Der Rote Hang wird röter

In Rheinhessens berühmtesten Steillagen muss König Riesling um seine Vormacht fürchten – denn immer mehr Winzer wenden sich jetzt roten Sorten zu.

Das also ist der Mann, der be­gonnen hat, den Roten Hang umzufärben, und dabei ist, eine ganze Landschaft umzugestalten: Felix Peters, 37, stellt noch jugendlich die Haare in die Höhe, wirkt aber zurückhaltend und seriös. Wäre er im Bankgeschäft tätig, man würde ihm bedenkenlos sein Geld anvertrauen. Es fällt schwer, das zu erkennen, was andere in ihm sehen: Spinner nennt ihn mancher hinter vorgehaltener Hand, oder etwas freundlicher: Revolutionär. Wäre er nicht Winzer, sondern Künstler, dann könnte er einigen als Surrealist gelten wie Salvador Dalí, der mit dem Pinsel provozierte und schockierte. Peters, Gutsverwalter im Weingut St. Antony in Nierstein, hat etwas gewagt, was sich keiner vor ihm getraut hat: Er hat im Roten Hang, der für Riesling berühmt ist, Blaufränkisch gepflanzt. Der Rote Hang, der sich zwischen Nierstein und Nackenheim über dem Rhein erhebt, ist die einzige ernst zu nehmende Steillage Rheinhessens. Der Monolith besitzt die Bedeutung für Rheinhessen, die der Ayers Rock für Australien hat. Sein Schieferboden schimmert rötlich, es war ein ehernes Gesetz, dass in seinen besten Lagen nur Riesling stehen darf. Peters hat nicht nur ein Tabu gebrochen und eine weiße durch eine rote Rebe ersetzt. Er hat einen Kulturstreit unter den Winzern der Rheinfront ausgelöst: Darf man in eine weltberühmte Riesling-Lage Rotwein setzen?

Er begann im Herbst 2007, an einem »wunderschönen Tag«, wie sich Felix Peters erinnert, der sich in die Länge zog. In den Weinbergen wurde Riesling geerntet, spätabends stand Peters noch an der Kelter, und plötzlich stand für ihn fest: »Ich mach’s, ich setze auf Blaufränkisch.« Die Reaktionen seien »furchtbar« ausgefallen: War der Gutsverwalter nur überarbeitet oder hatte er in diesem langen Herbst den Verstand verloren? »Das glaubten einige«, sagt Peters, darunter auch gute Freunde. Auch Journalisten warfen ihm vor, er entweihe das heilige Riesling-Denkmal. Aber Peters ist kein irrationaler Bauchentscheider – er weiß, was er tut. »Ich war mir absolut sicher«, sagt er, »ich bin sehr analytisch vorgegangen.«

Als Felix Peters 2006 nach Nierstein kam, fiel ihm schnell auf, dass »bestimmte Ecken« im Roten Hang für Riesling zu heiß geworden sind: Besonders das Mittelgewann in der Lage Pettenthal. Da, sagt Peters, werde der Riesling »zu wüchsig«: auch eine Folge der Klimaveränderung, mit der sich alle Winzer an der Rheinfront beschäftigen müssen. Einige bremsen die Energie im Weinberg durch Laubarbeit, andere ernten ihre Riesling-Trauben früher, aber keiner hat so radikal reagiert wie Peters. Für ihn steht fest: »Das Mikroklima in einigen Parzellen spricht inzwischen für rote Reben. Ich möchte nicht wie viele Riesling-Winzer gegen die Reife der Trauben arbeiten müssen. Für ihre Reife zu arbeiten, ist doch fantastisch.«

Anything but Cabernet
Aber warum entschied er sich ausgerechnet für die österreichische Paradesorte Blaufränkisch? »Noch eine Cabernet-Merlot-Cuvée braucht kein Mensch«, sagt Peters – und Pinot Noir auf Schiefer war nicht seine Wunschkombination. Peters hatte in Österreich drei Jahre lang im Weingut Schloss Halbturn im Burgenland gearbeitet und dabei diese Rebe schätzen gelernt. Einige großartige Blaufränkisch wachsen dort auf Schiefer. Sie wurden ihm zur Inspiration: »Blaufränkisch auf rotem Schiefer gab es in Deutschland noch nicht, damit konnte ich ein Original schaffen.« Dabei geht es Peters selbstredend weder um eine Laune noch um Effekthascherei. »Nur von Kuriosität kann man nicht leben«, sagt er.

