Im berühmten »Cafe du Soleil« am Broadway speisen die Gäste derzeit unter abgetrennten Plastikzelten. Jedenfalls solange es die Außentemperaturen noch erlauben.

Im berühmten »Cafe du Soleil« am Broadway speisen die Gäste derzeit unter abgetrennten Plastikzelten. Jedenfalls solange es die Außentemperaturen noch erlauben.
© Angelika Ahrens

Corona: Gastro-Kollaps in New York City

Mehr als 25.000 Lokale buhlen in New York City um Gäste. Doch seit dem Corona-Lockdown wird die Liste jener Lokale, die nicht wieder aufsperren werden, immer länger. Reportage aus einer Metropole am kulinarischen Scheideweg.

Das urige »Tiny’s and the Bar Upstairs« im Herzen des New Yorker Stadtteils Tribeca liegt in einem Townhouse aus dem Jahr 1810 und ist in der kalten Jahreszeit besonders gemütlich, wenn das Kaminfeuer knistert. Doch in diesen Genuss werden die Gäste heuer nicht kommen.

Die Stadt hat zwar Ende September wieder erlaubt, dass die Restaurants auch Indoor-Plätze nutzen dürfen– allerdings nur jeden vierten. Die Hinterzimmer im »Tiny’s« sollen vorerst einmal geschlossen bleiben. Die Gäste dürfen nur vorne sitzen, wo man auch lüften kann. Und Manager Macnair Sillick befürchtet, dass die Kundschaft ausbleiben könnte: »Wir sind ein sehr kleines, enges Lokal, das könnte viele Gäste abschrecken.«

Harte Zeiten

Kleine Lokale gibt es viele quer durch die Megacity – und damit auch viele Probleme im Angesicht der Pandemie. Während etwa auf Long Island Indoor Dining schon viel früher erlaubt war (bei halber Auslastung der Lokale), musste sich New York City mit Outdoor Dining und Take-away begnügen.

Die Stadt hat zwar auf den Straßen zusätzliche Gastgärten erlaubt und dafür etliche Straßen für den Verkehr gesperrt, doch auch hier spielt die Größe des Lokals eine Rolle: Die Gärten dürfen nur entlang der Front des Lokals aufgestellt werden. Und viereinhalb Meter links und rechts von Hydranten sind Tische und Stühle generell verboten. Manche Restaurants haben deswegen nach dem Lock­down gar nicht erst wieder aufgesperrt.

Das »Tiny’s« hingegen hat es mit einem Trick versucht: »Wir nutzen die Gastgartengenehmigung unseres zweiten Lokals etwas weiter vorne am West Broad­way«, erzählt Macnair Sillick. Konkret ist es 96 Schritte vom »Tiny’s« entfernt. Dadurch konnte die Zahl der Tische im Freien – getrennt durch Plexiglasscheiben – vervielfacht werden. »Wir haben alles auf eine Karte gesetzt, denn die letzten Monate waren ziemlich hart«, erklärt der Manager. Der Umsatz habe gerade ein Sechstel vom normalen Geschäft ausgemacht.

Verlängerung der Sommersaison

Und auch die kommenden Monate könnten schwierig werden. Aufgrund der erneut steigenden Zahl an Infektionen und neuen Hotspots in Teilen von Queens und Brooklyn müssen viele Restaurants wieder schließen. Unklarheiten darüber, was erlaubt ist, plagen die Gastwirte ohnedies seit Monaten, und Kontrolleure haben Genehmigungen entzogen, wenn die Wirte nicht alle Vorschriften sofort umgesetzt haben. Kein Wunder, dass sich viele Gastronomen beklagen, dass ihnen das Leben in einer ohnehin schwierigen Zeit nochmals unnötig schwer gemacht werde.

So hat die Stadt auch erst kürzlich entschieden, dass die Gastgärten das ganze Jahr offen bleiben und Heizpilze mit Propangasbefeuerung verwendet werden dürfen. Das sorgte prompt dafür, dass quasi über Nacht weit und breit keine Propangasgeräte mehr verfügbar waren. Und Elektroheizer sind aufgrund der alten Gebäude mit ihrer unzureichenden Stromversorgung nicht immer eine Alternative.

