Ei love you - Protagonist statt Nebendarsteller

Eier sind auf wundersame Weise in Mode gekommen. Jetzt hat auch noch der Handel das »politisch korrekte Ei« auf den Markt gebracht. MIT REZEPTEN.

Auf jeder Speisekarte von Welt findet sich neuerdings wieder ein Eiergericht: ob geräuchert wie im »Noma« in Kopenhagen, als Onsenei im »Fischers Fritz« in Berlin, als Hauptgang im Gemüsemenü von Nils Henkel im Gourmetrestaurant »Lerbach« oder sogar in Desserts wie dem Eierflan in Form eines Hühnereis im »Ikarus« im Salzburger Hangar-7 oder als in Zuckerlösung gegarter Dotter im »Fäviken« in Schweden. Parallel zum Eier-Boom in der Spitzengastronomie arbeiten Handel und Eierproduzenten am politisch korrekten Ei. Das klingt ironischer, als es gemeint ist, denn: In Pionierprojekten werden die männlichen Küken nicht mehr wie üblich nach dem Schlupf getötet, sondern im Freiland zu Junghähnen gemästet. Das Land Nordrhein-Westfalen ist europaweit sogar Vorreiter: Ende September wurde dort nämlich das Töten männlicher Eintagsküken verboten.

Rezepte mit Wein-Tipps:

>>> »Golden Egg«: Ei mit Blattgold

>>> Gebackenes Kaviar-Ei mit Sauerrahmsauce

>>> Senf-Ei mit Roter Rübe

Ei ist in
Der Freude am vielseitigen Lebensmittel Ei wird heute mithilfe von Hightech und modernen Gartechniken Ausdruck verliehen. Neu ist sie nicht. Bereits vor 150 Jahren versammelte Alexandre Dumas in seinem »Großen Wörterbuch der Kochkunst« über 40 Eierrezepte, für die alleine sich die Anschaffung des bibliophilen Werkes lohnt. Darunter sind Eier mit Mandeln, à la demoiselle mit Mandelmakronen und Orangenblütenwasser ebenso zu finden wie Rühreier mit Endivien für Festtage oder Eier mit Estragon, für die das berühmte Kraut mit dem süßen Anisaroma zuvor blanchiert werden muss. Eier mit Trüffeln, Krebsen, Rebhuhn und Gänseleber waren selbstverständlich. Auffällig ist, dass pikante Eiergerichte damals oft mit einem Spritzer Säure – Verjus oder Essig – aufgetragen wurden. Und auch Säure erlebt in den Avantgarde­küch­en gerade ein Revival als wichtige Geschmackskomponente. In Frankreich waren nach Grimod de la Reynière schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts 543 Eiergerichte bekannt. Eier waren und sind aus der Küche nicht wegzudenken, sie sorgen für Geschmack, Struktur, Volumen, Farbe, Textur und Geschmeidigkeit – und für Sättigung.

Morchelrisotto mit lauwarmem Eigelb von Spitzenkoch Hans Haas / Foto: beigestellt

Wenn es um die Frage geht, wie gesund Eier sind, so bescherte uns das 20. Jahrhundert einen wahren Eiertanz. Durch die Angst vor zu viel Cholesterin wurde das Ei bis heute den Stempel »gesundheitsgefährdend« nicht mehr los. Dabei ist alles ganz anders. Choles-terin wird nämlich vom Körper selbst gebildet, es ist besonders fürs Gehirn wichtig, das zu einem großen Teil aus dem Fettbegleitstoff besteht. Über die Ernährung ist der Cholesterinspiegel jedoch kaum beeinflussbar. Eier haben die ideale biologische Wertigkeit, die der Körper braucht, um möglichst großen Nutzen aus ihrem Aminosäurenspektrum zu ziehen.

Obwohl in Deutschland rund 217 Eier pro Kopf und Jahr gegessen werden, legen die Hennen in riesigen Ställen Milliarden von Eiern. Um die Situation für die Tiere zu verbessern, wurde 2012 EU-weit ein Käfigeierverbot durchgesetzt. Nun hat die Branche ein weiteres Tabuthema in Angriff genommen: das Töten der männlichen Küken. Heutige Legehennen sind Hochleistungshybriden. Ihre männlichen Geschwister können keine Eier legen und setzen kaum Fleisch an, werden also nicht gebraucht. Sie wurden bislang direkt nach dem Schlupf getötet, durch Schreddern oder Vergasen. Die Branche ist so spezialisiert und zentralisiert, dass das für alle Eier gilt, egal ob aus Boden-, Freiland- oder Biohaltung.

Zur Vorspeise oder als Zwischengang: das »l’oeuf chaud froid« von Alain Passard / Foto: beigestelltIn Deutschland sind als Antwort darauf unabhängig voneinander mehrere Bio-Initiativen entstanden, die die Brüder der Legehennen wieder aufziehen, z. B. das Hermannsdorfer Landhuhn, die »Bruderhahn Initiative Deutsch­land« oder die Aktion »ei care«. Sie setzen neue Rassen bzw. Kreuzungen wieder wie früher als Zweinutzungshuhn ein. Die Hennen legen zwar etwas weniger und kleinere Eier, ihre Brüder setzen aber durchaus Fleisch an. Rückendeckung bekommen sie durch den Ende September getroffenen Beschluss des Landes Nordrhein-Westfalen, das Töten männlicher Eintagsküken ab sofort zu verbieten. Die Regelung soll nach sehr kurzen Übergangsfristen bereits 2014 gelten, was durch­aus Vorbildwirkung haben könnte. Nur gut die Hälfte aller pro Kopf und Jahr gegessenen Eier sind jedoch sogenannte »Schaleneier«. Fast ebenso viele Eier verstecken sich in industriell verarbeiteten Nahrungsmitteln bzw. in Gerichten der Gastronomie. In beiden Fällen sind Käfigeier, obwohl diese Haltungsform EU-weit verboten ist, nicht auszuschließen: über die Hintertüren Flüssig- und Pulverei kann Ei aus der ganzen Welt verwendet werden.

