Der Deutsche Graf im Bordelais

Stephan »Comte« von Neipperg – oder was passiert, wenn 800 Jahre deutsche Adelsgeschichte auf 2000 Jahre französische Weinbautradition treffen.

Thilo Sarrazin hätte seine helle Freude. Sprachkenntnisse? Perfekt! Integration in den heimischen Arbeitsmarkt? Aber hallo! Assimiliert? Und wie, sogar »Max«, der Hauslabrador, wird im Idiom des Gastgeberlandes instruiert. Sozialtransfer? Ganz unbedingt, natürlich in die gesellschaftlich erwünschte Richtung.
Einstecktuch statt Kopftuch – und ironische Selbstreflexion gibt es obendrein: »Ich bin Immigrant der ersten Generation«, sagt er in so aristokratischem Französisch, dass es dem Durchschnittsfranzosen die Schamesröte ins Gesicht treibt.

Ein Deutscher im Bordelais. Nein, nicht als Tourist, sondern als tragende Stütze der lokalen Weinszene. Mit Weingütern in seinem Besitz, die so französisch sind wie Eiffelturm, Marianne und Baguette zusammen. Die Rede ist von Graf Stephan von Neipperg, Propriétaire des Saint-Émilion-Guts Canon La Gaffelière. Grand Cru! Und das trifft auf beide zu. Natürlich kann man fragen, ob der deutsche Graf wirklich in Saint-Émilion willkommen ist, in der Herzkammer des französischen Nationalstolzes Bordeaux. Man kann aber auch einfach nach dem Vizepräsidenten der »Union des Grands Crus de Bordeaux« fragen. Diesen Posten hat der Graf seit knapp eineinhalb Jahrzehnten inne. Besser kann man die Bedenken, ob die lokale Weinszene den deutschen Adeligen auch wirklich akzeptiert, wohl kaum zerstreuen. Und dabei hätte – aus französischer Sicht – einiges auch gegen den Grafen sprechen können.

Vom Vater gekauft
Immerhin war der letzte Schuss des Zweiten Weltkriegs gerade mal 26 Jahre verhallt, als sein Vater Joseph Hubert von Neipperg – Erbgraf des knapp 800 Jahre alten Geschlechts aus dem deutschen Hochadel – ein paar Anlagen suchte und Millionen ins gerade brachliegende Bordelais investierte. Auch was 1984 folgen sollte, musste dort nicht unbedingt auf ungeteilte Freude stoßen. Sohn Stephan Graf von Neipperg nahm das Angebot seines Vaters an, Château Canon La Gaffelière in Eigenverantwortung zu übernehmen. Damals war er 26 Jahre alt, kam frisch von der Uni – und war felsenfest entschlossen, vieles anders zu machen als die Alteingesessenen.

Man kann sich heute noch vorstellen, wie sich die Platzhirsche das Maul zerrissen: Ein in Geld und Sozialprestige schwimmender adeliger Grünschnabel aus Deutschland lässt sich von Papi ein Weingut schenken und will jetzt alles besser wissen. Geht’s denn noch schlimmer? »Grünschnabel« lässt der Graf heute noch so stehen – der Rest war ganz anders. Obwohl, 26 Jahre jung war der Graf damals tatsächlich, aber von internationaler Erziehung durchdrungen. In Paris hatte er Wirtschaft und Politik, in Montpellier Weinbau und Önologie studiert. ­Er war einer, der nicht nur gelegentlich vorbeischauen wollte, sondern mit seiner jungen Frau aufs Weingut zog – und anpackte.

Innovative Arbeitsweise
Der Graf änderte in der Tat vieles: fort mit Pestiziden, Herbiziden, Kunstdünger und Klonen, fort mit der ganzen Unseligkeit, die Mitte der Sechzigerjahre auch im Bordelais Einzug hielt – und her mit Leben im Boden, mit Respekt vor dem Terroir und dem zähen Ringen um Qualität.

Graf von Neipperg wusste genau, »dass der, der in Wein investiert, die nächsten zehn, 15 Jahre nicht mit Gewinn rechnen darf«. Er wusste aber auch die Gunst der Stunde zu nutzen: »Als ich angefangen habe, machte es erstmals im Bordelais Sinn, auf Qualität zu setzen – weil langsam klar wurde, dass man mit besseren Weinen besser leben konnte. Das war bis dahin nicht der Fall. Da wurde einfach nach der Klassifikation verkauft. Ab 1985 konnten wir langsam beweisen, dass man mit besseren Weinen der Klassifikation entkommen konnte.«

Graf von Neipperg passte in die Zeit, und er passte ins Bordelais: »Viele wichtige Leute hier reagierten extrem positiv auf uns. Thierry Manoncourt vom Château Figeac beispielsweise hat uns wahnsinnig nett aufgenommen. Wir waren sehr schnell gesellschaftlich integriert.« Was half: Der Graf wusste genau, was er wollte, »aber ich bin kein Ajatollah; es gibt viele Wege zum Glück, jeder soll seinen ­finden«.

Geprägt von dieser Einstellung, ist mit dem Grafen hervorragend Wein trinken – aber nur bedingt gut Kirschen essen: etwa bei einem Thema wie seinem Saint-Émilion-Gut La Mondotte, knappe viereinhalb Hektar groß, die Rede ist von gerade einmal 30 gefüllten Barrique-Fässern. Ein Wein wie ein Fels. Diesen Wein gedachte der Graf seinem Canon La Gaffelière beizumischen. Er machte dabei die Rechnung ohne den Wirt. Die örtlichen Instanzen ließen den Amtsschimmel wiehern. Canon La Gaffelière ist Grand Cru Classé, La Mondotte »nur« Grand Cru, eine Angliederung deswegen unmöglich. Terroir, Handschrift des Winzers, Ambitionen – hier wie dort von gleicher Qualität – kümmerten niemanden. Gesetz ist Gesetz, und sei es auch noch so unsinnig. Der Graf konterte offensiv, baute La Mondotte aus lauter Trotz zum Mustergut aus, mit Potenzial zum Kultwein. Von Neipperg kampfeslustig: »Die wollten es mir zeigen, und genau das hat mich erst recht angestachelt. Ich kann extrem scharf schießen.«

Mittlerweile weiß man das im Bordelais. Und akzeptiert es: »Wenn ich heute etwas sage, dann sage ich es als Franzose unter Franzosen. Und wenn ich einen Brief schreibe, dann wird der auch gelesen – mehrmals.« Graf von Neippergs Gestaltungswille ist auch nach dem La-Mondotte-Sieg ungebrochen. Beispiel Bulgarien: »Ich habe durch die Anforderungen meiner eigenen Biografie die Wiedervereinigung eigentlich völlig verpennt. Bulgarien ist jetzt ein Versuch, doch noch den Osten für mich zu entdecken.« Was er mit der ihm eigenen Gründlichkeit macht: Zusammen mit einem Geschäftspartner hat er 120 Kilometer südöstlich von Sofia satte 300 Hektar Rebland erworben. 145 davon sind mittlerweile bepflanzt, das Bessa Valley Estate offeriert sechs Cuvées zwischen zehn und 20 Euro.

Den vollständigen Text lesen Sie im Falstaff Nr. 2/2010.

 
Text von Christoph Schule

Fotos von Manfred Klimek