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Essay: Montauk – Leuchtturm des Lebens

Draußen in den Hamptons gibt es einen Ort, der die Menschen anzieht, der inspiriert und einige vor alles entscheidende Fragen stellt. Montauk ist mehr als der äußerste Zipfel von Long Island.

Die Flucht dauert etwas mehr als drei Stunden. Mit dem Auto raus aus Manhattan in Richtung Osten. Weg vom Trubel von der reißenden Energie des Big Apple hin zur Ruhe. Weit draußen in den Hamptons, am letzten Zipfel von Long Island, gibt es diesen mystischen kleinen Ort, der schon lange Menschen anzieht, die Entspannung suchen und manchmal vielleicht sogar etwas mehr als das finden.
Montauk, wie die Ureinwohner Nordamerikas diesen Ort schon nannten, hat nicht mehr als knapp 3500 Einwohner, ein Dorf, das lange Zeit als verschlafen galt, Künstler und Surfer anzog. Andy Warhol kaufte hier in den frühen Siebzigern ein Anwesen namens Eathon und verbrachte dort knapp zwei Jahrzehnte lang seinen Sommer. Damals zu einem Preis, der heute unvorstellbar ist, denn die Gentrifizierung Montauks hat längst ein Ausmaß erreicht, das es Normalsterblichen schier unmöglich macht, hier sesshaft zu werden.
Warhol brachte die Avantgarde nach Eathon. Jackie Kennedy, Elizabeth Taylor, John Lennon und Keith Harring, um nur einige zu nennen, genossen die Einfachheit von Warhols Anwesen und das idyllische Drumherum, vielleicht auch die Flucht von den Begebenheiten des Alltags. Die Rolling Stones probten ebenda 1975 für ihre anstehende Amerika-Tour und schrieben sogar einen Song über ein kleines Hotel im Dorf mit dem Namen »Memory Hotel«. Warhol selbst wurde hier für seine »Sunset«-Serie inspiriert.
Inspiration, ein Prozess, der auch viel mit der Auseinandersetzung mit sich selbst zu tun hat, scheint hier einfach möglich zu sein. Auch Filmregisseur und Künstler Julian Schnabel zog es nach Montauk. Bis heute besitzt er ein Haus, in dem er malt und von dem aus er seiner zweiten Leidenschaft, dem Surfen, frönen kann. Die Atlantikküste ist schließlich nur einen Fußmarsch entfernt.

Affäre mit Folgen

Einer, der hier eine einschneidende, ja, lebensentscheidende Erfahrung machte, ist der Schweizer Schriftsteller Max Frisch. Ein Jahr bevor die Stones mit ihren Groupies über das verschlafene Dorf herfielen, reiste Frisch in die Vereinigten Staaten, um die Ehrenmitgliedschaft der Academy of Arts and Letters sowie des National Institute of Arts and Letters entgegenzunehmen. Für seine anschließende Lesereise stellte ihm seine amerikanische Verlegerin Helen Wolff die junge Alice Locke-Carey an die Seite. Eine verhängnisvolle Paarung, denn der verheiratete Frisch verliebte sich in die junge Verlagsangestellte. Mit Blick auf die damalige Beziehung Frischs zu seiner Ehefrau Marianne, die ihn über Jahre hinweg mit seinem Freund, dem Schriftsteller Donald Barthelme, betrog, nicht sonderlich verwunderlich. Frisch verbrachte in ebenjenem kleinen Montauk, verliebt, die letzten Tage vor seiner Abreise nach Europa. Es geschah etwas mit ihm, das ihn tiefgreifend berührte und das er später in einem autobiografischen Roman mit dem Titel »Montauk« verarbeitete. Darin denkt er an seine Fehler, an seine gescheiterten Beziehungen zu den Frauen, die er liebte, und unternimmt eine schonungslose Bestandsaufnahme, eine Abrechnung mit sich selbst, seinem Leben als Mann und auch als Schriftsteller.

Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch erlebte Montauk als Ort der Läuterung.
© Gertrude Ullstein Fehr
Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch erlebte Montauk als Ort der Läuterung.

Der Küstenort wird zum Sinnbild für die Reflexion über das eigene Leben, letztendlich das Ende der Flucht vor sich selbst mit der alles bestimmenden Frage: Wer bin ich? Frisch zieht die offene Lebensbilanz eines beruflich sehr erfolgreichen, aber in Liebesdingen oft versagenden Schriftstellers.
Der Roman, als spätes Meisterwerk Frischs geltend, wird erst veröffentlicht, nachdem seine Frau Marianne zustimmt, denn auch wenn sie im Text nicht namentlich erwähnt ist, ist sie Teil des Ganzen. Montauk berührt die Menschen bis heute, egal, ob dazu eine geheime Affäre, eine Liebe gehört oder nicht. Woran es liegt, kann man nur erahnen. Vielleicht ist es die schlichte Tatsache, dass man hier in gemütlicher Strandatmosphäre entspannen kann. Möglicherweise liegt es aber auch daran, dass die Flucht hier ein Ende nimmt, dass es hier einfach nicht mehr weitergeht. Denn am äußersten Ende von Long Island bleibt als einziger Ausweg nur der Ozean.

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2018

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