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Cook-Tank Asien – Reduktion auf das Wesentliche

FOTOS: Wie asiatische Küche mit europäischen Traditionen zusammenpasst und wie durch eigene Techniken oder Zutaten Neues entsteht.

Die asiatische Küche in all ihren Formen boomt weltweit, und auch vor der deutschen Spitzengastronomie macht der Trend nicht Halt: Tim Raue feiert mit seiner asiatisch inspirierten Küche große Erfolge und hat für sein Flagship-Restaurant zwei Sterne bekommen, The Duc Ngo, Berliner Szenegastronom mit vietnamesisch-chinesischen Wurzeln, betreibt mittlerweile zwölf Lokale und beschäftigt 400 Mitarbeiter. Spitzenköche wie etwa Felix Schneider vom »Sosein« bei Nürnberg oder Lukas Nagl im »Bootshaus« am österreichischen Traunsee stellen ihre eigenen Miso-Pasten aus lokalen Zutaten wie Mohn oder Erbsen her, japanisch inspirierte Köche wie Dylan Watson vom »Ernst« oder auch Heinz Reitbauer vom Wiener »Steirereck« setzen auf Fische, die nach der japanischen Ike Jime Methode besonders schonend geschlachtet wurden. Und zahlreiche Pflanzen aus Asien bereichern mittlerweile heimische Gärten, Regional angebauter Pok Choi, Spargelsalat oder gar Ingwer sind keine große Seltenheit mehr.

Gemeinsamkeiten und Integration

Doch was fasziniert deutsche Köche an asiatischen Kochkulturen, was für Möglichkeiten bieten sich ihnen, was können sie lernen, wo sehen sie Schwierigkeiten? Um diese und andere Fragen zu klären, hatten die Gastroblogger von »Sternefresser« zum »Cook-Tank Asien« geladen. Cook-Tank ist eine Anspielung auf Think Tank und soll ähnlich wie ein solcher dem Gedankenaustausch, der Ideenfindung und Entwicklung von neuen Ansätzen dienen. Zweimal im Jahr werden dafür bekannte deutsche Köche und Journalisten eingeladen, die Köche präsentieren ihre Gerichte, anschließend wird darüber diskutiert. Das Ergebnis nach mehreren Stunden des gemeinsamen asiatisch inspirierten Kochens und Essens: Es gibt nicht nur einige Gemeinsamkeiten (siehe unten) zwischen asiatischen und europäischen Kochtraditionen – auch die auf den ersten Blick sehr fremden Kochtechniken lassen sich wunderbar integrieren.

Hypersaisonale, regionale Zutaten

Drei verschiedene Zugänge zur asiatischen Küche kristallisierten sich heraus: Erstens der Versuch, asiatische Gerichte zu kopieren oder zu übernehmen und noch besser zu machen bzw. sie ihrem eigenen Stil anzupassen. Zweitens, klassische asiatische Zutaten zu verwenden, sie aber mit vertrauten Techniken zu behandeln und/oder vertraut anzurichten; und drittens, asiatische Techniken auf vertraute Produkte anzuwenden oder aus heimischen Zutaten asiatische Gerichte nachzubauen. Wie nah sich asiatische Kochphilosophie und mitteleuropäische Küche sein können, zeigte sich nicht nur an den Gerichten, sondern auch unter anderem an der Teilnehmerliste des Cook-Tanks: Ausgerechnet die Köche vom »Ernst« in Berlin und vom schon erwähnten »Sosein« in Nürnberg fehlten – dabei sind die zwei die vielleicht japanischsten Restaurants Deutschlands. Nicht, weil sie japanische Produkte benutzen oder japanische Gerichte kochen, sondern weil sie hypersaisonale, regionale Zutaten verwenden und daraus reduzierte, aufs Wesentliche konzentrierte Gerichte kochen. Beide waren dafür vor zwei Jahren beim Cook-Tank geladen. Das Thema damals: »Brutal lokal«.

The Duc Ngo: Berliner Eisbein und Auster

Dass die Unterschiede mitunter gar nicht so groß sind wie gedacht, zeigt The Duc Ngo mit seinem Gericht. Er präsentiert »Berliner Eisbein und Austern«. Dafür hat er zwei Zutaten mitgebracht, die sehr typisch für die deutsche Küche sind: Schweinshaxe und vergorenes Kraut. Bloß, dass er die Haxe nicht kross gebraten, sondern über Nacht butterweich geschmort hat, und sich das vergorene Kraut als Kimchi entpuppt. Gemeinsam mit Fisch- und Shrimpsauce und einigen anderen Würzmitteln wird das alles in ein Salatblatt gepackt, mit einer ganzen Auster getoppt, eingerollt und in den Mund geschoben. Salzig, süß, sauer, scharf, ein bisschen eine Patzerei, aber insgesamt ziemlich befriedigend. »Ssam« heißt diese Art von Gericht in Asien, und ist ein koreanischer Klassiker.

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Tim Raue: Hong Kong Gai Lan mit Auster

Nochmal ein Austerntopping, diesmal auf Brokkoli. Tim Raue versucht sich gern daran, chinesische Klassiker, vornehmlich aus der Kanton-Küche, zu perfektionieren. Dafür kocht sein Team in seinem Zwei Sterne Restaurant klassische Würzsaucen der chinesischen Küche ganz ohne Geschmacksverstärker und E-Nummern nach eigenen Rezepturen nach. Für den Klassiker Brokkoli in Austernsauce hat er eine perfekte, tief und komplex schmeckende Variante der Sauce kreiert, die einen auf den Punkt gegarten Brokkoli, etwas Brokkolicreme und Tapioka-Perlen umschmeicheln. Geschmacklich und im Sinn des Mottos – Reduktion auf das Wesentliche – einer der Höhepunkte des Tages.