Das »Cafe du Soleil« auf der Upper West Side hat sich anders beholfen: mit transparenten, kleinen Zelten rund um seine Gastgartensitzplätze. Diese erinnern an jene schützenden Bubbles, wie sie New Yorker und Touristen etwa von den Rooftop-Bars der Stadt kennen. Die mehr als zwei Meter hohen Zelte sollen Schutz vor Kälte und Regen bieten.

»Nach jedem Gast öffnen wir die Zelte zum Lüften, desinfizieren Tisch und Stühle. Und die Kellner servieren nur durch kleine Öffnungen«, erzählt Nadine Chevreux, die mit ihrem Mann Alain das Café betreibt.

Mittlerweile haben sie 16 Bubbles angeschafft und dafür 5000 Dollar investiert. »Wir erkaufen uns damit eineinhalb Monate Zeit. Aber wenn die Temperaturen unter zehn Grad fallen, müssen wir uns etwas Neues einfallen lassen, denn in den Zelten können wir keine Heizstrahler aufstellen«, so Nadine Chevreux. »Wir denken an Plexiglaskonstruktionen, müssen aber erst herausfinden, wie sich das umsetzen lässt, ohne Regeln zu verletzen.« Doch viele Gastronomen tun alles, um die Outdoor-Saison zu verlängern.

Denn wer weiß, ob ab November wirklich wie geplant 50 Prozent der Indoor-Sitzplätze verkauft werden können? Die Letztentscheidung darüber hat Andrew Cuomo, der mächtige Gouverneur des Staates New York. Und der hat schon mehrfach nicht davor zurückgeschreckt, auch unpopuläre Maßnahmen zu setzen, um die weitere Verbreitung des Virus nach Möglichkeit zu unterbinden.

Regelchaos

In Harlem wird vor dem »Red Rooster«, einem der zahlreichen Lokale von Marcus Samuelsson, die Körpertemperatur der Gäste am Handgelenk gemessen. Das sei zuverlässiger als an der Stirn, erklärt ein Mitarbeiter: »Wir hatten schon Gäste, bei denen wir an der Stirn 43 Grad gemessen haben.« Samuelsson selbst bereitet unterdessen in der Küche Gerichte vor – es ist ein Mix aus gehobener US-Küche und Einflüssen der Nachbarschaft – Soulfood pur.

Der Küchenchef hat den Geschmack von Ruhm und Erfolg erstmals im »Aquavit«, einem Pionier der Nordic Cuisine in Manhattan, erfahren, von der New York Times als jüngster Chef der Geschichte mit drei Sternen ausgezeichnet. Im »Red Rooster« hat er bereits für Ex-Präsidenten Barack Obama gekocht. Normalerweise kommen 4.000 Gäste pro Woche, jetzt darf nicht einmal die Bar besetzt werden – im Gegensatz zu Long Island. »New York ist natürlich viel dichter besiedelt und belebter als andere Städte«, meint Samuelsson. »Aber mit 25 Prozent Auslastung kann man kein Geld verdienen.«

»Niemand weiß, wie viele Restaurants zusperren werden. Sicher ist nur: Es bleibt kein Lokal-Typ verschont.« Andrew Rigie, Executive Director New York City Hospitality Alliance

Ungewisse Zukunft

Während das weltberühmte »Le Bernardin« (drei Michelin-Sterne) im September wieder aufgesperrt hat, musste die Küchenchefin Camilla Marcus die Schlüssel für ihr »west~bourne« in SoHo abgeben. Die New Yorker haben zwar ihre coolen Westcoast-Vibes geliebt, trotzdem konnte sie ihren Vermieter nicht überzeugen, die Lokalmiete an die Gegebenheiten anzupassen.

»Es wird gewaltige Anstrengungen brauchen, um unsere Probleme zu lösen«, sagt sie resigniert. Hohe Mieten, Personalkosten und extremer Wettbewerb – ein Restaurant zu führen sei schon vor der Pandemie hart gewesen, meint Andrew Rigie von der Hospitality Alliance, einer Interessenvertretung der Gastronomen: »Keiner weiß, wie viele zusperren müssen.« Bis zu 85 Prozent aller Lokale könnten betroffen sein, so Schätzungen. Aber wer New York und seine Bewohner kennt, weiß: Die Stadt wird sich auch davon erholen. Irgendwann …

Erschienen in
Falstaff Nr. 08/2020

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