Hans Haas: Der gebürtige Österreicher ist Küchenchef im Münchner »Tantris«. Er lernte unter anderem bei Eckart Witzigmann / Foto: PREinen ganz anderen Weg gehen jene Köche und Köchinnen, die auf das Ei als Hauptdarsteller auf dem Teller setzen. Eckart Witzigmann hat seinen geliebten Rahmspinat mit Spiegelei und Trüffeln, eine Variante der in Italien und Frankreich üblichen Kombination aus Ei und Trüffel, im deutschsprachigen Raum salonfähig gemacht. Den Klassiker von Hans Haas im »Tantris«, das »Gebackene Ei auf Rahmspinat«, haben längst auch Szenelokale und experimentierfreudige Hobbyköche für sich entdeckt. Der Berliner Sternekoch Christian Lohse vom »Fischers Fritz« ist gar durch ein Eiergericht berühmt geworden. Sein Onsenei hat er sich 2004 bei einer Köchin im Haus staunend abgeschaut und neu interpretiert. Die machte das schon seit Jahren so fürs japanische Frühstück des Hotels.

Onseneier sind ursprünglich in heißen japanischen Quellen (Onsen) bei unter 70 Grad gegarte Eier. Sie bekommen dadurch eine ganz besonders cremige Textur, nicht vergleichbar mit einem kurz gekochten Ei. Lohse verwendet ausschließlich Demeter-Eier aus biodynamischer Landwirtschaft und bereitet sie im Dampfgarer zu. Je nach Saison kombiniert er das Ei mit Pilzen oder Gemüse und Kräutern zu seinem Klassiker, der immer auf der Karte steht.

Ideale Trägersubstanz für Trüffel
»Sie brauchen auch bei einem Gemüsemenü einen gewissen Spannungsbogen«, erklärt Nils Henkel vom Gourmetrestaurant »Lerbach« in Bergisch-Gladbach seine Vorliebe fürs Ei. Der für seinen Küchenstil »Pure Nature« über die Bundesgrenzen hinaus geschätzte Zwei-Sterne-Koch nennt gleich mehrere Gründe, warum das Ei sich so gut im Gemüsemenü macht: »Weil es interessant in der Reihenfolge der Gänge ist, weil es die ideale Trägersubstanz für Trüffel ist und weil es dazu geeignet ist, Höhepunkte im Menü zu schaffen.« Henkel bezieht seine Hühner-, Enten- und Wachteleier seit Jahren vom Bauernhof direkt gegenüber dem Schlosshotel Lerbach. Warum das Ei wieder in Mode kam, erklärt er mit der Sous-Vide-Methode, bei der das Ei ähnlich wie ein Onsenei 45 Minuten bei 65 Grad gegart wird und anschließend zehn Minuten lang ruht: »Letztendlich ist das Eigelb das Entscheidende. Durch diese Methode wird es besonders cremig und damit zu einem schönen Bindeglied zwischen anderen Komponenten eines Gerichtes.«

Der vegetarische Drei-Sterne-Koch Alain Passard aus Paris hat ebenso seine Vorliebe für Ei entdeckt / Foto: pRDas Spiel mit dem Dotter sorgt auch beim »Klassiker des Jahres 2011« der »Weinbar Rutz« in Berlin für Überraschung. Küchenchef Marco Müller hat das beliebte»1000-jährige Landei mit Waldpilzen und Erbsen« nach wie vor auf der Karte. Es wird wie ein Onsenei gegart, dann werden wenige Tropfen Apfelbalsamessig vom Wiener Essigbrauer Erwin Gegenbauer direkt mit der Pipette in den Dotter injiziert. Ergebnis: ein reizvoller Kontrast aus molligem Ei und süß-saurer Fruchtigkeit. Apropos Wien: In Toni Mörwalds »Kochamt« wird der Dotter per Injektionsnadel herausgezogen und, mit Aromen befüllt, wieder hineingespritzt.

René Redzepis vergleichsweise harmlose geräucherte Wachteleier als Gruß aus der Küche des »Noma« in Kopenhagen sind zum viel fotografierten Signature Dish geworden. Magnus Nilsson macht in seinem Restaurant »Fäviken« in Nordschweden aus einem in heißer Zuckerlösung gegarten Dotter ein Dessert. Er bettet den warmen, flüssigen und süßen Dotter auf knusprige Baumrindenbrösel und serviert dazu das passende Eis, zum Beispiel von jungen Birkenblättern.

Ei im Eis ist ein alter Hut. Ei zum Eis holt jedoch am Ende eines Menüs eine der wichtigsten und kostbarsten Zutaten fast aller Küchen weltweit vor den Vorhang.
Wenn kreative Köche dem Ei also wieder die Reverenz erweisen und Konsumenten beim Einkauf wirklich anständige Eier zur Wahl haben, dann könnte das – wie schon beim Käfigeier-Verbot – der Beginn einer zweiten Eier-Revolution sein.

Text von Katharina Seiser

Aus Falstaff 07/2013 und Falstaff Deutschland 06/13

Katharina Seiser
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