Ein Digestif als krönenden Abschluss.

Ein Digestif als krönenden Abschluss.
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Das Beste kommt zum Schluss

Der Digestif ist das Gegenstück zum Aperitif – während Spirituosen und Drinks zum Start des Abends hoch im Kurs stehen, hält sich die Begeisterung für einen Verdauungsschnaps bei den meisten Genießern in Grenzen.

Wissenschaftlich ist die Sache klar: Alkohol ist der Verdauung in keinem Fall zuträglich. Auch nicht, wenn das betreffende Getränk von Bitterstoffen nur so strotzt, welche eben diese grundsätzlich fördern würden. Der Begriff Digestif stammt vom lateinischen Wort »digestio«, was Verdauung bedeutet und insofern nach heutigem Wissensstand eher für Tees als für Spirituosen zutreffend ist. Zugegeben: Besonders genussfördernd sind diese Überlegungen nicht, und genau dort, beim Genuss, muss man bei den Spirituosen, die nach einer Mahlzeit gereicht werden, anknüpfen. Zu den Urvätern vieler heute als Digestif bezeichneten Spirituosen und Spezialitäten zählt der Magenbitter. Zumindest pur genossen, steht dessen Einverleibung jedoch in krassem Gegensatz zu einem Genussmoment, wie man ihn sich wünscht. Doch zum Glück haben sich die Bittergetränke in den vergangenen Jahrzehnten gemacht! Bestes Beispiel dafür sind die italienischen Amaros, die es heute in diversen klassischen und durchaus ansprechenden Versionen, aber auch als High-End-Getränke gibt.

Familie Nonino

Der »Amaro Nonino Quintessentia ­Riserva« etwa gehört zu den Besten seiner Art – ganze 95 Punkte erreichte dieser bei der Falstaff Spirits Trophy 2022. Für die Herstellung verwendet die legendäre Brenner-Familie Nonino einen Aufguss aus Kräutern, Gewürzen, Früchten, Beeren und Wurzeln. Veredelt wird dieser ­Amaro durch eine über 24 Monate dauernde Reifung in Eichenbarriques. Das Produkt ist eine Hommage an Antonio Nonino, der das Unternehmen vor zwei Generationen leitete. Er begann damit, Amaros in Holzfässern zu lagern, da Stahl damals zu teuer war – und legte so den Grundstein für einen der besten Amaros Italiens. Heute reift der Amaro Nonino in einem eigens dafür vorgesehenen Keller. Familie ­Nonino ist aber auch für ihren Grappa bekannt, und dieser steht als Digestif ebenfalls hoch im Kurs. Der ­Tresterbrand, der nicht nur in Italien, sondern auch im Schweizer Tessin als ­Grappa bezeichnet werden kann, hat in den vergangenen Jahren wahre Qualitätssprünge erlebt und spielt immer öfter in einer Liga mit den großen Spirituosen dieser Welt.

Das Beste zum Feste

Gerade an den Festtagen darf es nicht nur zum, sondern auch nach dem Essen erstklassig zu- und hergehen. Zu den edelsten denkbaren Getränken, die als Digestif taugen, gehört zweifelsohne der Cognac. Der französische Weinbrand ist ideal, um einen genussvollen Abend ebenso ausklingen zu lassen. Cognac stammt immer aus den Weinbaugebieten um die gleichnamige Stadt etwa 120 Kilometer nördlich von Bordeaux und wird auch in dieser Region verarbeitet und gereift. Es handelt sich um einen Weinbrand aus weißen Trauben, unterschieden werden einerseits die Terroirs und andererseits die Reifestufen.

