Expertenrunde: Wie zeitgemäß sind Restaurantguides, wie zukunftsfähig­ Bewertungsportale?

Expertenrunde: Wie zeitgemäß sind Restaurantguides, wie zukunftsfähig­ Bewertungsportale?
© Julia Stix

Gastrokritik: »Tripadvisor geht gar nicht. Punkt.«

Der Profi-Kritiker als karrierevernichtender Polemiker existiert nicht mehr. Die Kommunikation mit den Köchen findet heute auf Augenhöhe statt.

Wohin gehen wir essen? Wer diese Frage stellt, hat heute zahlreiche Möglichkeiten, zu einer Antwort zu ­kommen. Klassische Restaurantguides und -kolumnen ­stehen längst in Konkurrenz mit Onlineportalen, auf denen jeder, der Zeit und Lust dazu hat, Empfehlungen abgeben kann. Doch wie sieht die Zukunft der unterschiedlichen Formate aus, ist Online das neue Print? ­KARRIERE hat nachgefragt.

KARRIERE Herr Hacker, Sie ­schreiben seit mehr als 20 Jahren ­Restaurantkritiken. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
HERBERT HACKER Früher war die Zahl der guten Restaurants wesentlich geringer. Die Restaurantkritik hatte die Aufgabe, ­diese herauszufiltern, wobei es nicht unbedingt darum ging,
die neuesten Lokale zu testen, sondern Tipps zu geben. Generell sind die Kritiken heute auch ­wesentlich harmloser.
JUAN AMADOR Weil das Verhältnis professio­neller geworden ist. Vor 20 Jahren hielten sich Köche noch für Götter in Weiß, dazu kamen Kritiker, die sich profilieren wollten. Man hat tatsächlich das Haar in der Suppe gesucht. Jetzt begegnen wir uns auf Augenhöhe, man kennt sich und redet miteinander.
MORIZ PIFFL-PERCEVIC Das habe ich bei meinen Projekten auch so wahrgenommen. Es wird eher großzügig bewertet, nicht zu kleinlich, sondern ausgewogen und fair. Was die Restaurantkritik sicherlich auch verändert hat, ist die Bloggerszene und die damit einhergehende Demokratisierung der Bewertungen. Heute kann jeder zum Restaurantkritiker werden.
HACKER Die Demokratisierung hat schon mit dem Falstaff Guide begonnen, das war der erste Publikumsguide. Dann erst kam die Welle der Blogger, wobei ich die Szene problematisch finde, weil es im Unterschied zum Guide keine Korrektur gibt. Auch nicht auf Tripadvisor. Dort steht der persönliche Geschmack im Vordergrund, das ist un­pro­fes­sionell. Die Bewertungen sind nicht nachvollziehbar.
PIFFL-PERCEVIC Es ist eine andere Wahrheit, weil die Plattform in erster Linie touristisch genutzt wird. Da rennen täglich Tausende Tester durch die Stadt ...
AMADOR Das sind doch keine Tester. Da kann jeder ungefiltert seinen Müll hineinschreiben. ­Reden wir nicht drumherum: ­Tripadvisor geht gar nicht, Punkt. Das ist komplett genrebefreit,
da werden Schnitzelbuden und Haubenlokale in einen Topf geschmissen.
PIFFL-PERCEVIC Es hat beides seine Berechtigung. Das eine ist die qualifizierte Fachkritik, das andere die demokratische Bewertung durch die Masse.

»Ein guter Kritiker lebt von der Erfahrung. Ich muss etwas nicht per se gut finden, aber ich muss es vergleichen und einordnen können.«
Herbert Hacker, Chefredakteur Falstaff

Was macht denn einen guten Kritiker überhaupt aus?
HACKER 
Ein guter Kritiker lebt von der Erfahrung. Ich muss etwas nicht per se gut finden, aber ich muss es vergleichen und einordnen können.
AMADOR Wir reden ja auch von Restaurantkritik und nicht von Geschmäckern.

Mit welchen Klischees hat man als Kritiker zu kämpfen?
HACKER
 Damit, dass man erkannt und ­deswegen besser für einen gekocht wird.
AMADOR In den Anfängen gibst du vielleicht einen Löffel mehr Kaviar auf den Teller, wenn draußen ein großer Kritiker sitzt. Grundsätzlich ist es uns aber vollkommen wurscht, wer im Restaurant sitzt, es bekommen alle das gleiche Programm. Du schaust bei einem Kritiker einmal mehr drüber, aber selbst das wäre nicht notwendig. Wir arbeiten wie ein Formel-1-Team, jeder kennt seinen Handgriff.
HACKER Das ist übrigens auch eine Bedingung, die ich an den Beruf knüpfe: dass der Kritiker dann natürlich weiß, dass er einen Extralöffel Kaviar bekommen hat und sich davon nicht beeinflussen lässt. Denn wenn das Essen nicht gut ist, hilft auch der zweite Löffel Kaviar nichts.

»Früher haben Kritiker das Haar in der Suppe gesucht. Heute begegnen wir uns auf Augenhöhe, man kennt sich und redet mit­einander.«
Juan Amador, Sternekoch

Herr Piffl-Percevic, wenn Sie ein Projekt ­planen, sind Kritiken dann etwas, was Sie bewusst ­mitdenken?
PIFFL-PERCEVIC Beim »Ferdl« hatten wir einen Probebetrieb geplant, 20 Minuten nach dem Soft Opening standen aber schon zwei Kritiker in der Tür. Dass dein Betrieb sofort auf Herz und Nieren geprüft wird, ist ein Spezifikum, das ich aus anderen Branchen, in denen ich tätig war, nicht kenne. Da hast du Zeit, dass sich die Dinge einspielen. Wenn sich die Kritiken dann wie beim »Ferdl« überschlagen und du plötzlich drei Monate im Vo­raus reserviert bist, kann die gute Kritik auch zur Bürde werden, anstatt zu beflügeln.

