Hoppla! Die Idee, Fisch-Sommeliers auszubilden, kam von einem großen Fischunternehmen aus Bremerhaven.

Hoppla! Die Idee, Fisch-Sommeliers auszubilden, kam von einem großen Fischunternehmen aus Bremerhaven.
© Gina Müller

Essay: Sommelier an Leib & Socken

Ein vergnüglicher Spaziergang durch Vergangenheit und mögliche Zukunft eines Berufs, der derzeit sehr populär ist.

Jacques Mercade war der Erste. Und für eine Weile der Einzige. Der einzige Sommelier de Corps du roi, Leibsommelier des Königs, des ­französischen in diesem Fall. Das war 1378. Wie mag Monsieur Mer­cade sich gefühlt haben? Sehr privilegiert womöglich. Was er wohl gesagt hätte, wenn er erfahren hätte, dass 640 Jahre später die erste IHK-zertifizierte Bremer Fisch-Somme­lière den Dienst aufnehmen würde? Jacques Mercade und Petra Koch-Bodes. Beginn und – vorläufiger – Höhepunkt einer Entwicklung, die noch gewaltiges Potenzial hat. Zum Haareraufen oder Lauthalslachen. Das möge der Leser selbst entscheiden.

Käse-, Brot- und Saftsommelier

Zunächst ein kurzer Ritt durch die Geschichte. Also: Wie die Weltbevölkerung vermehrten sich Sommeliers über die Jahrhunderte nur langsam. Bis vor ein paar Jahren gab es sie nur in teuren Restaurants. Die Herren, später dann Damen und Herren, befassten sich fast nur mit Wein, vielleicht noch mit Champagner oder Bränden, getreu der knappen Definition des »Larousse«: »Un sommelier est un professionnel chargé de la cave et du service des vins dans un restaurant.« »Der Sommelier ist ein Fachangestellter, der für den Weinkeller und das Servieren des Weins im Restaurant die Verantwortung trägt.« Und dann? Dann kamen die Nullerjahre. Internetboom, Smartphones, soziale Medien, mehr Sichtbarkeit, mehr Kommunikation. Konsumgüterhersteller begannen, ihr Sortiment in rasender Schnelligkeit zu erweitern. Zauberwort »line extension«. Seitdem muss man sich als Schokoladenliebhaber oder Frischkäseesser zwischen Dutzenden Sorten entscheiden, von Honig-Salzmandel bis Knusperflakes, von Light über Balance bis hin zu Luftig und Locker. Diese Expansions-Manie konnte natürlich auch die Gastronomie nicht verschonen. Und so entstanden neue Jobs. Der erste Käse-Sommelier, der erste Brot-Sommelier. So weit, so gut.
Wirklich interessant wurde es, als der ­Sommelier-Beruf herausdrängte aus dem Habitat Sternerestaurant. Das tut er immer noch. Gut, beim Saft-Sommelier sieht es noch zappenduster aus. Die große Suchmaschine findet nur 640 deutschsprachige Einträge. Besser der Most-Sommelier mit 10.600. Fleisch-Sommeliers und Kaffee-Sommeliers gibt es mit rund 47.000 Einträgen schon ­deutlich häufiger. Die Bier-Sommeliers haben die Minderheiten-Nische verlassen. Stattliche 153.000 Einträge hier. Tendenz bei allen: ­steigend. Jetzt also Petra Koch-Bodes, die Fisch-Sommelière. In den Meldungen der Nachrichtenagenturen über diese gewichtige Neuigkeit steht der bemerkenswerte Satz, dass die Idee, Fisch-Sommeliers auszubilden, von einem großen Fischunternehmen aus Bremerhaven kam. Hoppla! Hat die wundersame Sommelier-Vermehrung vielleicht etwas mit Wachstum und Geld zu tun? Motto: Das Konsumvieh muss möglichst viel kaufen. Wenn ein waschechter Sommelier ihm etwas andreht, zieht das besser! Man sollte es kaum glauben: Eben das stimmt! Es deckt sich mit dem etymologischen Ursprung des Wortes: »Le mot trouve ses racines dans le provençal ›sauma­lier‹. L’origine latine est ›sagma‹. Le terme de sommelier signifie à l’origine conducteur de bête de somme.« Kurzum: Sommelier hat seine Wurzeln im lateinischen »sagma« und im provenzalischen »saumalier«. Seine ursprüngliche Bedeutung lautet Viehtreiber.

