Der Urtyp-Emmentaler ist würzig und kräftig im Geschmack, auf der Zunge äußerst cremig.

Der Urtyp-Emmentaler ist würzig und kräftig im Geschmack, auf der Zunge äußerst cremig.
© Marvin Zilm

Emmentaler: Zeitreise zum Urgeschmack

Kein Käse wird so oft kopiert wie der Emmentaler – und das, obwohl die Schweiz den echten mittlerweile schützen lässt. Einen jungen Käsemacher brachte das auf eine Idee: Er wagte sich an das Original aus dem Jahre 1291.

Ein nebliger Morgen in Oberbütschel, eine halbe Autostunde südlich von Bern. Es ist sechs Uhr, und vor der Käserei von Theo Zbinden treffen die ersten Bauern mit ihrer Milch ein. Einer tuckert mit der Kanne auf dem Moped vor, ein anderer hat vier Kannen auf der Baggerschaufel seines Traktors. Die Bauern liefern den Grundstoff für eines der meistkopierten Produkte der Welt: Schweizer Emmentaler. Damit die Käse später die geschützte Herkunftsbezeichnung bekommen (Appellation d’Origine Protégée, kurz AOP), darf die Milch aus höchstens 20 Kilometern Entfernung angeliefert werden – so soll gewährleistet werden, dass sie keinen äußeren Einflüssen ausgesetzt ist. In Oberbütschel sind es sogar nur fünf Kilometer. »Denn im Winter können in dieser Landschaft auch fünf Kilometer lang werden«, erklärt Käsemeister Zbinden, der sich 2012 mit seiner Käserei selbstständig gemacht hat.
Theo Zbinden, 39 Jahre alt, hat die Begeisterung für Käse von seinem Groß­vater geerbt. 1994 machte er seine Lehre und arbeitete im Anschluss einige Jahre für die Industrie. Aber dort »war es mir zu wenig kreativ, man konnte nichts selbst bestimmen.« So stieg er in eine Bergkäserei ein, die neben dem Emmentaler noch weitere Käsesorten der Region sowie Joghurt und Butter produziert. Im Laufe der Zeit reifte in ihm die Idee, einen Emmentaler zu produzieren, der wie das Original schmeckt: den Urvater aller Emmentaler, der auf das Jahr 1291 datiert wird. Ein Käse, den noch nie jemand kopiert hat. Theo Zbinden sagt: »Wir betonen immer, dass wir lagerfähigen Käse haben, also machen wir doch etwas daraus!« Der Name lag nahe: Urtyp.

Schweizer Wertarbeit: Ein halber Laib »Urtyp« wiegt etwa 45 Kilo.
© Marvin Zilm
Schweizer Wertarbeit: Ein halber Laib »Urtyp« wiegt etwa 45 Kilo.

6000 Liter Milch am Tag

Welche Milch von welchen Kühen ideal für den Urtyp ist, wird uns nicht verraten. Kein Wunder, dieses Mal soll das Copyright geschützt werden. Klar ist aber: Egal, ob Urtyp oder der geschützte Schweizer Emmentaler, die Milch dafür muss von Heumilchbauern stammen. So vermeidet man den Einsatz von chemischen Zusätzen und Konservierungsmitteln zur Vernichtung von Sporen, die im Silofutter enthalten sind.
Theo Zbinden erhält etwa 6000 Liter Rohmilch am Tag. Davon verwendet er gut die Hälfte für den Emmentaler und stellt damit drei Laibe à 93 Kilo her. Die Produktion läuft für Urtyp und Emmentaler zunächst gleich ab. Die Milch kommt in das sogenannte »Kupfer-Kessi«, also einen Kessel, und wird angereichert mit Milchsäurebakterien. Anschließend wird sie auf 31 Grad Celsius erhitzt und anderthalb Stunden gerührt – ein komplexer chemischer Vorgang beginnt. Danach kommt Lab hinzu, was nichts anderes ist als Enzyme aus dem Lab-Magen von Kälbern. Nach einer Ruhephase gerinnt die Milch durchs Lab. Es entsteht der Käsebruch, im Grunde Frischkäse, würde man ihn abschöpfen. Stattdessen wird der Bruch mit Harfen zerschnitten und wieder gerührt. Nach der Erwärmung auf 53 Grad gelangt die Milch in Pressformen. So entstehen die charakteristischen Laibe, die mit der Marke für Emmentaler AOP versehen werden.