Die Klone besorgte er sich aus alten Weingärten in Österreich, am Eisenberg in Süd­burgenland und am Hochplateau von Ho­ritschon im Mittelburgenland von Rebstöcken, »dick wie Elefantenfüße« und mit einer »faszinierenden genetischen Vielfalt«. Die könne der Lemberger, wie die Rebsorte in Württemberg heißt, nicht bieten. Da junge Reben »nie die Tiefe und Aromakomplexität liefern können«, ließ der junge Gutsverwalter die Parzellen umveredeln – ein sensibler Eingriff, der Geld kostet und gelingen sollte. Dafür mussten Spezialisten aus Frankreich eingeflogen werden, die auch mit der Domaine Romanée-Conti zusammenarbeiten. 14 Mann enterten den Roten Hang und pfropften die Edelreiser aus dem Burgenland auf die Unterlagen einer 34 Jahre alten Riesling-Anlage: Dadurch übernahm der neue Weinberg die »geringe Produktivität der alten Stöcke und die besondere Genetik des Blau­fränkisch«. Felix Peters zeigt Fotos von der Aktion: Die Schnittstellen der Reben sind mit weißem Mull verbunden wie nach einem ärztlichen Eingriff. Die Operation ist gelungen, der erste Jahrgang wurde 2011 eingebracht und überraschte auch die größten Skeptiker: Innerhalb kurzer Zeit erreichten die Trauben dieser Rebstöcke eine erstaunliche Qualität. Felix Peters hat aus einer ureigenen Idee, die er mit viel Mut, Ausdauer und Akribie verfolgt, einen markanten Akzent bei den deutschen Rotweinen gesetzt. Der Blaufränkisch-Weinberg im Pettenthal ist längst zum Pilgerort geworden: immer wieder stehen Besucher und Winzer davor und diskutieren.

Versuche schon vor 20 Jahren
Felix Peters mag der Revolutionär sein, aber Pionier der roten Reben am Roten Hang ist die Staatliche Weinbaudomäne in Oppenheim. Die, so erzählt Direktor Otto Schätzel, fing schon vor über zwanzig Jahren an, in einer Versuchsanlage mit Spätburgunder zu experimentieren. Im Rahmen eines Forschungsauftrags wurden verschiedene Klone im Pettenthal gepflanzt, wo am Morgen der Nebel vom Rhein aufsteigt. »Wie können wir die Trauben ausreifen lassen und Botrytis vermeiden?«, das war die spannende Frage für Schätzel. Inzwischen weiß der Direktor, dass rote Reben durchaus eine Alternative sein könnten, gerade die »Mineralität des Schiefers« sei attraktiv für Spätburgunder. Trotzdem hält Otto Schätzel es für verkehrt, die »mühsam mit Riesling erarbeitete Spitzenposition des Roten Hangs mit Rotwein aufzuweichen«.

Experimentierfreudige Jugend
Das freilich sehen gerade die jungen Winzer an der altehrwürdigen Rheinfront nicht mehr so eng. Neugierig beobachten sie, was das Weingut St. Antony am Roten Hang ausgelöst hat. Wenn einer so entschlossen und konsequent vorangeht wie Felix Peters, dann folgen auch andere Winzer. Einer davon ist Thore Eimermann vom Weingut Domtalhof in Nierstein. Der 30-Jährige weiß, dass es den Blick verengen kann, wenn man zu sehr an der heimischen Scholle klebt. Er arbeitete ein halbes Jahr in der neuseeländischen Region Hawke’s Bay, die für ihre Rotweine bekannt ist. »Da wird viel mehr ausprobiert und gewagt«, sagt der lange Schlacks. Zurück in Nierstein, begann er 2010, ­Spätburgunder im Rosenberg – auf dem Plateau des Roten Hangs – zu pflanzen; direkt darunter liegt das Pettenthal. In der Lage mit kargem, rotem Boden stand vorher Riesling. Ohne die Erfahrung in Neuseeland hätte er sich vermutlich nicht getraut, dort Spätburgunder anzupflanzen, sagt Eimermann. Denn es gilt immer noch als Frevel am Roten Hang, Riesling zu roden.

