Das beeindruckende Ensemble von Castillo Ygay ist dem Château Lafite-Rothschild in Bordeaux nachempfunden.

Das beeindruckende Ensemble von Castillo Ygay ist dem Château Lafite-Rothschild in Bordeaux nachempfunden.
© Castillo Ygay

Castillo Ygay: Iberische Legende

Die Rotweine von Château Ygay, heute als Castillo Ygay bekannt, zählen mittlerweile zu den besten der Welt.

Es soll ein Wein sein, der dem feierlichen Charakter des Tages gerecht wird, dachte ­sich vermutlich Spaniens König Juan Carlos I., als er im Juni 2014 die Krone an seinen Sohn Felipe VI. weiterreichte. Also ließ der Monarch einen seiner absoluten Lieblingsweine kredenzen – wohl nicht zuletzt auch, um sich den nicht vollkommen freiwilligen Rückzug ein klein wenig zu versüßen. Seine Wahl fiel auf einen wundervoll gereiften Rioja, und zwar den »Castillo Ygay Gran Reserve Especial« aus dem Jahrgang 1925, erzeugt von den Bodegas Marqués de Murrieta in Logroño. Eine wahrlich königliche Entscheidung, wie all jene Glücklichen, die ein Glas davon abbekamen, später mit Nachdruck bestätigten.

Luciano de Murrieta y ­García-Lemoine

Murrieta war und ist seit seiner Gründung eines der absoluten Spitzenweingü­ter der Welt. Und sein Entstehen verdankt dieser Betrieb einem genialen Vordenker der spanischen Weinbranche. Der Name des Mannes, der im Jahr 1852 den Grundstein für die kommenden Erfolge legte, war ­Luciano de Murrieta y ­García-Lemoine, 1822 in ­einem Ort namens Arequipa im fernen Peru geboren. Sein Vater, gebürti­ger Baske, war dort in den Überseehandel involviert, sah sich aber infolge des peruanischen Unabhängigkeitskriegs gezwungen, nach London zu übersiedeln, wo Luciano seine Jugendjahre verbrachte. Als junger Mann trat Murrieta in die spanische Kavallerie ein, im Jahr 1840 avancierte er zum Adjutanten von General Baldomero Espartero, der ihn in der Folge persönlich protegierte. Nach einer unglücklichen politischen Wendung musste der General allerdings ins Exil, Murrieta folgte ihm, und zwar abermals nach London, wo der junge Mann ein wachsendes Interesse für die Weine aus Bordeaux und Jerez entwickelte.

Der General war aus Logroño in der Provinz Rioja gebürtig und kehrte schließlich nach Aufhebung des Exils im Jahr 1848 dorthin zurück. General Espartero besaß in seiner Geburtsstadt Weinberge und eine Bodega – und so reifte beim nunmehrigen Ex-Adjutanten Murrieta der Plan, sich als Winzer zu betätigen. Doch zunächst reiste er nach Bordeaux und lernte vor Ort, wie Weinbau und Kellerarbeit betrieben werden. Ausgestattet mit dem nötigen Know-how, kehrte er nach Rioja zurück, mietete die Kellerei seines Gönners und begann ab 1852, das erste kommerziell überregional agierende Weinunternehmen der Region zu formen.

Castillo Ygay

Murrieta kaufte Hunderte kleine Eichenfässer nach französischem Vorbild, um die Weine darin reifen zu lassen und auch gleich zu verschicken. Aber anders als die Winzer in der Gironde griff er zu amerikanischer Eiche und baute die Weine mit vier Jahren Fasslagerung auch wesentlich län­ger aus als in Bordeaux üblich. Ein cleverer Schachzug, denn der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Bald fanden sich Abnehmer in so weit entfernten Destinationen ­wie Kuba oder Mexiko. Nach 20 Jahren ­im Weingeschäft hatte es Murrieta geschafft, nicht nur seinen eigenen Weinen Geltung zu verschaffen, sondern der ganzen Region ­Rioja zum Aufschwung zu verhelfen. Im Jahr 1872 wurde er als Marqués de Mur­rieta von Kurzzeitkönig Amadeus I. (1870–1873) in den Adelsstand erhoben. Noch im gleichen Jahr konnte Murrieta ein besonders geeignetes Stück Land erwerben und begann, dort sein eigenes Château zu errichten. Umgeben von Reben, Feldern und Olivenhainen entstand hier Castillo Ygay – auch wenn der Marqués damals noch den Namen Château Ygay bevorzugte. Von 1891 bis 1911 lebte Luciano, der erste Marqués de Murrieta, auf seinem Châ­teau, wo er schließlich im Alter von 89 Jahren kinderlos verstarb. Der Sohn seines Cou­sins erbte Titel und Betrieb und führte das Weingut als das weiter, wozu es geworden war: ein spanischer Premier Grand Cru ­und Vorbild für die Zukunft des Rioja.

