Château Pétrus: Die Bordeaux-Ikone

Wertbeständig wie eine Rolex, rar wie seltene Erde und stilistisch voller Finessen: Bordeaux-Legenden gibt es viele – doch Château Pétrus übertrifft sie alle.

Was für eine Nachbarschaft: L’Évangile, La Conseillante und Cheval Blanc im Süden, Lafleur und La Fleur-Pétrus im Norden, Vieux Château Certan im Westen. Und mittendrin, umgeben von makellos gepflegten Rebzeilen, ein Ensemble bescheidener, funktionaler Gebäude. Vor dem mannshohen Eisengitter stehen zu fast jeder Jahres- und Tageszeit Menschen mit gezückten Kameras. Der Wein namens Pétrus mag für die meisten unerschwinglich sein – doch auf ein Erinnerungsfoto von dem Ort, an welchem der sagenumwobene Pomerol bereitet wird, möchte kaum ein Bordeaux-Reisender verzichten.

Château Pétrus – ohne Türmchen
Ob man diesen Ort nun ein Château nennt oder nicht, mag nachrangig sein. Auf dem Etikett steht bekanntlich schlicht: Pétrus. Allerdings auch: »mis en bouteille au château«. Das Spiel mit Prestige und Understatement ist Teil der Legende und sagt einiges über den Wein aus – und seine Geschichte. Schon der Illustrator der »Cocks & Féret«-Ausgabe aus dem Jahr 1898 verspürte offenbar das Bedürfnis, den damals aufkeimenden Mythos auszuschmücken: Auf dem Kupferstich für die siebte Auflage des berühmten Bordeaux-Führers dichtete er den Gebäuden ein Türmchen hinzu, das in Realität nie existiert hat. Mit Glanz und Glorie der großen Châteaux des Médoc konnten die eher burgundisch dimensionierten Besitztümer in Pomerol nicht mithalten. Im 19. Jahrhundert besaßen sie noch nicht einmal das Prestige der Nachbarn aus Saint-Émilion. »Die Weine aus Pomerol sind seit einigen Jahren sehr gefragt«, schreiben Cocks und Féret im Jahr 1874 mit merklicher Distanz. »Durch ihr Bukett und ihren delikaten Geschmack halten sie die Mitte zwischen dem Wein aus Saint-Émilion und den besseren Crus Bourgeois aus dem Médoc, mit denen sie sich gut vereinen. Dabei geben sie jenen die Kraft, die ihnen in manchen Jahren fehlt, ohne ihr Bukett zu verändern.«

Der Pomerol als Verschnittwein für zweitrangige Weine aus dem Médoc – das dürfte einer der Gründe dafür sein, dass diese Appellation so spät zu Ansehen kam. Der zweite Grund – und gerade einer für Pétrus – dürfte im schlechten Ruf des Lehms als Weinbergboden liegen. Die ersten Pomerols, die bereits im 18. Jahrhundert einen Namen hatten, lagen auf Kies: Trotanoy und Trochau. Erst Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich Pétrus einen gewissen Rang erkämpft – ein Aufschwung, der wahrscheinlich auch mit der Reblausinvasion zusammenhing – und damit, dass man bei der notwendig gewordenen Neubepflanzung die Malbec-Stöcke durch Merlot ersetzte. Der 1887er-Pétrus erzielte bereits Preise auf dem Niveau eines Deuxième Cru Classé des Médoc.

Château Pétrus – eine Ikone / Foto: PR

Die heutige Ausnahmestellung – von allen Bordeaux-Weinen erreicht höchstens Le Pin dieselben vierstelligen Preise – ergab sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts. Sie ist vor allem ein Werk von Madame Marie-Louise Loubat. Als vermögende Witwe und Inhaberin eines angesehenen Restaurants in Libourne hatte sie das Geld und den Sachverstand, um Pétrus an die Spitze zu führen. Im Jahr 1925 erwarb sie einen Teil der Anteile an Pétrus, und sie stockte kontinuierlich auf, bis sie 1949 alleinige Inhaberin des Guts war. Nach dem Tode Madame Loubats übernahm das Haus Jean-Pierre Moueix in den 1960er-Jahren die Hälfte der Anteile, heute leitet Jean-François Moueix die Geschicke des Guts, der ältere Bruder von Christian Moueix. Kontinuität herrscht auch im operativen Geschäft: Auf den langjährigen Regisseur Jean-Claude Berrouet folgte im Jahr 2008 dessen Sohn Olivier als Weinmacher von Pétrus.