Hand an den Liebling Riesling musste Eckehart Gröhl nicht legen, nachdem der Winzer aus Weinolsheim 2009 zwei Hektar Steillage in der Niersteiner Hölle gekauft hatte: Dort wuchs Müller-Thurgau. Streng genommen zählt der Weinberg nicht mehr zum Roten Hang, er liegt an seinem Rand. Doch Gröhl gehört in diese Geschichte, weil er zu den Erneuerern zählt, denen das Terroir mehr bedeutet als die Tradition. Die Niersteiner Hölle ist eine Steillage mit Kalkboden, für Eckehart Gröhl der beste Boden für Spätburgunder. Als der 47-Jährige dort französische Pinot-Noir-Klone pflanzte, wusste er noch nicht, dass Felix Peters in der Nach­barschaft am Blaufränkisch arbeitete. »Wir müssen umdenken und auf die klimatischen Veränderungen reagieren«, sagt Gröhl. Am Anfang sei er noch belächelt worden, jetzt liefert er mit seinen Pinots Noirs überzeugende Argumente für seine Haltung.

Noch mehr neues im Pettenthal
Der Rote Hang hat sich innerhalb weniger Jahre verändert, seine Palette wurde dabei nicht nur um rote Reben erweitert. Sebastian Strub, im Hauptberuf Kellermeister bei St. Antony, ließ in seinem heimischen Weingut 620 Riesling-Stöcke im unteren Teil des Pettenthals auf Sauvignon Blanc umveredeln. Der 26-Jährige war unzufrieden, dass beim Riesling die Frucht in warmen Jahren geradezu »weggebrannt« sei. Strub ist fasziniert von Sauvignon Blanc wie dem »Silex« aus dem Weingut Dagueneau an der Loire; ein Teil seiner Klone kam über Umwege aus dem berühmten Château d’Yquem ins Pettenthal. Dass der Rote Hang ein sensibles Thema ist, bei dem sich die Generationen schnell in die Haare kriegen, musste auch Sebastian Strub erfahren: Sein Vater sei gar nicht begeistert gewesen, als er in dieser wertvollen Lage Sauvignon Blanc anbaute. »Es gab einige böse Worte«, erzählt Strub, aber inzwischen habe er den Vater schon mehrfach ertappt, wie er sich am Sauvignon-Fass zu schaffen gemacht habe. Strub jedenfalls lässt sich nicht beirren, er will noch mehr Sauvignon Blanc im Pettenthal anbauen.

Und auch Felix Peters führt das Begonnene fort. Im bevorstehenden Sommer möchte er weitere Flächen am Roten Hang mit Blau­fränkisch bestocken lassen, dann werden es insgesamt siebeneinhalb Hektar sein, die das Weingut dort kultiviert. Dann wird der Rotton in diesem imposanten Naturgemälde noch intensiver ausfallen, der Rote Hang wird noch röter werden in den nächsten Jahren. Diesen Farbton dort einzuführen, sagt Felix Peters, sei eine der besseren Entscheidungen in seinem Leben gewesen.

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Tipps und Adressen
Weingut St. Antony (1)
26 Hektar Weinberge auf den Lagen Orbel, Pettenthal, Hipping und Ölberg. Kellermeister ist der Geisenheimer Önologe Felix Peters.
Wilhelmstraße 4, 55283 Nierstein am Rhein
www.st-antony.de
 
Staatliche Weinbau-Domäne (3)
21 Hektar Weinberge entlang der Rheinterrassen.Wormser Straße 162, 55276 Oppenheim
www.domaene-oppenheim.de

Weingut Domtalhof (2)
Acht Hektar Rebfläche, 60 Prozent davon liegen im Roten Hang. Seit dem 19. Jh. in Familienbesitz.
Hauptstraße 116/134, 55283 Nierstein-Schwabsburg
www.weingut-domtalhof.de

Weingut Eckehart Gröhl (4)
20 Hektar Rebfläche, Winzerfamilie in 12. Generation.
Uelversheimer Straße 4, 55278 Weinolsheim
www.weingut-groehl.de

Text von Rainer Schäfer

Aus Falstaff Magazin Deutschland 04/2015