Moderne Geschmacksarchitektur

Und wir sind bei Visionen, Zukunftsvisionen, derentwegen wir nicht zum Arzt gehen, sondern über die wir uns prächtig amüsieren. Was also kann noch kommen? Auf der nach oben offenen Es-kann-Sommeliers-für-alles-geben-Skala erscheint nichts unmöglich. Gummibärchen-Sommeliers? »Der gelbe Bär hat einen Hauch Gottschalk’sche Frucht mit der bekannten Strahlkraft, während der rote Bär Bully-typisches Aroma aufweist, das zusammen mit süßlicher Raumschiff-Sur­prise-Note dem Geschmack Kontur gibt.« Wie wäre es mit einem Rollmops-Sommelier? Nein, zu altmodisch und unsexy. Aber ­Tiefkühlkost-Sommeliers? Das hätte Zu­­kunft. Was für eine Chance, Chemieküchen-Produkte noch besser zu tarnen! »Diese Pizza besticht durch dezentes Glutamat-­Aroma; Struktur bekommt die komplexe Geschmacksarchitektur durch perfekt aus­balancierte Noten von Natriumnitrit, Maltodextrin, Gewürzextrakt sowie Antioxidationsmittel und Stabilisator.« Noch charmanter wären Döner-Sommeliers. Man stelle sich die Szene vor, wenn ein Teenager an einer Bude seine Bestellung aufgibt: »Döner mit alles, aber ohne Stink.« Einsatz Döner-Sommelier: »Aber bitte, junger Herr. Möchten Sie nicht doch eine unserer grandiosen Würz­saucen versuchen? Wir hätten ostanatolischen Bergknoblauch mit fermentierten Berberitzen. Subtile Erdigkeit, gepaart mit kräftiger Aromatik. Oder pul­v­­e­­ri­sierter schwarzer Knoblauch mit Oliven. Betörend wie eine Orientreise.«

Vertikalverkostung der Bürsten

Aber warum in aller Welt nur Lebensmittel? Man kann doch heraus aus dem Food-­Ghetto! Man könnte träumen von einem Baumarktwerbespot-Sommelier, einem Nagellack-Sommelier oder einem Shampoo-Sommelier, einem Tierfutter-Sommelier oder einem Vergleichsportal-Sommelier, einem Rasenmäher-Sommelier oder einem Reifen-Sommelier. Besonders anstrengend wäre wohl der Beruf des Waschanlagen-Sommeliers. Vertikalverkostung der rotierenden blauen Bürsten! Königsdisziplin wäre zweifelsohne der TV-Samstagabendshow-Sommelier. Was für eine Herausforderung, die Musikantenstadl-Superstar-Plörre zu bewerten. Es steht allerdings zu befürchten, dass hier nur 50 bis 59 Falstaff-Punkte vergeben würden – »nicht akzeptabel«. Die rote Linie schließlich wäre mit dem Socken-Sommelier erreicht, vor allem wenn der sich mit »gereiften« Exemplaren befassen müsste. Oder ist da doch noch Spielraum? Hier nun spannen wir, ermattet von unserer visionären Tour de Force und in hoffentlich eleganter Manier, den Bogen zurück zu den Anfängen. Im »Dictionnaire de la Langue Française« von Émile Littré aus dem Jahr 1863 findet man nämlich auch folgende Definition des Sommelier-Berufs: »Celui qui dans une maison, dans une communauté, a la charge de la vaisselle, du pain, du vin, du linge.« »Der, welcher sich in einem Haushalt oder einer Gemeinde um Geschirr, Brot, Wein und Wäsche kümmert.« Wäsche! Also doch! Möge er kommen, der erste Socken-Sommelier.

Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2018

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Christoph Teuner
Christoph Teuner
Redakteur
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