Die Dänen haben wirklich viele Gründe, sich gegenseitig zu ihrem Glück zu gratulieren.

Die Dänen haben wirklich viele Gründe, sich gegenseitig zu ihrem Glück zu gratulieren.
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Essay: Gut geht es Dänen ...

… und denen, denen Dänen nahestehen. Der alte Kalauer wird alle Jahre wieder mit der Liste der glücklichsten Nationen der Welt bestätigt. Autor und Gastrokritiker Severin Corti weiß aus eigener Erfahrung, warum die Dänen ganz offiziell am glücklichsten sind.

Beschissenes Wetter, doppelt so viele Schweine wie Einwohner, dazu noch Fantasiepreise für alles vom Hotelzimmer bis zum kleinen Bier – von den notorisch hohen Steuern gar nicht zu reden: Man kann sich schon wundern, wie die Dänen es schaffen, alle Jahre wieder als glücklichstes Volk des Planeten gewertet zu werden

Auf den ersten Blick spricht wahrhaftig wenig dafür, neidisch auf die Nordfrauen und -männern zu sein. Okay, sie haben die vielleicht aufregendsten Spitzenrestaurants des Planeten auch abseits der beiden Wunderbuden »Noma« und »Geranium« – aber sonst? So gut wie kein gastronomischer Mittelbau, nicht existente Landgasthäuser, auch keine Wochenmärkte mit Qualitätsviktualien für die Selbstversorgung. In Wahrheit gibt es verdammt viele Gründe, da oben trübsinnig zu werden, gerade in kulinarischer Hinsicht.

Und dennoch sind die Wikinger auf eine Art mit sich und ihrem Schicksal im Reinen, die durchaus Anlass zum Nachdenken gibt. Wie das geht? Die Kultur ist da stets ein guter erster Anhaltspunkt.

Dass sie die aufregendsten Netflix-Serien des Kontinents machen und auch bei klassischen Filmen international begehrtes Talent zum Storytelling beweisen, hat sich auch bei uns längst herumgesprochen. Auch, dass die Kultur des Wohnens und das Bewusstsein für qualitätsvolle Möbel seit Jahrhunderten Teil des Selbstverständnisses sind, wissen wir dank der globalen Designklassiker von Arne Jacobsen, Louis Poulsen, Poul Kjærholm oder Hans J. Wegner. Dass diese Ikonen der Moderne in den Wohnungen und Häusern ganz Dänemarks ebenso selbstverständlich Teil der Einrichtung sind wie in unseren Breiten das »Billy«-Regal einer etwas anderen skandinavischen Möbelmanufaktur, wissen wir schon weniger. 

Sogar dänische Ämter, kommunale Kindergärten, Schulen und Bibliotheken sind ganz selbstverständlich – und bis ins kleinste Provinznest – mit Ikonen des nordischen Designs möbliert. Natürlich, weil diese Möbel Teil des nationalen Selbstverständnisses sind. Aber auch, weil gewisse Standards an die Qualität des öffentlichen Raums im Heimatland von Hygge und Design eben nicht unterschritten werden. Dass es glücklich macht, in einer wirklich schönen Schule zu lernen, in einem wirklich schönen Standesamt zu heiraten – oder auch nur in einer wirklich gut gemachten Polizeistation gegen einen Bescheid Widerspruch einzulegen, können sich unsereins von Amts wegen zu Billigmöblage Verurteilte nur vorstellen.

