Endlich doch noch Eiswein in Deutschland

»Eisweinwetter wie im Bilderbuch« bringt rekordverdächtige Öchsle-Gradation und hohe Erträge.

Seit dem Wochenende beschert Tief »Benno« Deutschland den lang ersehnten Winter – und den Winzern den beinahe schon verloren geglaubten Eiswein. Vom Mittelrhein bis nach Südbaden rückten die Winzer in der Nacht auf Montag aus, um mit klammen Fingern die letzten Trauben des Jahrgangs 2015 zu lesen. Berthold Clauss aus Nack am Hochrhein strahlt übers ganze Gesicht: »Bei minus acht Grad haben wir in der Nacht zu Montag Spätburgunder mit 158 Oechsle gelesen. 260 Liter! Und schon in der Saftwanne zeigte sich eine schöne Rosé-Farbe.«

Eindrucksvolle Öchsle-Grade
Ähnlich wie Clauss, dessen Weinberge zu den südlichsten Deutschlands gehören, konnten Winzer auch weiter nördlich vom Kälteeinbruch profitieren. Teilweise kamen erstaunliche Mengen und Mostgewichte in die Keller. So meldet etwa die WG Auggen im Markgräflerland 800 Liter Gutedel-Eiswein bei 220 Grad Oechsle. Auch andenorts in Baden schwärmten die Lesehelfer aus, etwa am Kaiserstuhl, im Glottertal und in der Ortenau. In Franken konnte das Weingut Baldauf im Ramsthal an der fränkischen Saale bei minus zwölf Grad Silvanertrauben lesen. Hier zeigte die Mostwaage ebenso satte 220 Oechsle an. Auch in Württemberg waren die Temperaturen kalt genug, um tief gefrorene Trauben zu lesen, so etwa in Flein, Affaltrach und Schwaigern.

Einzelne Winzer pokern noch
Am Mittelrhein konnte Matthias Müller in Spay eine kleine Menge Eiswein lesen: Das Weingut rechnet mit 50 bis maximal 100 Litern, wenn der Saft der gefrorenen Trauben schließlich von der Presse geflossen sein wird. Im Rheingau brachte eine ganze Reihe von Gütern Eiswein ein: so etwa Dr. Wegeler (Geisenheimer Rothenberg mit 170 Grad Oechsle), Fritz Allendorf (500 Liter mit 173 Oeschle), und das Weingut Spreitzer (190 Oechsle). Auf dem Weingut Robert Weil erhofft man sich, dass die Temperaturen im Lauf der Woche noch kälter werden, wodurch ein noch stärkerer Konzentrationseffekt entstehen würde. Die Nacht zu Dienstag war aber nun erst einmal wieder etwas weniger kalt als die erforderlichen minus sieben Grad.

Ahr und Mosel: leider nicht
Zu den Regionen, in denen das Thermometer den ganzen Winter noch nicht unter die entscheidende Marke fiel, zählen die Ahr und die Hessische Bergstraße. Auch an der Mosel dürfte die Eiswein-Lese dieses Jahr weitgehend ausfallen. »Die Trauben sind einfach nicht mehr gut genug«, verlautet etwa aus dem Weingut Sankt Urbanshof in Leiwen. Denn die warmen Dezembertemperaturen waren für den Gesundheitszustand der am Stock belassenen Trauben wenig förderlich. »Dieses Jahr war die Vorarbeit besonders wichtig«, sagt auch Helmut Dönnhoff aus Niederhausen an der Nahe. Der routinierte Eiswein-Winzer hat seit Montagfrüh 300 Liter Eiswein aus der Lage Oberhäuser Brücke im Keller. »Man musste die Trauben sorgfältig schützen, man musste die Botrytis rausholen und die Trauben einpacken, damit keine Schädlinge drangehen, die Trauben dürfen auf keinen Fall freihängen, sonst werden sie auch noch vom Regen ausgewaschen.«

Urlaub abgebrochen
Schließlich berichtet Dönnhoff noch gut gelaunt, dass ihm die aktuelle Eisweinlese besondere persönliche Opfer abverlangt habe: Eigentlich war er nämlich im Urlaub. Sohn Cornelius auf einer Präsentationsreise in den USA. Da kamen von der Nahe die Meldungen über den bevorstehenden Frost. Dönnhoff setzte sich ins Auto. Unterwegs wäre er fast umgekehrt, weil das Thermometer nur um die minus zwei Grad anzeigte. Als er um drei Uhr morgens zuhause in Niederhausen ankam, herrschten minus sieben Grad. Drei Stunden später dann minus neun Grad. »Eisweinwetter wie im Bilderbuch«, so Dönnhoff. »Windstill, aufklarende Nacht, knackige Kälte. Es hat richtig Spaß gemacht, die Trauben zu holen.«

von Uli Sautter