Marlon Brando in der Glanzrolle des Don Vito Corleone im Film »Der Pate«.

Marlon Brando in der Glanzrolle des Don Vito Corleone im Film »Der Pate«.
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Cosa Nostra: Der Mythos Corleone

Einst war sie die Hochburg der Cosa Nostra, aber auch durch die Filmtrilogie »Der Pate« hat es die spröde Stadt Corleone zu schaurigem Weltruhm gebracht.

Es ist von außen ein eher unscheinbares Lokal, das letzten Herbst im achten Arrondissement von Paris nahe dem Arc de Triomphe eröffnet wurde.
»Corleone« steht oberhalb des Eingangs auf der Markise, daneben etwas kleiner »by Lucia Riina«. Es sind Namen, die es in sich haben. Corleone, das ist die wohl berühmteste Mafia-Stadt Siziliens, nicht sonderlich charmant und etwas spröde, aber wie wohl kein anderer Ort auf dieser Welt ein Synonym für die Cosa Nostra, eine der drei großen Mafia-Organisationen Italiens. In aller Welt berühmt geworden ist Corleone vor allem durch das monumentale Mafia-Epos »Der Pate« von Francis Ford Coppola mit Marlon Brando in einer der Hauptrollen.
In dem Dreiteiler dreht sich alles um den Mafia-Clan der Corleones – die Familie ist fiktiv, ihr gleichnamiger Heimatort aber real. Und wer ist Lucia Riina, die sich in aller Öffentlichkeit als Inhaberin des neuen Ristorante in Paris präsentiert? Sie ist die Tochter des vor zwei Jahren verstorbenen Salvatore »Totò« Riina: Der zu Lebzeiten gefürchtete »Capo dei capi« war der wohl skrupelloseste Boss der Bosse und trug den bezeichnenden Spitznamen »die Bestie«.
Mehr als hundert Morde sollen auf sein Konto gehen, darunter die tödlichen Anschläge auf die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Er habe, so heißt es, seine Rivalen zuweilen auf grausamste Weise töten lassen, mitunter soll er selbst Hand angelegt haben oder durch seine Handlanger manch unliebsamen Gegner in Salzsäure auflösen haben lassen. So will es zumindest die Legende.

Corleone war lange Zeit das Machtzentrum der Cosa Nostra. Heute kann man ein Anti-Mafia-Museum besuchen.
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Corleone war lange Zeit das Machtzentrum der Cosa Nostra. Heute kann man ein Anti-Mafia-Museum besuchen.

Name des Schreckens

Dass nun seine Tochter ein Lokal mit dem Namen »Corleone, by Lucia Riina« in Paris betreibt, war angeblich eine Idee französischer Geschäftspartner, die in das Restaurant auch deshalb investierten, weil sie sich durch die furchteinflößenden Namen eine zusätzliche Anziehungskraft versprachen. Und tatsächlich mag der eine oder andere Gast das Ristorante auch deshalb aufsuchen, weil er einmal bei der Tochter eines Mafiabosses dinieren möchte. Es ist der Mythos Corleone, der nach wie vor auf schaurige Weise fasziniert.
Corleone, das ist eine Stadt mit rund 11.000 Einwohnern zwischen Palermo und Agrigent, etwa 60 Kilometer südlich der Hauptstadt Siziliens gelegen. Der Name ergibt sich aus den italienischen Wörtern »cuore« (Herz) und »leone«(Löwe) und bedeutet somit sinngemäß »Löwenherz«. Die Geschichte der Stadt reicht bis in das 7. Jahrhundert v. Chr. zurück – außer einigen Kirchen und einem Kapuzinerkloster gibt es aber kaum Sehenswürdigkeiten, auch gastronomisch ist die etwas finstere Stadt mehr oder weniger uninteressant.
Touristen kommen aus anderen Gründen hierher. Es sind der Klang und die Aura einer Stadt, die lange Zeit als Mafia-Hochburg schaurige Berühmtheit »genoss«. In dieser Stadt wurden einige der bekanntesten Mafiosi geboren, hochgradig Kriminelle, die als Corleonesi bezeichnet werden. Neben Totò Riina zählte dazu unter anderem auch Bernardo Provenzano, ein nicht minder gefürchteter und ausgesprochen brutaler Mann. Er war zunächst Riinas rechte Hand und galt als ebenso blutrünstig wie sein damaliger Chef. Nach dessen Verhaftung stieg er zum Chef der Corleonesi auf. Schon davor hatten Riina und Provenzano in Sizilien lange Zeit die Cosa Nostra dominiert und einen gnadenlosen Mafiakrieg entfacht.
Allein in den Jahren 1981 und 1982 starben Hunderte Mafiosi, das Morden gehörte zum täglichen Geschäft – ein Machtkampf verschiedener Clans, der an Grausamkeit kaum zu überbieten war. Provenzano schaffte es, immerhin 43 Jahre auf der Flucht zu sein. Er wurde am 11. April 2006 in einem heruntergekommenen Schuppen rund zwei Kilometer vom Stadtzentrum von Corleone festgenommen. In seinem Versteck fanden die Carabinieri mehr als 200 kleine Zettel. Mit diesen so genannten »pizzini« kommunizierte Provenzano mit der Außenwelt und gab so seine mörderischen Anweisungen an seine Gefolgsleute weiter.