Designqualität im öffentlichen Raum schön und gut: Irgendwo müssen die ganzen Horrorsteuern, die da oben angeblich fällig werden, ja hininvestiert werden. Aber wie soll sich die ein Durchschnittsdäne leisten können? Das Durchschnittsgehalt kann dafür wertvolle Hinweise geben. Während es in unseren Breiten als gottgegeben hingenommen wird, dass Schlüsselarbeitskräfte der entwickelten Gesellschaft wie Krankenschwestern, Pflegepersonal, Erzieherinnen, Supermarktkassiererinnen und andere »klassische Frauenjobs« nun einmal, leider, leider nicht einmal ansatzweise anständig bezahlt werden, schätzen die Dänen eine diametral andere Sicht der Dinge: Wer ordentlich arbeitet, muss ordentlich bezahlt werden. Die Supermarktkassiererin geht deshalb bald einmal mit 3000 Euro nach Hause, die Krankenschwester sowieso. Wäre ja noch schöner: Arbeit machen, die sich sonst
keiner antun will – und dann im ewigen Nord-Winter nicht einmal nach Thailand entfliehen dürfen? Sicher nicht.

Liebend gerne Steuern zahlen

Solche Wertschätzung macht glücklich, und zwar ein Leben lang. Ordentliche Gehälter, gerade auch im öffentlichen Dienst und der kommunalen Verwaltung, kosten natürlich. Für diese Kosten kommen die Dänen aber sehr gerne auf. Steuern zahlen gilt im hohen Norden nicht als lästige Pflicht, die man im Zweifel lieber den anderen überlässt – und, wie in unseren Breiten üblich, vorzugsweise jenen, die es sich nicht richten können. Die hohe Steuerlast gilt vielmehr allen als Garant für die Sicherung des einzigartig hohen Lebensstandards, und damit als Fundament des Glücks

Apropos Frauen: Im Land der Wikinger ist die Stellung der hierzulande immer noch gerne als »schwaches Geschlecht« nieder-gehaltenen Weiblichkeit seit Urzeiten eine extrem starke. Die gläserne Decke mag im Rest Europas grausame Realität sein – in Dänemark ist sie ein Fremdwort. Schon zu der Zeit, als die Männer mit den behörnten Helmen ganz Europa und den Rest der Welt mit ihren Raubzügen und Eroberungen in Angst und Schrecken versetzten, waren die eigentlich Mächtigen jene, die zuhause bleiben durften: Die Frauen der Wikinger hatten ganz eindeutig die Hosen an – ihnen mussten all die Schätze und Preziosen, das Gold und die Gewürze zur Verwaltung und Verwahrung ausgehändigt werden, die auf den Plünderfahrten mittels wildem Gebrüll und grundsätzlicher Angstbefreitheit erbeutet worden waren. Daheim hatten die Frauen das Sagen. Dass sich das bis heute erhalten hat, zeigt die Tradition weiblicher Staatenlenker von Königin Margrethe und Premierministerin Mette Frederiksen – Birgitte Nyborg aus der Kultserie »Borgen« hat jede Menge Vorbilder im echten Leben.

Wie lässt sich eine so starke Identität und Gemeinsamkeit im Staatsganzen aufrechterhalten? Eine lange Tradition, im Zweifel auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, hilft bei der Ausformung eines gesunden Patriotismus ebenso wie ein starker sozialer Impetus, auf dem Weg in die Zukunft möglichst niemanden zurückzulassen. Dass die geografische Lage und damit einhergehend die meteorologische Situation ebenso wie eine über Jahrhunderte dezidiert protestantische Herangehensweise an den leiblichen Genuss nicht eben zu großer Anziehungskraft für Migranten geführt hat, half bei der Ausformung einer sehr homogenen Gesellschaft, die mit sich im Reinen ist. Das hat sich erst vor wenigen Jahren mit den großen Flüchtlingswellen geändert, als die Sozialleistungen des Königreichs für erheblichen Zustrom sorgten – und zu durchaus unschönen Bemühungen, das Glück der Dänen auch fürderhin nur solchen zukommen zu lassen, die auch tatsächlich im Königreich geboren wurden. Das ist der Preis des Glücks in einem so homogen von nur einer Volksgruppe bewohnten Reich: Für Einflüsse oder gar Zuzug von außen ist man nur sehr eingeschränkt aufnahmefähig.


Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2022

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Severin Corti
Severin Corti
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