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Essay: Champagnerbläschen steigen auf

Was kann der Schaumwein, was stille Weine nicht vermögen? Er ist ein Getränk aus dem Reich der Bilder und Zeichen. Seine Sinnesreize schaffen ein Gesamtkunstwerk, das kein anderer Wein präsentiert.

Wer könnte sich der Symbolik des Schaumweins entziehen? Schwere Flasche, -gold- oder silberfarbene Folie, Drahtkorb und Korken, Plopp! Und dann das Prickeln im Glas, das alles sind ebenso viele Zeichen, die auf Besonderes deuten. Auf Feste, Ereignisse, große Gefühle. Diese Bezüge sind Teil der Kultur, sind fest programmiert, und sie werden unausgesetzt eingeübt. Schaumwein, namentlich Champagner, besetzt einen Stammplatz in der Welt der Bilder und Zeichen – es gibt ihn sogar als Emoji.

Vielleicht liegt es daran, dass seine Herstellung aufwendig ist, er kann sogar Luxusprodukt sein, aber eigentlich ist der Grund egal: Wenn eine symbolische Beziehung erst einmal etabliert ist, fragt niemand mehr nach den Ursachen. Sie wirkt sich auf den Genuss aus, die z nennt dies »Priming«: Schon der Anblick der Flasche ruft Erinnerungen hervor, die ihrerseits den nachfolgenden Sinnesreiz beeinflussen. Das erhebende Gefühl ist zuerst da und will nur noch durch den Genuss gesteigert werden.

Perlende Weine bieten ihm alle Gelegenheit dazu. Die Bläschen steigen auf, kurzzeitig sogar in die Luft, sie zerplatzen, kitzeln die Nase und schmeicheln ihr mit Duftstoffen. Wer genau hinhört, kann diese Ereignisse sogar akustisch wahrnehmen. Ein Gesamtkunstwerk, das kein anderer Wein zu präsentieren vermag.

Je besser der Schaumwein, desto feiner und beständiger die Perlage, deren Schnüre das gefüllte Glas zur bewegten Skulptur machen. Sie entsteht, weil es Unregel-mäßigkeiten oder Unreinheiten aufweist. Ohne sie trieben die Kohlendioxidmoleküle nicht in Blasen, sondern absolut gleichmäßig nach oben. Absolutes Gleichmaß aber ist der Tod. Unregelmäßigkeit hingegen das Leben. Der Mensch ist ein symbolverarbeitendes Lebewesen: Die Bläschen erinnern ihn an sein Streben nach Höherem und an seine kurze Lebensspanne.

Die symbolische Aufladung ließ Champagner zum Prestigegetränk werden. Jede Zeit hat ihre Promis. Früher griffen Kaiser und Königinnen demonstrativ zum Champagner, heute sind es beispielsweise Rapper. Wegen dieses Symbolcharakters ist das Getränk auch ein Politikum. Wie viele diplomatische Verstimmungen gab es schon, weil Frankreichs Regierungen den Namen des Champagners schützen wollten! Ihre Leidenschaftlichkeit hat nicht nur wirtschaftliche Gründe, das Nationalprestige steht auf dem Spiel. Wladimir Putin drehte den Spieß um und drohte damit, in Russland nur Schampanskoje zuzulassen und »Champagner« zu einer irreführenden Warenbezeichnung zu erklären. Pure Machtdemonstration.

Weinregionen, die etwas auf sich halten, bringen unweigerlich auch Schaumweine hervor. Die Varianten sind nicht abzählbar, wir haben es mit einem eigenen Universum innerhalb des Weinuniversums zu tun. Das abgestufte Nacheinander von Assemblage, zweiter Gärung und Dosage erlaubt das Aufblühen einer Vielfalt aro-matischer Noten, da gibt es Brioche- und Nusstöne, Zitrusgeschmack und Blumenduft, kurz: hell und dunkel, frisch und reif, einander abwechselnd und ohnehin abhängig von den Rebsorten, Jahrgängen und der Vinifizierung der Grundweine sowie den Jahren der Lagerung. Die vielen Facetten der Schaumweinherstellung erlauben daher eine Vielfalt der Stile. Selbst wenn man nur auf die Champagne blickt, eröffnet sich eine kaum überschaubare Mannigfaltigkeit. Man wünschte sich übrigens, dass sie sich auf Weinkarten und in Supermarktregalen getreuer abbilden würde, als es immer noch der Fall ist. 

Wenn wir zusätzlich bedenken, wie viele Crémants es allein in Frankreichs Regionen jenseits der Champagne gibt, welche Schaumweinfülle sich Jahr für Jahr in Südafrika und Spanien, Italien und Österreich, Deutschland, England, den Vereinigten Staaten und anderswo ergießt, dann erinnern wir uns an die alte Weisheit, dass ein Leben allein nicht genügt, die Schönheit der Welt zu ermessen. Auch das gehört zur Symbolik dieses außergewöhnlichen, uns aus dem Gewöhnlichen heraushebenden Getränks.


Gero von Randow,

geboren 1953, war Redakteur der Wochenzeitung »Die Zeit«, unter anderem als Chefredakteur von »Zeit online«, als Mitherausgeber von »Zeit Wissen« sowie als Korrespondent in Paris. Seit vielen Jahren schreibt er auch über Wein.

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