Blick in den Fasskeller des Château Mouton Rothschild

Blick in den Fasskeller des Château Mouton Rothschild
© Alain Benoit / Deepix

En Primeur 2019 im »Home-Office«-Modus

Die Falstaff Wein-Redaktion konnte hunderte Bordeaux-Fassproben in Wien verkosten. Erste Einschätzung zu Qualität und Preisen.

Jahr für Jahr strömten tausende Experten und Händler im Frühjahr nach Bordeaux um die Jungweine vom Fass zu probieren und zu bewerten, um ihren Kunden und Lesern die nötigen Tipps geben zu können, wenn diese einen En Primeur-Kauf ihrer Lieblingsweine in Erwägung ziehen wollten.

Die COVID-19-Krise hat das zum allerersten Mal verhindert.

Um dennoch über den neuen Jahrgang berichten zu können, hat die Falstaff Weinredaktion alle ihre Kontakte genutzt, um die Weine von Bordeaux nach Wien zu bekommen, um diese dennoch bewerten zu können. Heute, nach einer Vielzahl von Emails, Videokonferenzen und Onlineverkostungen, haben wir bereits ein recht gutes Bild vom Jahrgang 2019 gewonnen das wir ab sofort mit ihnen teilen möchten.

Bordeaux en Primeur in Wien

Im Moment sind bereits etwa 250 Weine aus allen Appellationen bewertet. Die detaillierten Tasting Notes werden demnächst auf www.falstaff.com frei verfügbar sein und im Laufe der nächsten Wochen weiter ausgebaut.

Dazu einige Anmerkungen: natürlich gibt es auch Betriebe, die es vorziehen, ihre Weine nicht mit der Post in die ganze Welt hinauszuschicken. Von den Grands Crus Classés war das aber nur ein recht geringer Prozentsatz. Abgesehen von dem einen oder anderen großen Namen, der sich noch etwas ziert, waren es ausschließlich Betriebe die bio oder biodynamisch arbeiten. Also exakt jene, die auch bei den Proben vor Ort keine Muster für Sammelproben der Appellationen zur Verfügung stellen, sondern darauf beharren, dass man ihre Weine am Château verkostet.

Viele andere, die sonst in der En Primeur-Woche routinemäßig am Weingut besucht werden, hatten Erbarmen mit den verkostungswilligen Experten in aller Welt und packten ihren Weine in die Postkartons: darunter Prominenz wie Château Mouton-Rothschild, Cos d’Estournel, Ducru-Beaucaillou, Grand-Puy-Lacoste oder Pontet-Canet vom linken Ufer oder das Haus Moueiux, das seine gesamte Palette nach Wien versandte.

Der Direktor des Conseils des Grands Crus Classés en 1855, Sylvain Boivert organsierte für Falstaff einen Sammeltransport für die Spitzenweine aus dem Médoc und dem Sauternes, die Crus Classés aus Graves traten ebenfalls die Reise nach Österreich an, um das Bild vom linken Ufer zu vervollständigen. Vom rechten Ufer schickte der Grand Cercle nicht weniger als 123 Weine los, die Grands Crus Classés aus St. Emilion werden in den nächsten Tagen eintreffen. So sollte es bis Ende der kommenden Woche möglich sein, rund 400 Weine präsentieren zu können, die dann noch fehlenden werden wohl erst vor Ort nachgeholt werden sobald sich eine Reise nach Bordeaux und zurück unter sicheren Bedingungen durchführen lässt.

Ich möchte an dieser Stelle jenen Weingütern die sich bereit erklärt haben, Muster zu versenden, um die Falstaff-Community mit Informationen versorgen zu können, ganz herzlich für ihr Vertrauen danken, denn das ist keine Selbstverständlichkeit.
Chefredakteur Wein Peter Moser

Es ist schließlich aber auch ein Zeichen der Wertschätzung, die den Bordeauxliebhabern in den deutschsprachigen Ländern entgegengebracht wird, die mit zu den treuesten Kunden der Weine der Gironde gezählt werden dürfen.

Attraktive Preise zeichnen sich ab

Aufmerksamen Beobachtern wird nicht entgangen sein, dass der Markt in Bordeaux bereits in Bewegung gekommen ist. Von den bekannten Weingütern eröffnete letzten Freitag Château Pontet-Canet aus Pauillac mit einem Preis, der 31Prozent unter jenem des Vorjahres lag, diesen Dienstag folgte Château Palmer aus Margaux mit einem Abschlag von 33 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Angesichts der exzellenten Qualität, die 2019 zu bieten hat, waren diese Preise – so gut das in den Ohren der potenziellen Käufer klingen mag – doch auch etwas verwirrend, weil gefühlt zu niedrig angesetzt. Beide Grands Crus Classés setzen auf Biodynamie, und hatten 2018 durch den Mehltau enorme Mengenverluste, 2019 brachte aufgrund der unproblematischen Witterung eine normale Erntemenge. Es bleibt also noch abzuwarten ob sich dieser Preistrend fortsetzt, oder ob dieser nur für jene gültig ist, die im Vorjahr etwa zu hoch lagen, um ihre Ernteausfälle zu kompensieren.

Klar ist, die Weltwirtschaftslage ist für das En Primeur-Geschäft alles andere als rosig, viele wichtige Absatzmärkte haben aktuell andere Sorgen. Ob China oder die USA mit ihrer unberechenbaren Zollpolitik, Großbritannien mit den Folgen des Brexit, ein allgemeiner durch Corona ausgelöster Wirtschaftsabschwung in ganz Europa – alles Faktoren, welche die Châteaubesitzer bei der Preisfindung zu Moderation bewegen könnten. Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, wohin die Reise geht.

Vom Direktor eines Premier Grand Cru hören wir, dass möglicherweise bereits dieses Wochenende die Preise der Spitzengüter kommen könnten. Dann können wir diese bereits mit dem nächsten Newsletter detailliert nachreichen. Stand heute liegt die Vermutung nahe, dass die Preise jetzt sehr schnell publik werden, ganz nach dem Prinzip des Domino-Effekts. Es wird zum ersten Mal sein, dass die Preise schneller kommuniziert werden als die Bewertungen der Fachjournalisten. Wir laden Sie ein, ab Freitag einen regelmäßigen Blick auf www.falstaff.com zu machen, wo wir alle neu verkosteten Wein täglich updaten werden. In der begleitenden Berichterstattung werden wir ihnen die Tipps unserer Experten und regelmäßig Detailinfos zu den verschiedenen Appellationen anbieten.

Denn eines ist sicher, der Jahrgang 2019 hat qualitativ sehr viel zu bieten und das nicht nur im Bereich der Rotweine. Auch die Weiß- und Süßweine verdienen unsere Aufmerksamkeit. Und sollte sich der Preistrend nach unten verfestigen, dann muss man – so man kann – auch in diesen schwierigen Zeiten über einen en Primeur-Kauf ernsthaft nachdenken.

Peter Moser
Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich
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