Champagne abseits des Mainstreams

Eine neue Generation französischer Weinmacher interpretiert das populärste Prestigegetränk der Welt völlig anders.

Der junge Etienne Goutorbe aus Ay blickt auf eine langjährige Familientradition zurück, ob als Rebzüchter oder Récoltant-Manipulant. Er fasst seine Definition der Unverwechselbarkeit des Champagners so zusammen: »Die Interpretation der eigenen Champagner bedient sich traditioneller Stilmittel. Ausbau, Assemblage, also die Vermählung der Grundweine, Lagerung und Dosage sind unsere wichtigsten Spielelemente.« Einige Winzer bauen dabei die Weine in Stahl- oder Emailletanks aus. Andere setzen Holz, wie Fuder oder Barriques, ein, um die Aromenpalette zu erweitern. Neuerdings tendieren junge Winzer dazu, die Weine nach der alkoholischen Gärung länger auf der Hefe zu lagern, den Süßegrad der Dosage zu reduzieren und die Lagerzeiten von Reserveweinen zu verlängern. So interpretiert diese kleine Gruppe innovativer Winzer den Champagner neu und trägt dazu bei, ihn zu einem der spannendsten Getränke weiterzuentwickeln.

Mit Teamwork zum Erfolg
Es ist eine neue Generation unabhängiger Winzer, die sich organisiert. Sie schließen sich zu Gruppen zusammen, wie »Terres et Vins«, die von Raphael Bérèche und Aurélien Laherte 2009 initiiert wurde. Einige von ihnen arbeiten biologisch oder biodynamisch. Die 21 angeschlossenen Winzer verkosten ihre Grundweine zusammen und suchen den Austausch zwischen den Generationen und Champagnerregionen. Ähnliches gilt für zwei weitere Gruppen: die »Artisans du Champagne«, zu der 16 Winzer – unter anderem Rodolphe Péters und Champagne Vilmart – gehören, und die »Terroirs et Talents«, der sich 15 Winzern angeschlossen haben – unter anderem Champagne Aspasie, De Sousa und Eric Rodez. Alle Gruppen wollen die Champagne mit neuen Impulsen voranbringen und das Besondere, das Unverwechselbare der Region hervorheben.

Neuer Kick in Nase und Gaumen
Wie setzen diese Winzer Trends? Richten sie sich nach bestimmten Konsumentengruppen, die einen neuen Kick in der Nase und am Gaumen verspüren wollen? Fest steht: Sie wollen Eigenständiges, Kreatives jenseits des teils uniformen Massenchampagners erzeugen. Mit Leidenschaft kämpfen sie für ihr Produkt, das ihre persönliche Auffassung von Champagner widerspiegeln soll.

Fotos beigestellt

Purist Agrapart
Das gilt auch für die bereits etablierten Stars, die Kultwinzer der Szene, die in den vergangenen Jahren für ihre außergewöhnlichen Champagner bekannt wurden: Anselm Selosse, das »enfant terrible« der Region und Pascal Agrapart, den Puristen. Eher bescheiden und zurückhaltend beschreibt er seine Philosophie: »Die Wahrheit des einen ist nicht die Wahrheit des anderen! Ich verfolge keine Modetrends. Die Champagner müssen mir gefallen, und ich freue mich, wenn andere meinen Geschmack teilen.« Seine »Weine«, so nennt Agrapart seine produzierten Champagner, werden nach drei unterschiedlichen Bodentypen eingeteilt und ausgebaut. Sie sind geradlinig, attackierend am Gaumen und mit einer unglaublichen Mineralik und Komplexität ausgestattet.

Nicht totspritzen!
Biologischer oder biodynamischer Anbau sind für ihn, wie für viele aufsteigende Winzer, lediglich Modewörter. Sie arbeiten umweltschonend und verwenden Elemente dieser Anbaumethoden, es sind jedoch nur wenige zertifiziert. Auch der Pferdeeinsatz zur Weinbergbearbeitung wird oft überinterpretiert und romantisiert. »Wir wollen das, was die Natur uns mit den einzigartigen Kreideböden und der Vielfalt der Landschaft gegeben hat, respektvoll behandeln. Wir müssen die Kreideböden schützen, sie nicht totpflügen oder totspritzen«, sagt Rodolphe Péters aus Le Mesnil-sur-Oger. Er besitzt herausragende Grand-Cru-Lagen an der Côte des Blancs.

