© Landesmedienservice / Stefan Wiesinger

Doskozil: »Die Vielfalt macht uns aus«

Schon nach einer kurzen Amtszeit hat Landeshauptmann Hans Peter Doskozil riesige Meilensteine für sein Land gesetzt. Ein Gespräch über Visionen, die Biowende und Begegnungen auf Augenhöhe.

FALSTAFF: Was zeichnet das Burgenland bzw. seine Bewohnerinnen und Bewohner besonders aus? 
Hans Peter Doskozil: Das Burgenland ist ein sehr vielseitiges Bundesland, geprägt von seiner Geschichte als Grenzregion. Die unterschiedlichen Volksgruppen sind wohl der größte Reichtum unseres Bundeslands sowie ein fester Bestandteil der burgenländischen Identität, und das zeichnet das Burgenland aus. Daher steht das 100-jährige Jubiläum auch im Zeichen dieses fried-lichen Miteinanders der Kulturen und Konfessionen. Was die Bewohnerinnen und Bewohner auszeichnet? Enorme Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit, würde ich sagen, die uns beim Ungarn-Aufstand 1956, bei der Krise in der Tschechoslowakei 1968, beim Fall des Eisernen Vorhangs 1989 oder bei der »Flüchtlingskrise« 2015 international große Anerkennung gebracht haben.

Wie hat sich der Typus »Burgenländer« in den letzten 100 Jahren entwickelt? 
Gleich geblieben sind unsere Gemütlichkeit und Gastfreundschaft. Der Typus »Burgenländer« ist aber heute viel selbstbewusster als noch vor einigen Jahrzehnten. Das kommt, glaube ich, auch daher, weil wir unsere Identität gefunden haben und wissen, dass wir in einem schönen, sicheren und stabilen Land leben.  

Wie ist Ihr ganz persönlicher Zugang zum Thema 100 Jahre Burgenland? 
Privat denke ich da an meine eigene Familie. Ich habe mich schon in der Schulzeit für die Geschichte der Doskozils interessiert. Doskozil schrieb man früher übrigens mit c – das zeigt, dass meine Vorfahren aus Böhmen stammen. Ich besitze ein Foto, das die Hochzeit meiner Großeltern zeigt. -Dieses Bild steht stellvertretend für die Umstände, wie sie damals, in den 40er-Jahren, waren: Wir sehen die Hochzeitsgesellschaft, vorne sitzend das Brautpaar, ganz links sieht man die alleinstehende Tante aus Amerika, die für die Hochzeit eigens angereist war. Ganz rechts oben sieht man den Onkel meiner Mutter, der wenige Wochen nach der Aufnahme an einer Zahnentzündung verstarb – was die niedrigen medizinischen Standards von damals zeigt. Die beiden Weltkriege hinterließen auch in meiner Familie traurige Spuren: Mein Großvater fiel im Zweiten Weltkrieg in Stalingrad, mein Urgroßvater kam im Ersten Weltkrieg ums Leben. Dieses Foto berührt mich und prägt auch meinen persönlichen Zugang zu unserem Jubiläumsjahr, weil es eben zeigt, wie die Menschen noch vor wenigen Jahrzehnten gelebt haben. Sie haben unser Land aufgebaut, haben Kriege durchgemacht, sind nach Amerika ausgewandert und haben durch ihren starken Zusammenhalt unser Land zu dem gemacht, was es heute ist – ein lebenswertes Bundesland, das sich immens entwickelt hat. 

