch nicht. Am Ende sagt uns Fabienne Bonhomme mit entwaffnender Offenheit: »Ich selbst esse übrigens gar keine Austern.«
Weitere Impressionen finden Sie in der Bildgalerie:

Aus dem Falstaff Magazin 08/16

Christoph Teuner
Christoph Teuner
Redakteur
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