Geologische Besonderheit
Die immense Beständigkeit des Pétrus, sei es qualitativ, sei es in der Wertschätzung der Kenner und im Marktwert, beruht indes vor allem auf einer Laune der Natur. Denn der Boden, auf dem Pétrus wächst, ist das Ergebnis eines glücklichen geologischen Zufalls: Die etwas mehr als elf Hektar Landbesitz liegen am höchsten Punkt des Plateaus von Pomerol auf knapp 40 Metern über dem Meer. Das sind nur zwei, drei Meter Höhendifferenz zur Nachbarschaft – doch dieser feine Unterschied hat es in sich. Denn bereits während der Günz-Eiszeit (vor etwa 800.000 Jahren), als die Garonne fast überall auf dem Plateau von Pomerol Kies ablagerte, ragte die Stelle, an der heute Pétrus wächst, wie eine kleine Insel über die Umgebung empor. Während die umgebenden Flächen mit Kies bedeckt und dadurch vergleichsweise gut vor Erosion geschützt waren, trat auf der Kuppe bei Pétrus das weiche Grundgestein der Molasse frei zutage – und war Wind und Wetter ausgesetzt. Die Molasse verwitterte und mischte sich mit angewehtem Sand. So entstand im Lauf der Zeit ein lehmig-sandiges Gemisch, reich an Mineralstoffen und
fähig, den Wasserhaushalt auf ideale Weise zu regulieren. Der berühmte Lehm von Pétrus, grünblau gefärbt durch seinen Gehalt an reduziertem Eisen, hält Wasser in Zeiten der Trockenheit fest, während der Sand und die unter dem Lehm liegende sandige Molasse das Wasser bei starken Niederschlägen absorbieren wie Löschpapier.

Viele Jahrgänge sind Raritäten, prominente Weinliebhaber sammeln sie / Foto: Chateau Petrus PRDie Besonderheit dieser Bodenstruktur hat wesentlichen Einfluss auf die sensorischen Vorzüge des Pétrus: Obwohl er einer der öligsten Pomerols ist, wirkt er niemals breit oder beschwerlich. Sein immenser Extrakt scheint geradezu zu verschwinden hinter seiner mineralischen Eleganz. Die Gerbstoffe haben nichts von jener ruppigen Körnigkeit, die Weinen von gewöhnlichen Lehmböden zu eigen sein kann. Zwar üben sie bei jüngeren Pétrus-Weinen durchaus eine feste Dominanz auf den Gaumeneindruck aus und garantieren das immense Reifevermögen des Pétrus, doch in ihrer Fähigkeit, sich mit Saft und Mineralität zu verbinden, in ihrer feinen und zugleich spannungsreichen Struktur besitzen sie auch eine gewisse Nähe zu jenem Typ Gerbstoff, den man von farbigen Sandsteinböden gewinnen kann. Nachdem das Wunder Pétrus in den vergangenen 150 Jahren immer besser erkannt, verstanden und genützt wurde, ist Pétrus heute ein zeitloser Wein – fernab von Hypes und Moden. Viele Worte über Kellertechnik zu machen, wäre vergebens: Denn das Team Moueix-Berrouet strebt danach, den Einfluss so klein wie möglich zu halten. Pétrus ist ein weinbauliches Unikat, bestimmt durch seine Lage im geologischen »Knopfloch« von Pomerol – in sich ruhend, mit gefestigter, unnachahmlicher Identität. Der Zutritt zur Himmelspforte, der bekanntlich in der Macht des heiligen Petrus steht, ist indes – wie könnte es anders sein – streng begrenzt: Selbst in einem guten Jahr werden nur rund 30.000 Flaschen abgefüllt.Text von Ulrich Sautter aus Falstaff 05/14 bzw. Falstaff Deutschland 06/14Petrus auf einen Blick:

  • Rebfläche: 11,5 Hektar
  • Sortenspiegel: momentan 100 Prozent ­Merlot (5 Prozent Cabernet Franc wurden vor wenigen Jahren gerodet und sind bislang nicht neu aufgestockt)
  • Alter der Reben: Der größte Teil des Weinbergs musste nach dem Winterfrost von 1956/57 erneuert werden, wobei nach Möglichkeit auf überlebende Wurzeln aufgepfropft wurde. Die Stöcke selbst sind also inzwischen mehr als 55 Jahre alt, das Wurzelwerk kann jedoch bedeutend älter sein.
  • Regisseur: Olivier Berrouet
  • Boden: Sand und farbiger Lehm über Molasse
  • Besonderheiten: kein Zweitwein
  • Aktuelle Marktpreise: 1000 bis 10.000 Euro pro Flasche

Preisliste für das Château Pétrus in Saint-Émilion / Foto: MauritiusParker-Punkte für Pétrus:

  • 2012: 95-98+
  • 2011: 95
  • 2010: 100
  • 2009: 100
  • 2008: 97
  • 2007: 91
  • 2006: 93+
  • 2005: 96+
  • 2004: 93
  • 2003: 95+
  • 2002: 90
  • 2001: 95
  • 2000: 100
  • 1999: 94
  • 1998: 98
  • 1997: 91
  • 1996: 92
  • 1995: 96
  • 1994: 93
  • 1993: 92
  • 1992: 90
  • 1990: 100
  • 1989: 100
  • 1988: 91
  • 1987: 87
  • 1986: 86
  • 1985: 88
  • 1984: 87
  • 1983: 86
  • 1982: 93
  • 1981: 86
  • 1980: 89
  • 1979: 86
  • 1978: 83
  • 1976: 88
  • 1975: 98+
  • 1973: 90
  • 1971: 95
  • 1970: 99
  • 1967: 99
  • 1966: 90
  • 1964: 99
  • 1962: 91
  • 1961: 100
  • 1959: 93
  • 1950: 99
  • 1949: 95
  • 1948: 95
  • 1947: 100
  • 1945: 98
  • 1921: 100

Chateau Petrus, Pomerol

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
Mehr zum Thema
Hauptspeise
»Fruchtiges Herz«
Rind abseits von Filet und Steak: Exotische Innereien-Kreation von Constantin Fischer.
Von Constantin Fischer
Stolze Tradition meets fesche Innovation: Der Jaguar E-Type (l.), Traum aller Autoliebhaber, und der neue, familienfreundliche E-Pace (r.).
Icons
Jaguar: Rasante Katze
Der Name steht für britische Eleganz, perfektes Design und richtig coole Performance: Die...
Von Julia Vacca
Das Rolex-Kaliber «3255» neuester Generation gehört zum Besten und Fortschrittlichsten, was man heute kaufen kann.
Icons
Icons: 50 Jahre Sea-Dweller
Die Taucheruhrenikone kam im Jahre 1967 mit dem Doppelnamen »Sea-Dweller Submariner 2000« auf den...
Von Alexander Linz
Das luxuriöse Tafelbesteck von Christofle.
Icons
Icons: Christofle
Seit bald 190 Jahren erzählt das Tafelbesteck der Orfèvrerie Christofle Familiengeschichten. Von...
Von Michaela Ernst
Icons
Icons: Jack Daniel's
Der Charme der Südstaaten, abgefüllt in eine Flasche: die Geschichte hinter Jack Daniel’s,...
Von Erhard Ruthner
Icons
Icons: Der Zaren-Lachs
Wer das Geheimnis des Rolls-Royce unter den Räucherlachsen ergründen will, muss den Ort seiner...
Von Martin Kilchmann
52 Tanks aus Beton und eine unsichtbare Temperatursteuerung: Alle Leitungen zur Wasserkühlung laufen im Boden oder hinter der Wand.
Icons
Icons: Cheval Blanc
Das Premier Cru Classé »A« ist ein Solitär: Es gehört zu Saint-Émilion, doch der Boden des...
Von Ulrich Sautter
Krug Champagner
Icons: Die KRUGISTEN
Ein Feuerwerk für den Gaumen: KRUG steht als Champagner-Marke für Luxus und kreatives Handwerk...
Von Katrin Riebartsch
 Falstaff stellt in jeder Ausgabe Ikonen der Kulinarik und des Lifestyles vor. 
All about Steak
Icons: Japans Fleisch-Fetisch
Kobe-Beef ist Japans fleischgewordene Delikatessen-Ikone. Dabei gibt es im Land auch noch anderes...
Von Herbert Hacker