Das Burgenland hat in den ersten 100 Jahren viel erreicht. Jetzt zum »+1«: Welche Herausforderungen müssen für die Zukunft gestemmt werden? 
Mit der Biowende sind wir in Sachen »Bio« und Regionalität bereits wichtige Schritte gegangen, nun stehen auch Umwelt- und Klimaschutz ganz oben auf unserer Agenda, etwa mit einer groß angelegten Photovol-taik-Offensive. Wir wollen im Burgenland die Energiewende schaffen und schon 2030 -klimaneutral werden. Dazu braucht es Motivation, Ideen und die Bevölkerung. Wer in die Zukunft blickt, muss auch andere Felder weiterdenken. In der Pflege etwa müssen wir vorausschauend handeln, um Betreuung der älteren Generation auch künftig sicherzustellen. Daher haben wir unser Anstellungsmodell zum burgenländischen Mindestlohn von 1.700 Euro netto bei Vollzeit ins Leben gerufen, das europaweit gefragt ist. Die pflegenden Angehörigen sind damit auch sozialrechtlich abge-sichert. Wir treiben auch andere Schlüsselthemen der Zukunft voran: Mindestlohn, wohnortnahe medizinische Versorgung oder Bildung. Wir leben in einem sicheren Land, das soll auch weiterhin so bleiben. Vor 100 Jahren hätte sich wohl niemand gedacht, dass wir zum Vorzeigebundesland werden – das erzählt mir die ältere Generation auch immer wieder. 

© Landesmedienservice / Stefan Wiesinger

Kennen Sie Menschen bzw. wie sehr beeindrucken Sie die Menschen, die noch viel von diesen alten Zeiten erzählen können? Was kann man von ihnen lernen? 
In unserem Jubiläumsjahr habe ich einige 100-Jährige besucht. Ich habe ihnen lange zugehört und war beeindruckt von ihrer Sichtweise. Ich finde, man kann von der älteren Generation vor allem Dankbarkeit lernen. Auch Fleiß und Gemeinschaftssinn sind Eigenschaften, die ich dieser Generation zuschreibe. 

Wie ist es in den letzten Jahrzehnten gelungen, das Burgenland vom »Entwicklungsland« zur Vorzeigeregion zu machen? 
Wie gesagt, es waren die Vorgängergenerationen, die durch ihren Fleiß und Zusammenhalt dieses jüngste Bundesland so weit nach vorne gebracht haben. Politisch und wirtschaftlich gesehen haben wir vor allem vom EU-Beitritt Österreichs enorm profitiert. Seit dem Beitritt 1995 flossen rund 2,8 Milliarden Euro an Förderungen ins Land, ausgelöst wurden damit Förderungen in einer Größenordnung von sechs Milliarden Euro. In nahezu allen volkswirtschaftlichen Kenngrößen entwickelte sich das Burgenland signifikant besser als das übrige Bundesgebiet.

Auch in Bezug auf den Wein hat sich das Burgenland nach vorne katapultiert. Wein und Tourismus – wie kam das aus Ihrer Sicht so, wie es sich heute darstellt? 
Die zahlreichen internationalen Auszeichnungen für unsere burgenländischen Weine sind auch eine Auszeichnung für das Burgenland. Die Leistungen der Winzer, die das burgenländische »Weinwunder« ermöglicht haben, stehen beispielhaft für den Erfolgsweg des Burgenlands. Mit Weitblick, kompromisslosem Qualitätsstreben und großem Innovationsgeist haben wir im Burgenland in Hinblick auf Weintourismus schon früh Maßstäbe gesetzt. Somit ist der Wein mittlerweile essenzieller Teil der Genussregion Burgenland und stellt neben Kultur, Natur, Sport und Kulinarik eine der fünf pannonischen Tourismussäulen dar. Wir sind ein Land für Genießer, das zieht Gäste an, die den sanften Tourismus suchen, und der Wein gehört dazu. 

Jubiläumsjahre sind meist sehr zeitintensiv, in ihnen entsteht aber auch vieles, das nicht mit Jubiläumsende verschwinden sollte – »100 + 1« lautet also das Motto. Was ist gekommen, um zu bleiben? 
Vieles. Zahlreiche Projekte sind initiiert, so soll es künftig eine eigene Burgenland-Mode-Kollektion geben. Einige Bücher zur Geschichte unseres Landes sind im Jubiläumsjahr herausgekommen, die sind bestimmt auch in 100 Jahren noch interessant. Das Jubiläumsjahr wird vielen, die daran teilgenommen haben, in Erinnerung bleiben. Auch wenn die Feierlichkeiten aufgrund der Coronapandemie teils anders verlaufen mussten – rückblickend wird man sich positiv an die vielen schönen Momente, die uns dieses Jahr geboten hat, erinnern. Die Jubiläumsausstellung »Wir sind 100. Burgenland schreibt Geschichte« auf der Friedensburg Schlaining wird begeistern, bis die Räumlichkeiten der Burg zum »Haus der Zeitgeschichte« werden – mit wechselnden Sonderausstellungen. Bis es so weit ist, erzählt die Ausstellung die Erfolgsgeschichte vieler Generationen, die im Burgenland gelebt und gearbeitet haben. Erstmals wird eine Führung im Audioguide nicht nur in deutscher und in englischer Sprache angeboten, sondern auch auf Ungarisch, Kroatisch und – eine Besonderheit – auch auf Romanes. Dasselbe gilt für das Begleitmagazin zur Ausstellung. Ein klares Statement für die nächsten -Jahrhunderte!

