Farbenfroh: Oliviero Toscanis Spitzencuvée »OT« wird in drei Varianten etikettiert: in Gelb, Cyan und Magenta. 

Farbenfroh: Oliviero Toscanis Spitzencuvée »OT« wird in drei Varianten etikettiert: in Gelb, Cyan und Magenta. 
© Oliviero Toscani

Ein Fashion-Fotograf entdeckt die Liebe zum Wein

Als Provokateur in der Modefotografie hat Oliviero Toscani Geschichte geschrieben. Sein privater Rückzugsort in der Toskana ist ein weitläufiges Gehöft. Der MAN’S WORLD-Talk über Wein, Design und guten Geschmack.

Oliviero Toscani steht im Stall. Er trägt eine Fleecejacke, eine Trainingshose und ­Sneakers: Bevor er sich umdreht und dem Betrachter sein markantes Gesicht, eine kobaltblaue Brille und ein grelloranges Hemd zuwendet, könnte man ihn für den Pferdeknecht halten. Doch auch mit 75 Jahren ist Toscani noch Stil-Ikone, weiß kräftige und wirkungsvolle Akzente zu setzen, die auch im animalischen Dampf eines solchen Ortes ­bella figura machen. Toscanis Aufmerksamkeit gilt in diesem Moment ganz und gar seinem zweieinhalbjährigen Enkel, dem nun ein kinderkopfgroßer Helm übergestülpt wird und der sich einen Moment später auf dem Sattel eines Pferdes wiederfindet. Mit größter Freude hält der Kleine einen Zügel in der Hand. Toscani leitet das Pferd an einem Strick aus dem Stall, nimmt dabei ein Telefonat an und blickt beim Davonspazieren keine Sekunde zurück. »Oh Papa«, stöhnt Rocco Toscani, der Sohn Olivieros und Vater des Kleinkinds, und eilt dem Tross hinterher.

Ein wiederkehrendes Motiv: Die Vielfalt des menschlichen Aussehens und der Reiz des Unterschieds. 
© Oliviero Toscani
Ein wiederkehrendes Motiv: Die Vielfalt des menschlichen Aussehens und der Reiz des Unterschieds. 

Ein Draufgänger, das war Oliviero Toscani auch in seinem beruflichen Werdegang – aber auch stets einer, der Risiken zu kalkulieren wusste. Während seiner Zeit als Art Director bei Benetton schockierte er die Öffentlichkeit, als er das Foto des sterbenden Aids-Kranken David Kirby plakatierte: Die Anspielung des – angekauften – Motivs auf Michelangelos »Pietà« rief wütende Proteste hervor, veränderte aber auch den Blickwinkel einer großen Öffentlichkeit auf die HIV-Infektion. Dieselbe Blaupause der Provokation als Denkanstoß nützte Toscani auch später, sei es mit der Abbildung eines magersüchtigen Models oder des blutigen T-Shirts eines im Bosnienkrieg gefallenen Soldaten.
Kann so jemand auch eine private Person sein? Am Nachmittag desselben Tages – Tos­cani, Sohn und Enkel sind bester Laune von ihrem Spaziergang mit Pferd zurückgekehrt – sitzt Toscani auf der Piazza im Ort Casale Marittimo. »Ich habe in Paris gearbeitet und in New York«, sagt Toscani und kippt seinen Espresso. »Aber das hier ist es.« Ein paar Kilometer außerhalb der Ortschaft beginnt Toscanis kleines Reich – ein rund 150 Hektar großes Landgut, das Wein und Ölivenöl ­produziert, auf dem Cinta-Senese-Schweine leben und Pferde. Dabei ist Toscani wichtig zu betonen, dass der Besitz kein Mammut-Investment eines Superreichen, sondern über vier Jahrzehnte organisch gewachsen ist. 

»Beim Etiketten-Design gibt es auch positive Beispiele.
Das Gaja-Etikett ist pures Bauhaus. Aber viele Etiketten
gleichen Leuten, die sich für die Oper chic machen wollen.«
Oliviero Toscani 

Vom Wohnhaus ­ausgehend, in dem Toscani mit seiner aus Norwegen stammenden Frau Kirsti eine Familie gegründet hatte, kaufte das Ehepaar Parzelle um Parzelle hinzu. Der Weinbau (zwölf Hektar) begann spät: Ende der Neunzigerjahre erkannte Angelo Gaja die Eignung des Landes und bot sich an, als Berater tätig zu werden. Weil der Boden große Ähnlichkeit zur berühmten Terra Rossa des ­Barossa ­Valley aufweist, fiel die Sortenwahl auf Syrah, ergänzt um kleinere Partien Cabernet Franc, Petit Verdot und Teroldego.