Stichwort gute Kritik: Herr ­Amador, Sie wollten bewusst kein Sternerestaurant ­eröffnen, scheinen nach der diesjährigen Gault-Millau-Bewertung aber wieder Blut geleckt zu haben.

AMADOR Wenn du mit angezogener Handbremse fährst und dann gleich zwei Sterne bekommst, willst du mehr. Also machen wir das, was wir am besten können. Ich habe ­keinen Bock mehr, aus einer Küche zwei ­Karten zu schicken, allein schon wegen des Arbeitsaufwands.

Wie ernst nehmen Sie Kollegen, die ihre ­Sterne zurückgeben?
AMADOR Das ist heuchlerisch. Ich persönlich kann das nicht nachvollziehen. Du bekommst die besten Mitarbeiter, die besten Produkte und vor allem bekommst du ­er­fahrene Gäste. Da kommen Leute aus der ganzen Welt, die einfach verstehen, was du machst.

Klassisch oder online, wo sehen Sie die Zukunft der Restaurantkritiken?

HACKER Einerseits haben die klassischen Medien auf diesem Sektor etwa durch die World’s-50-Best-Liste eine Zeit lang an Bedeutung verloren. Andererseits glaube ich, dass es wieder eine Rückbesinnung geben wird, weil die Leute sich auf die Bewertungen verlassen und sie nachvollziehen können.
PIFFL-PERCEVIC Ich sehe die qualifizierte Fachkritik durch Blogs oder Bewertungsportale überhaupt nicht infrage gestellt. Das ist vergleichbar mit einer Musikkritik und der Hitparade. Das eine ersetzt das andere nicht.
AMADOR Gerade aufgrund von Tripadvisor und Blogs ist es wichtig, dass es eine fundierte, professionelle, international ­geschulte Restaurantkritik gibt. 95 Prozent der Blogs sind doch Schwachsinn, im deutschen Raum gibt es vielleicht eine Handvoll, die das wirklich gut macht. Der Rest ist nicht ­erwähnenswert.

»Ich sehe die Fachkritik durch Bewertungsportale nicht infrage gestellt. Beides hat seine Berechtigung, das eine ersetzt das andere nicht.«
Moriz Piffl-Percevic, Unternehmer

PIFFL-PERCEVIC Ich verstehe, wenn man auf deinem Niveau arbeitet, dass man keinen Bock darauf hat, dass irgendein Typ aus ­Buxtehude, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, die eigene Arbeit abkanzelt. Dass da der Wunsch nach qualifiziertem Feedback da ist, ist nachvollziehbar. Das ist, wie wenn man eine Zwölftonmusik macht ...
AMADOR ... und dann kommt ein Hardrocker und sagt, dass es scheiße ist. Wir suchen ja die Kritik, das bringt uns auch weiter. Aber eben eine professionelle und nicht von Lieschen Müller um die Ecke.

Gästebewertungen definieren die Restaurantkritik neu. Nicht jeder in der Branche geht damit konform. Der Ruf nach qualifizierter Fachkritik wird wieder lauter.

Herbert Hacker ist Chefredakteur des Falstaff Magazins.
© Julia Stix
Herbert Hacker ist Chefredakteur des Falstaff Magazins.

Die Interwievpartner

Ein Gespräch ­zwischen ­Restaurantkritiker, Sternekoch und Gastro-Quereinsteiger:

  • Herbert Hacker
    Der Chefredakteur des Falstaff Magazins ist für die Ausgaben in Österreich, Deutschland und der Schweiz sowie verschiedene Falstaff-Guides verantwortlich, darunter für den Falstaff Restaurantguide, in dem jährlich die besten Restaurants des Landes bewertet und beschrieben werden. Als Restaurantkritiker ­arbeitete Hacker unter anderem für News und Format.
    www.falstaff.at

  • Moriz Piffl-Percevic
    Der Marketing-Profi und Quereinsteiger ist Gründer des Maßjeans-Labels »Gebrüder Stitch«. 2014 eröffnete er mit drei weiteren Geschäftspartnern den Stadtheurigen »Zum Gschupftn Ferdl« in Wien-Mariahilf. 2015 folgte die »Vollpension«: ein generationsübergreifendes Kaffeehaus, in dem ältere Frauen Kuchen backen und verkaufen.
    www.vollpension.wien

  • Juan Amador
    Der deutsche Sternekoch übersiedelte 2015 nach Wien und eröffnete im März 2016 sein Restaurant »Amador’s Wirtshaus & Greißlerei«. Ein Jahr später übernahm er außerdem die kulinarische Leitung des »Kitch Grill & Bar by Juan Amador«. 2017 wurde sein Stammhaus in Wien Grinzing mit zwei Guide-Michelin-­Sternen ausgezeichnet.
    www.amadorswirtshaus.com

Interview aus Falstaff Karriere 05/17.

Als Restaurantkritiker ­arbeitete Hacker unter anderem für News und Format.
© Julia Stix
Als Restaurantkritiker ­arbeitete Hacker unter anderem für News und Format.
Sonja Planeta
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