Diese Volksgruppen haben es also in das Zentrum der burgenländischen Identität geschafft? 
Definitiv. Es ist mir ein Anliegen, die Bedeutung der Volksgruppen im Land bewusst hochzuhalten. Gerade sind wir dabei, ein gemeinsames Projekt mit den Volksgruppen zu erarbeiten – ein Volksgruppenzentrum soll entstehen. Wir haben uns bereits in unsrem Regierungsprogramm zur Förderung unseres reichhaltigen kulturellen Erbes bekannt. Wir unterstützen ein breites Volksgruppenangebot, Brauchtumspflege und Mehrsprachigkeit. 

© Landesmedienservice / Stefan Wiesinger

Nicht nur die vielen Volksgruppensprachen spiegeln die Vielfalt des Burgenlands
wider, auch landestypische Rezepte bilden die bedeutende Rolle der verschiedenen Kulturen ab. 

Richtig! Gulasch zum Beispiel ist ungarisch, aus unserer Küche aber nicht wegzudenken. Nicht zuletzt diese regionalen Schmankerl, die vielen Süß- und Mehlspeisen, die traditionell zu den burgenländischen Festtagen kredenzt werden und deren Rezepte von Generation zu Generation weitergegeben werden, repräsentieren den Schmelztiegel der Kulturen, der uns Burgenländer ausmacht.

Wenn Sie die Küche beschreiben, wird klar: Sie leben in einem Genussland. Sind Sie ein Genießer? 
Das bin ich mit Sicherheit. Ich liebe die burgenländische Hausmannskost. Auch wenn ich derzeit mehr denn je auf meine Ernährung achte. Meine Lebensgefährtin Julia hat einige Unverträglichkeiten und bei ihrer Ernährungsumstellung habe ich mitgemacht. Gesund zu essen, regional und »biologisch« einzukaufen ist uns wichtig, aber das schließt den Genuss ja keineswegs aus. Julia zaubert wunderbare Speisen – auch Nachspeisen – in gesunden Varianten. Mein Geschmackssinn hat sich dadurch auch ein bisschen verändert, muss ich zugeben. Was mir allerdings ein wenig fehlt, ist die Zeit, für und mit Freunden zu kochen. Früher habe ich das öfters in meinem Terminkalender untergebracht, ich habe leidenschaftlich gerne gekocht. Derzeit ist einfach selten die Zeit dafür, aber auch die wird wiederkommen.

Sie wünschen sich künftig mehr Zeit fürs Kochen. Was wünschen Sie dem -Burgenland für die nächsten 100 Jahre? 
Dass es das selbstbewusste Bundesland bleibt, das es mittlerweile ist. Mir ist -wichtig, dass sich die Burgenländerinnen und Burgenländer mit ihrem Heimatland identifizieren können, dass sie stolz aufs Burgenland sind. Mein Ziel für die Zukunft ist es, dafür Sorge zu tragen, dass der Wohlstand möglichst bei allen ankommt, dass die Politik ihrem wichtigsten Auftrag gerecht wird: die konkreten Lebensumstände der Bevölkerung zu verbessern. Daher strecken wir auch jenen die öffentliche Hand aus, die sie benötigen. Wir arbeiten weiter an sozialer und wirtschaftlicher Sicherheit und Gerechtigkeit im Land, das kann ich versprechen.


Mehr zum Thema