© Marvin Zilm

Um noch mehr Wasser abzugeben, gehen die Laibe in ein Salzbad und anschließend in den Gärkeller, der auf etwa 22 Grad temperiert ist. Die Wärme löst im Käse Gärung aus – über diese Blasen aus Kohlensäuregas entstehen die Löcher. Mit einem kleinen Hammer überprüft der Käser die Reifung: je hohler der Klang, desto mehr Löcher, desto reifer der Käse. Nach frühestens drei Monaten gehen die Käse entweder in den Handel oder zu Affineuren, also zu Spezialisten für die Lagerung und Veredelung von Käsen. Für den Urtyp ist diese Art der Verfeinerung ein Muss.
Einer dieser Keller befindet sich in einem Gebirgstal südlich des Thunersees in einem alten Munitionslager der Schweizer Armee, das in den Berg geschlagen wurde. Er gehört zu Gourmino, einem preisgekrönten Affineur-Zusammenschluss. In ihrem Emmentaler Stollen stapeln sich die Laibe fast fünf Meter hoch auf einer Länge von bis zu 50 Metern. Bei etwa zwölf Grad und rund 90 Prozent Luftfeuchtigkeit bleibt der Urtyp hier mindestens sieben Monate. Das Wenden und Abwischen mit Salzlake übernehmen Roboter. »Wir haben hier 60.000 Laibe, das wäre sonst schon körperlich nicht zu schaffen«, erklärt Michael Kauert von Gourmino. »Aber obwohl wir theoretisch alles digital steuern und am Bildschirm im Büro auslesen könnten, kontrollieren wir die Käse mehrmals täglich persönlich. Es sind schließlich Naturprodukte.«

Mit Harfen wie dieser zerschneidet Theo Zbinden den Käsebruch. Das ist die Voraussetzung, um ihn später zu den typischen Laiben zu formen.
© Marvin Zilm
Mit Harfen wie dieser zerschneidet Theo Zbinden den Käsebruch. Das ist die Voraussetzung, um ihn später zu den typischen Laiben zu formen.

Gerade deshalb kommt es zwölf Monate später zu einer Taxation – dann entscheidet sich, ob ein Laib überhaupt Urtyp werden darf. Kriterien sind ausschließlich Geschmack und »Teigkonsistenz«, wie man sagt. Dem Testerteam aus dem Consortium Emmentaler AOP gehört jeweils auch ein externer Sommelier an. Und selbst wenn nur dieser entscheidet, dass der Geschmack eines Laibes nicht urtypwürdig ist, »dann wird der herausgenommen«, bestätigt Stefan Gasser, Direktor des Consortiums. Der Urtyp erhält seine Marke mit Informationen zur Käserei und Produktionsdatum daher auch erst hier im Lager.
Aber wie schmeckt er denn nun, dieser Urtyp? Wir probieren eine Scheibe, die direkt von einem 16 Monate alten Laib geschnitten wird. Hm, wie das duftet! Der Käse hat während der langen Reifung eine schöne, kräftige Aromatik entwickelt, der Teig ist weich und cremig im Abgang. Eine echte Delikatesse! Wenn das der Geschmack von 1291 ist, hat Theo Zbinden auf jeden Fall alles richtig gemacht.

Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2018

Zum Magazin

Stephanie Bräuer
Autor
Mehr entdecken
Mehr zum Thema
Rezept
Bergkäse-Croque Monsieur
Paris meets Vorarlberg oder ein Schinken-Käse-Toast wie in der französischen Schweiz. Nach dem...
Von Redaktion
Opernball
Fondue Moitié-Moitié
»Die Frage nach dem Ursprung des Fondue au Fromage bleibt ein stetiger Kampf zwischen Frankreich...
Von Bertrand de Billy
Käse
Tiroler Kaspressknödel
Schmeckt nicht nur in den Bergen: Die berühmten Tiroler Kaspressknödel – Falstaff weiß, wie...