Die meisten Cognacs sind Assemblagen verschiedener Terroirs und Reifezeiten, Pflicht ist die Assemblage aber nicht. Cognac wird dementsprechend meist in einer Reifestufe und nicht mit spezifischem Jahrgang angeboten. Für einen festlichen Digestif lohnt es sich, mindestens zur Stufe X.O. zu greifen, wobei X.O. für »Extra Old« steht. Andere existierende Bezeichnungen sind Napoléon, Hors d’Âge, Extra oder (Très) Vieille Réserve. Bis zum 1. April 2018 musste das jüngste verwendete Destillat für einen Cognac X.O. mindestens sechs Jahre in Eichenfässern reifen – heute sind es mindestens zehn. Dennoch sind die Cognac X.O. im Schnitt häufig deutlich älter und vereinen Brände, die zwischen 20 und 40 Jahre alt sind. In dieser Zeit erreichen diese Spirituosen ihre einzigartige Komplexität und dabei einen überaus milden Charakter. Großer Genuss, der ein Mahl perfekt abschließt, egal ob es nun der Verdauung zuträglich ist oder nicht.
Cognac ist als Digestif jedoch durchaus nicht nur in Reinform zu empfehlen.

Der legendäre französische Likör Grand Marnier etwa, der ebenfalls auf der Basis von Cognac hergestellt wird, mauserte sich in den letzten 100 Jahren selbst zum Edelgetränk. Möglich machen dies spezielle Grand-Marnier-Kreationen, die auf Basis bester Cognacs hergestellt werden und zu viel mehr als einer Koch- und Cocktailzutat taugen. Die hochwertigsten Sorten werden in aufwendig gestalteten Flaschen angeboten, enthalten ausgezeichnete Cognacs und verfügen über einen erhöhten Orangenextrakt-Anteil, was sie weniger süß macht als das Original »Cordon ­Rouge«. Zu den Highlights diesbezüglich gehört sicherlich die Grande Cuvée Quintessence, die mit rund 2500 Euro für 0,7 Liter zu Buche schlägt. Doch auch die leistbaren ­Exemplare Cuvée Louis-Alexandre, benannt nach dem Firmengründer, sowie die Cuvée du Centenaire – 1927 zum 100-jährigen Firmenjubiläum eingeführt – bereiten als klassische Digestifs großen Genuss.

Warum auch in die Ferne schweifen?

Der klassische Absacker in unseren Breiten ist und bleibt jedoch der Edelbrand. Obstbrände – ob Pflaume, Marille, Birne oder Kirsche – sind als Digestif nicht nur beliebt, sondern gehören ohne Zweifel zu den edelsten Spirituosen, die existieren. Wenn sie sich denn optimal zeigen dürfen! Entgegen der landläufigen Meinung sind Spirituosen in geöffnetem Zustand nämlich nur begrenzt haltbar. Besonders die subtilen Obstbrände verlieren im Kontakt mit Luft häufig an Ausdruck, Reinheit und Komplexität. Eine genaue Haltbarkeit für geöffnete Spirituosen anzugeben, ist schwierig. Denn sobald eine Flasche geöffnet wird und der Edelbrand mit Sauerstoff in Kontakt kommt, setzt die Oxidation ein. Die Aromen schwinden und das Getränk schmeckt mit der Zeit wässrig. Je nach Intensität und Alkoholgehalt kann das natürlich lange dauern. Eine gute Faustregel für das Management der Spirituosenflaschen in der heimischen Bar ist sicherlich folgende: Je leerer die Flasche, desto schneller sollte sie ganz aufgebraucht werden.

Regeln für die Wahl eines Digestifs ­hingegen gibt es in diesem Sinne nicht. ­Richtig ist ganz einfach, was schmeckt! Wer nach ­einem ausgedehnten Mal lieber einen ­Cocktail oder ein Glas Schaumwein als eine Spirituose genießt, liegt in diesem Sinne ebenfalls richtig. Gerade bei Cocktails tun sich im ­After-Dinner-Bereich oft ungeahnte Genüsse auf. Neben Klassikern für den späteren Abend – wie einem »White ­Russian« oder einem »Manhattan« – sind hier auch ausgefallenere Kreationen durchaus ­angesagt. Gut muss es einfach sein – denn das Beste kommt bekanntlich immer zum Schluss.


Erschienen in
Falstaff Nr. 10/2022

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Benjamin Herzog
Benjamin Herzog
Chefredaktion Schweiz
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