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Christian Bau: Blauflossen-Thunfisch

Christian Bau, mit drei Michelin-Sternen dekorierter Koch, war einer der ersten, der asiatische Aromen und Zutaten in die deutsche Spitzengastronomie brachte: seit 2005 beschäftigt er sich in seinem Restaurant »Victor's Fine Dining« auf Schloss Berg damit. Am Cook-Tank präsentiert er dreierlei vom Blauflossen-Thun (aus nachhaltigem Fang): Sashimi aus dem Bauch, gegrillte Stücke, und ein Tatar aus den Abschnitten. Angerichtet ist das alles in bester deutscher Pinzetten-Hochküchentradition: kompliziert, filigran, beeindruckend anzuschauen. Japanische Aromen treffen auf deutsche Technikverliebtheit und Gründlichkeit. Trotz der verwirrenden Vielfalt auf dem Teller ist das Gericht erstaunlich harmonisch – besonders beeindruckend ist das köstliche Sashimi und die süchtig machende Vinaigrette mit Tapioka-Perlen, die fast nach purem Umami schmeckt.

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Max Stock, »Alpin Spa Tuxerhof« (Ö): Wagyū Herz mit Sauerklee

In Tokyo gibt es eigene Lokale, in denen nur die Innereien der ganz besonders teuren Wagyū-Rinder serviert werden, deren Muskel-Fleisch gern ein paar tausend Euro pro Kilo kostet. Zunge, Schlund, oder Leber sind etwas günstiger zu haben und werden trotzdem als Delikatessen gehandelt und serviert. Der junge, unbekannte Österreicher Max Stock wählte einen ählichen Ansatz – und präsentierte eines der spannendsten, am besten zum Thema passenden Gerichte: er servierte ein Stück auf den Punkt gegrilltes Herz vom österreichischen Wagyū-Rind (interessanterweise ist sogar bei einem starken Muskel wie dem Herzen der Unterschied zu herkömmlichen Rindern merk- und schmeckbar, das Wagyū-Herz wirkt einfach fetter) und servierte es mit einem simplen, aromatischen Püree aus Sauerampfer. (Geplant war Alpiner Sauerklee, aber der ging leider mit dem Koffer am Flughafen verloren). Das harmoniert, macht Spaß und rückt ein feines, ungewöhnliches Produkt in den Vordergrund – sehr schön.

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Daniel Schimkowitsch, »L.A. Jordan«: Swiss Pork Belly mit scharfen Himbeeren und balinesischer Sauce

Der edelschimmelgereifte Schweinebauch von den Schweizer Fleischreife-Spezialisten »Luma« wurde hier noch weiter veredelt mit einer erfreulich scharfen, erfrischend fruchtigen Himbeer-Sauce und einem extrem konzentrierten Jus aus Unmengen Knochen – zum Eingraben gut, und mit einer Inspiration aus einer Ecke Asiens, die eher selten bemüht wird.

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Christian Sturm-Willms, »Yunico«: Hamachi, Daikin, Kombu, Nattō

Der Gastgeber kredenzte eine Makrele, die er mit einem Pulver aus getrocknetem Nattō würzte. Nattō ist eine Art bröckelige Paste aus vergorenen Sojabohnen, die beim Essen ähnlich wie Raclette-Käse lange, dünne Fäden zieht und (ebenfalls ähnlich wie der Käse) einen ausgeprägten, gewöhnungsbedürftigen Eigengeschmack hat. Die Idee bei dem Gericht: Europäischen Fine Dining-Gästen den Geschmack der vergorenen Sojabohnen zu bieten, ohne ihnen die herausfordernde Konsistenz zuzumuten. So richtig funktioniert hat das nicht: Die Konsistenz ist nun einmal wesentlicher Teil des Nattō-Erlebnisses, und das Gericht kam nicht ganz rund zusammen. 

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Yoshizumi Nagaya: Hosho-Maki, Garnele, Aubergine

Deutschlands berühmtester, höchstdekorierter japanischer Koch ging es relativ klassisch japanisch an: Er präsentierte eine Hosho-Maki Rolle mit Garnele und einer in Garnelenkopf-Dashi gekochter Melanzani. Der Star des Tellers war das Gemüse, dessen häufige Schwäche – die Neigung, Fett und Flüssigkeiten wie ein Schwamm aufzusagen – hier mit Hilfe des köstlichen Dashi in eine Stärke verwandelt wurde.

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Eduard Dimant, »Mochi« und »Mochi Ramen Bar« (Ö): Shio-Ramen mit Zander, Huhn und Ei

Eddi Dimant ist verantwortlich für Wiens besten Ramen-Shop und zeigt, dass man japanische Ideen und Techniken auch gut auf heimische Zutaten anwenden kann: Für seinen Zander-Ramen machte er aus Filets des Süsswasserfischs eine Art Katsuobushi (jener getrockneter Fisch, der die Basis für fast alle japanische Suppen ist) und würzte zusätzlich mit knusprigen Hühnerchips. Auch die feinen Nudeln waren auf der eigenen Ramen-Maschine hausgemacht.

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Tobias Müller
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