Rotes Flaggschiff

Im Jahr 1983 übernahm Vicente Cebrián-Sagarriga, der zehnte Graf von Creixell, ­das Weingut und modernisierte mit großer unternehmerischer Energie den Betrieb ganz im Sinne der Marqués de Murrieta. Nach dem Tod des neuen Besitzers wur­de dessen ältester Sohn Vicente Dalmau Cebrián-Sagarriga, Conde de Creixell, zum neuen Leiter der Weinkellerei bestimmt – eine Aufgabe, die er inzwischen seit 25 Jahren gemeinsam mit seiner Schwester Cris­tina und unterstützt von einem jungen Team erfüllt. Unter seine Ägide wurde das Sortiment ganz klar strukturiert, an der Spitze steht mit dem roten »Castillo Ygay« die Essenz eines klassischen Riojas mit enormem Reifepotenzial. Dieses rote Flaggschiff kann auf eine Ehrfurcht gebietende Geschichte verweisen, die Philosophie bei der Herstellung der »Gran Reserva Especial« hat sich allerdings im Laufe der Zeit und unter der neuen Besitzerfamilie deutlich verändert. Heute kommen die Trauben für Ygay aus dem im Jahr 1950 neu ausgepflanzten Weingarten von La Plana, die Cuvée besteht durchschnittlich zu 80 bis 90 Prozent aus Tempranillo, der Rest ist Mazuelo, ausgebaut wird der Topwein für 26 bis 34 Monate in kleinen Fässern aus amerikanischer und französischer Eiche, und nach der Füllung darf der Wein mindestens noch drei Jahre in der Flasche heranreifen.

Der »Castillo Ygay Gran Reserva Es­pecial« geht zurück bis auf den Jahrgang 1877 und wurde nach Bordelaiser Vorbild zunächst mit »Château Ygay« bezeichnet. Er stellte immer eine Selektion der besten Fässer aus herausragenden Jahrgängen dar. Seit 1917 heißt er »Castillo Ygay«. Die Weine aus dem 20. Jahrhundert muss man allerdings in zwei Perioden unterteilen: die »jüngeren« Jahrgänge unter der neuen Besitzerfamilie und die »historischen« Jahrgänge. Im Unterschied zu den extrem lange im Fass gereiften historischen Jahrgängen wurden jüngere Abfüllungen (1985, 1987, 1989, 1991, 1994, 1995) zwischen vier ­und fünf Jahren im Fass gelagert. Seit den 2000er-Jahren wird nur mehr zwei bis drei Jahre gelagert. Ein Ygay kommt heute im Schnitt etwa zehn Jahre nach der Ernte auf den Markt. Der aktuelle Jahrgang ist 2010 und zählt fraglos zu den besten Ygays der »neuen« Zeitrechnung. Historische Jahrgänge (1917, 1925, 1942, 1952, 1959, 1964, 1968, 1970 oder 1978) wurden 20 bis 30 Jahre im Holzfass ausgebaut.

Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2020

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© Castillo Ygay

Toll auch in Weiss

Die weiße »Castillo Ygay Gran Reserva ­Especial« ist ebenfalls ein Ausnahmewein und eine Rarität, die nur aus speziellen ­Jahrgängen erzeugt wird. Der aktuelle Jahrgang ist 1986 und besteht zu 97 Prozent aus Viura, der Rest ist Malvasia aus dem Pago Capellanía am höchsten Punkt der Finca. Dieser Wein reifte unvorstellbare 252 Monate oder 21 Jahre in kleinen Barricas aus ame­rikanischer Eiche und danach noch einmal 67 Monate im Betontank. 8125 Flaschen wurden im Jänner 2014 abgefüllt. Unter dem Etikett Marqués de Murrieta werden heute eine rote Reserve und ein Gran Reserva angeboten. Dazu kommen der »Single Vineyard Viura Capellanía« und ein Rosé (»Primer Rosé«). Beginnend mit 2004 hat Ygay-Boss Cebrián-Sagarriga das Sortiment zudem um einen »modernen« Rioja namens »Dalmau« (sein zwei­ter Vorname) erweitert, der mit »Castillo Ygay« kontrastiert. Dieser kraftvolle, dunkelwürzige Wein besteht aus Tempranillo mit Cabernet Sauvignon Graciano und ­ reift zwei Jahre in neuen französischen ­Barriques. Es hat sich also ganz schön ­ was getan, seit der junge Adjutant Murri­eta seine Liebe zum Wein entdeckt hat.

Peter Moser
Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich
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