Man’s World: Einige der berühmten Bol­gheri-Supertoskaner wie Sassicaia, Ornellaia wachsen nur einen Steinwurf von Ihrem Weinberg entfernt. Trotzdem hat Ihr Wein nur Anrecht auf die Bezeichnung »IGT Toscana« ohne eine nähere Herkunftsbezeichnung.

OLIVIERO TOSCANI: Früher gab es hier keinen Weinbau, daher gibt es auch keine Herkunftsbezeichnung und kein »disciplinare«, wie das auf Italienisch heißt. Das ist der Kodex, in dem steht, was man zu tun und zu lassen hat. Darum sage ich immer: Wir sind ein undiszipliniertes Weingut. Ich glaube an Disziplinlosigkeit, irgendwann möchte ich mal einen »Club der undisziplinierten Weingüter« gründen.

Da wüsste ich sofort ein paar Winzer, die mitmachen würden …

Das ist schön zu hören, aber gut müssen die Weine na­türlich sein!

Wie groß sind die Ähnlichkeiten zwischen der Welt der Modefotografie und dem Wein?

Die Unterschiede sind groß, Design, Fotografie und Modewelt sind viel fortschrittlicher. Beim Wein gibt es noch viele sehr alte und konservative Einstellungen, manche Leute denken, dass man ein Adliger sein muss, um guten Wein zu machen.

Geht es nicht bei beiden Lebensbereichen manchmal darum zu beeindrucken?

Aber glauben Sie denn wirklich, dass eine 300-Euro-Flasche zehnmal besser ist als eine 30-Euro-Flasche? Man ist ja auch nicht zwingend elegant angezogen, nur weil man einen teuren Anzug trägt. Eine Jeans und dazu ein T-Shirt aus dem Museum of Modern Art – das kann viel eleganter sein als Valentino.

Das Etikett Ihres Top-Weins »OT« gibt es in Gelb, in Cyan und Magenta. Warum das?

Das ist eine Hommage an meinen Lehrer Johannes Itten, bei dem ich in Zürich studiert habe. Er hatte Anfang der Zwanzigerjahre im Bauhaus gelehrt und später eine bedeutende Farbentheorie entwickelt. Daher die Etiketten in den drei Grundfarben seines Farbkreises. Der Wein ist in allen Flaschen der gleiche, auch wenn manche Leute behaupten, aus einer der Farbvarianten schmecke er ihnen besser.

Manche Wein-Etiketten müssen für Sie schwer zu ertragen sein. 

Es gibt auch positive ­Beispiele, etwa das Gaja-Etikett. Das ist pures Bauhaus. So einfach zu sein, ist sehr kompliziert. Aber viele Etiketten gleichen Leuten, die sich für die Oper chic machen wollen. Wenn sie dann auch noch versuchen, reich auszusehen, fangen die Probleme an. So ist es auch beim Weinetikett: Wenn man zu viel sagen will, sagt man am Ende gar nichts.

Ertragreich: Drei Weine produzieren Oliviero Toscani und sein Sohn Rocco: «I Toscani», die Top-Cuvée «OT» und «Quadratorosso». 
© Oliviero Toscani
Ertragreich: Drei Weine produzieren Oliviero Toscani und sein Sohn Rocco: «I Toscani», die Top-Cuvée «OT» und «Quadratorosso». 

Oliviero Toscanis Weine

  • 2015 »I Toscani«: Dunkelbeerig im Duft, voll am Gaumen mit mildem Gerbstoff, ein hochwertiger Alltagswein, gekeltert zur Hälfte aus Syrah und Teroldego.
  • 2015 »Quadratorosso«: In der Frucht komplex, am Gaumen druckvoll und ausgewogen: Die Fülle bleibt kontrolliert.
  • 2011 Rosso »OT«: Eine erste Entwicklung im Duft, mit trüffligen Noten, am Gaumen auf schwerelose Weise dicht, seidig, saftig und kräftig eisenmineralisch. 

www.gute-weine.de
www.zanini.ch
www.flaschenpost.ch

Aus dem Man's World Magazin 01/2016 

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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