Nicht nur Rotwein profitiert von einer Belüftung durch Dekantieren, auch für viele Weiß-, Rosé- und Schaumweine ist ein Quantum Sauerstoff sehr förderlich.

Nicht nur Rotwein profitiert von einer Belüftung durch Dekantieren, auch für viele Weiß-, Rosé- und Schaumweine ist ein Quantum Sauerstoff sehr förderlich.
© Riedel Glas

Die Kunst des Dekantierens

Schick und funktional: Der Dekanter ermöglicht uns den perfekten Weingenuss. Falstaff erklärt, was beim Dekantieren alles zu beachten ist.

Für die einen ist es ein Buch mit sieben Siegeln, für andere ein affiges Getue. Aber was heißt es denn eigentlich zu dekantieren? Nun, im Grunde nichts anderes, als den Wein von einer Flasche in eine andere, meist schönere Karaffe zu füllen. Das hat mit Tischkultur, aber noch viel mehr mit Genusskultur zu tun. Lange galt es überhaupt als unschicklich, eine Weinflasche auf den gedeckten Tisch zu stellen. Heute zeigen Gastgeber durchaus auch gerne her, welche Kreszenzen sie für ihre Gäste zu opfern bereit sind. Die repräsentative Rolle einer schönen Glaskaraffe oder Schenkkanne wird dadurch nicht geschmälert, in der heutigen Zeit ist die Rolle der Dekantierkaraffe allerdings als Instrument zum perfekten Weingenuss deutlich in den Vordergrund gerückt, wenngleich es hier an ausgefallenem Design auch nicht mangelt.

Warum dekantieren

Zwei Hauptziele verfolgt man mit dem Dekantieren. Das erste ist, den Wein in der Flasche von festen Rückständen, dem sogenannten Depot zu trennen, um einen klaren Wein ins Glas zu bekommen. Dieser feine Bodensatz tritt bei Rotweinen in Form von verfestigten Bestandteilen der Farb- und Gerbstoffe auf, die der Wein nach einer Flaschenreifedauer von etwa fünf bis zehn Jahren abgibt. Das Depot ist in keiner Weise ein Fehler, sondern trägt positiv zur aromatischen Ausbildung des Weines im Alterungsprozess bei. Werden Weine ungefiltert auf die Flasche gefüllt, ist der Anteil der Feststoffe entsprechend höher. Wird die Flasche aber nur geöffnet, dann sollte man sicherstellen, dass das ausgefallene Depot in der Flasche verbleibt und nicht aufgewirbelt wird. Denn sonst wird der Rotwein nicht nur trübe, sondern im schlimmeren Fall auch bitter.

Zudem wird der Oxidationsprozess in der Karaffe wie im Glas beschleunigt. Bei Ablagerungen im Weißwein handelt es sich in aller Regel um Weinstein, dabei handelt es sich um unproblematische geschmacklose Kristalle der Weinsäure, aber auch die möchte man nicht gerne im Glas haben. Sollte ein Wein keine klare Farbe aufweisen, so kann dies ein Indiz dafür sein, dass er nicht mehr in Ordnung ist, vom Konsum ist dann abzuraten. Bei den in jüngerer Zeit propagierten Natural Wines und Orange Wines, die auch Parameter wie Sorten- oder Herkunftstypizität bewusst negieren, spielt hingegen das optische Erscheinungsbild des Getränks eine weniger bedeutende Rolle.

Wein muss atmen

Der zweite Grund, einen Wein zu dekantieren, ist, ihm durch gezielte Sauerstoffzufuhr die Möglichkeit zu geben, seine Aromatik voll zu entfalten, den Wein also »atmen« zu lassen. Um die Dauer der optimalen Belüftung eines Weines richtig einschätzen zu können, braucht es Erfahrung, denn das hängt stark mit Art und Alter des jeweiligen Weines zusammen. Es gibt dafür also kein Patentrezept, aber einige logische Ansätze.

Ein kraftvoller, junger Rotwein wird von einigen Stunden, ja manchmal sogar Tagen profitieren, weil ihn die Lufteinwirkung runder und weicher erscheinen lassen wird. Konzentrierte Weine mit viel Gerbstoff und entsprechendem Ausbau in Holzfässern, wie etwa Barolo, brauchen mehr Zeit als eine Rioja Gran Reserva, deren Tanninstruktur durch sehr lange Reifedauer im Fass bereits gezügelt wurde. Je älter ein Wein, desto kürzer wird die Belüftungsdauer sein, um nicht die feinen Bukettnuancen an die Oxidation zu verlieren, bei feinduftigen Rebsorten wie Burgundern ist generell Vorsicht geboten. Zwar ist es ratsam, auch reife Burgunder von einem Depot zu trennen, denn dieses kann sich auf den Wein geschmacklich verheerend auswirken, wenn es aufwirbelt; allerdings sollte das Dekantieren zeitnah zum Genuss erfolgen.

Grundsätzlich gilt: Der Rotwein verträgt umso mehr Luft, je jünger, qualitätsvoller, körper- und alkoholreicher er ist.

Weißwein dekantieren

Auch gewisse Weißweine kann man dekantieren, denn auch hier kann es Rückstände in Form des harmlosen, aber unangenehmen Weinsteins, also sandig wirkender Kristalle, geben. Der Hauptgrund aber ist auch hier ein Atmenlassen des Weines, das seine Performance verbessert und höheren Trinkgenuss verspricht. Ähnlich wie bei Rotweinen sind manche im neuen Holz ausgebaute junge Weißweine mit Kraft und Körper für zusätzliche Beatmung dankbar. Burgunder vom Format eines Montrachet, große Meursaults oder Corton-Charlemagnes, Chardonnays aus Kalifornien, aber auch manch kräftiger Weißwein aus Europa wie ein Wachauer Grüner Veltliner Smaragd oder ein Riesling Großes Gewächs aus Deutschland profitieren in der Jugend von einer kurzen Belüftung. Für diese edlen Weißweine wurden auch eigens schlanke Karaffen kreiert, die man im Kühlschrank oder auch im Eiskühler unterbringt, was im Sommer durchaus angezeigt sein kann.

Das Dekantieren von Champagnern ist eine umstrittene Angelegenheit, weil dabei Kohlensäure verloren geht. Und doch: Bei sehr hochwertigen Produkten mit ausgedehnter Flaschengärung ist die feine Kohlensäure so gut und sicher eingebunden, dass man sich durchaus ein Karaffieren vorstellen kann, um den vinösen Charakter des gereiften Produktes noch zu unterstreichen. Aus einem Burgunderglas zeigt sich dann die wahre Größe dieser facettenreichen Schaumweine.

Sie wollen edle Weine richtig dekantieren? Hier finden Sie eine Schritt für Schritt Erklärung! 

Falls Sie noch einen funktionellen und formschönen Dekanter suchen, hilft Ihnen Max Riedel bei der Auswahl: Wir stellen fünf Fragen an den Riedel-Chef. 

Erschienen in
Falstaff Nr. 09/2020

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Peter Moser
Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich
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