Allein 1981 und 1982 starben Hunderte Mafiosi, das Morden gehörte zum täglichen Geschäft: ein grausamer Machtkampf sizilianischer Mafiafamilien.
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Allein 1981 und 1982 starben Hunderte Mafiosi, das Morden gehörte zum täglichen Geschäft: ein grausamer Machtkampf sizilianischer Mafiafamilien.

Im Juli 2016 verstarb der 83-Jährige, und wieder einmal geriet die Stadt Corleone in die Schlagzeilen der Weltpresse. Heute ist die Lage auf den ersten Blick ungleich entspannter, die Verhaftung lang gesuchter Mafiabosse und die Formierung einer Anti-Mafia-Bewegung haben dazu einiges beigetragen. Nicht wenige Besitztümer und Ländereien von Totò Riina wurden beschlagnahmt und der Anti-Mafia-Organisation »Libera Terra« übergeben.
Zwar wird in Sizilien noch immer Schutzgeld erpresst und bei Zahlungsverweigerung gnadenlos sanktioniert, die Anti-Mafia-Bewegung hat aber deutlich an Boden gewonnen.
In einigen Landgütern, die einst der Mafia gehörten, kann man heute sogar wohnen. 2001 wurde in Corleone ein Anti-Mafia-Museum gegründet, und die Bar­besitzer der Stadt werben inzwischen mit Bildern und Plakaten der epochalen Trilogie »Der Pate«. Auch wenn in Städten wie Corleone oder Palermo so etwas Ähnliches wie Normalität eingekehrt ist, der gruselige Mythos der Mafia wird wohl noch länger in den Köpfen der Menschen bleiben.


Mafia-Aura in Paris

Totò Riina war jahrelang die Nummer eins der sizilianischen Mafia und galt als einer der brutalsten und grausamsten Anführer der berüchtigten Cosa Nostra, deren Machtzentrum sich lange Zeit in der kleinen Stadt Corleone befand. Er wurde bereits in den 1970er-Jahren per Haftbefehl gesucht, aber erst 1993 in Palermo verhaftet. Der klein gewachsene Mafia-Boss wurde zu dreizehn Mal lebenslanger Haft verurteilt und starb am 17. November 2017 in der Krankenabteilung des Hochsicherheitsgefängnisses von Parma.

Salvatore «Totò» Riina war gefürchtet und wurde nicht umsonst «die Bestie» genannt.
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Salvatore «Totò» Riina war gefürchtet und wurde nicht umsonst «die Bestie» genannt.

Zwei Jahre später eröffnet seine Tochter Lucia Riina ein kleines Ristorante in Paris. Name: »Corleone, by Lucia Riina«. Die Spezialität des Hauses: Orecchiette alla Corleonese in Tomatensauce mit Anchovis. Dem Bürgermeister von Corleone schmeckt das aber gar nicht, er will nämlich keinesfalls, dass man mit all den unangenehmen Namen Geschäfte macht und damit seinen Ort erneut in Misskredit bringt. Einerlei. Das »Corleone« in Paris erfreut sich indessen reger Beliebtheit, auch wenn die Kellner ausgesprochen wortkarg sind.

Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2019

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Herbert Hacker
Herbert Hacker
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