Parzellenweine wie im Burgund
Diese Individualisten bewahren das Terroir und verkaufen ihre Trauben nicht an die großen Häuser, sondern bauen die Weine eigenständig sorten- und lagenrein aus. Hier ist das Terroir wirklich zu finden und ist nicht nur ein zu Marketingzwecken genutzter Begriff. Man riecht es, man schmeckt es. Und einige der neuen Aufsteiger, bauen nun – ähnlich wie im Burgund – Parzellenweine aus. Zu diesen Aufsteigern zählt Cédric Bouchard. Seine im Tank ausgebauten Weine, wie der bekannte »Roses de Jeanne«, sind nichts für klassische Champagnertrinker: Sie schmecken weinig, kräuterig und brauchen nach dem Öffnen Zeit, um sich zu entwickeln. Auch für Raphael Bérèche aus Ludes sind seine Champagner zuerst einmal Weine. Seine Philosophie: »Ich mag das Komplexe, das Stoffige. Die Perlage ist für mich lediglich ein Accessoire, um den Gaumen zu beleben.« Bei seinen Champagnern spürt man meist nur ein leichtes Kitzeln im Mund, dafür eine Komplexität und unglaubliche Länge am Gaumen. Der Ausbau erfolgt im Holz, ähnlich wie bei Vilmart aus Rilly-la-Montagne.

Satelliten der Champagne
Rodolphe Péters dagegen setzt auf geradlinige, im Edelstahltank ausgebaute Champagner. Bei diesen hat man manchmal das Gefühl, an einem Kreidestein zu lecken. Interessant und dynamisch wird der Wandel in den weniger bekannten Teilen, den Satelliten der Champagne: im Tal der Ardes etwa, das 20 Kilometer westlich von Reims liegt. Hier findet man das Gut Champagne Aspasie, das heute von Paul-Vincent Ariston geführt wird. Er strahlt bei der Verkostung: »Champagner besitzt eine positive Ausstrahlung! Man sollte sie teilen und gemeinsam genießen.« Seine vielschichtigen, oft fruchtig komplexen Weine repräsentieren unterschiedliche Böden aus Kalk, Sand und Tuff. Hinzu kommt, dass er die alten, oft vergessenen Rebsorten Arbanne, Petit Meslier und Pinot Blanc anbaut. Sie finden sich in seiner besonderen Cuvée Cépages d’Antan wieder. Alte Rebsorten und außergewöhnliche Weine trifft man auch bei Michel Drappier aus Urville. Genau wie Bouchard kommt er aus einer oft etwas vergessenen Region, der Côte de Bar, dem südlichen Teil der Champagne. Während er aus dem Keller steigt, erzählt Drappier: »Ich suche nicht nach der Perfektion. Ich suche nach Originalität, ohne die Qualität, die Eleganz und die Tiefe meines Weins zu verlieren.« Wie er das macht? »Durch die intensive Beschäftigung mit der Natur, die Verwendung von geringen oder gar keinen zugesetzten Schwefelmengen und eigens gezüchtete Hefen aus meinen Weinbergen«, erklärt er.

Bezahlbarer Gaumenkitzel
Qualität, Originalität und Individualität – das also macht den Kern des neuen Trends aus. Die vorgestellten Winzer wollen bezahlbare und dabei qualitativ interessante Champagner kreieren. Sie bauen auf Tradi­tion und wagen es doch, selbstbewusst und emotionsgeladen den Champagner neu zu interpretieren. Diese Emotion und Experimentier­freude schmeckt man beim Trinken. Wir, die Konsumenten, sollten ihnen unbedingt eine Chance geben, denn die Vielschichtigkeit und dieser Art Gaumenkitzel machen einfach Spaß.

von Gerhild Burkard

Und wer jetzt richtig Lust auf Champagner bekommen hat, der ist bei der Falstaff Champagner Gala in Berlin am 5. Dezember genau richtig.

INFO
Termin:
Donnerstag, 5. Dezember 2013
Zeit: Beginn um 17.30 Uhr
Ort: Berlin Capital Club, Mohrenstraße 30, 10117 Berlin

TICKETS
Vorverkauf: € 59,– >>> Hier online bestellen
Mitglieder Berlin Capital Club: € 49,–
Abendkasse: € 69,–

Mehr zum Thema
Champagner
Essay: Champagner-Supernova
Champagner schmeckt. Noch besser schmeckt er trocken. ­Noch besser schmeckt er extratrocken. Ist...
Von Manfred Klimek