Gourmet-Bäumchen aus cremig geschlagener Butter aus dem Haus Bordier.

Gourmet-Bäumchen aus cremig geschlagener Butter aus dem Haus Bordier.
© Martin Boudier

Butter: Gnadenlos gut

Ein leidenschaftliches und hemmungslos zeitgeistwidriges Plädoyer für Butter, eines der am meisten und zu Unrecht verteufelten Lebensmittel. Denn: Ohne Butter macht Essen keinen Spaß.

Falls Sie ein Butterverächter sind, müssen Sie nun tapfer sein. In diesem Text taucht das B-Wort 64 Mal auf. Allein fünf Mal in dieser Anekdote über meine Mutter: In der schlechten Zeit nach Kriegsende bekamen sie und ihre Shwestern zwanzig Gramm Butter pro Woche. Die Schwestern bestrichen unzählige Scheiben Brot mit ihrem Kontingent. Hauchdünne Schicht, kaum Geschmack. Meine Mutter packte all ihre Butter auf ein kleines Stück Brot, vergrub ihre Zähne darin und strahlte die Runde mit butterglänzenden Lippen an! Ich bin wie meine Mutter. Ich liebe Butter! Manchmal lutsche ich Butter pur. Himmlisch!
Gott sei Dank bin ich nicht allein. In Baiersbronn treffe ich einen Butterbruder im Geiste, den Drei-Sterne-Koch Claus-Peter Lumpp vom Restaurant »Bareiss«. Lumpp ist ein fröhlicher Mann, dessen BMI weit von dem eines Magermodels entfernt ist. Schon der erste Satz lässt mich jubilieren: »Empfindliches brate ich ausnahmslos in Butter. Was scharf erhitzt werden muss, kommt in geklärte Butter.« Und warum? »Sonst schmeckt es nicht.« Richtig! Und die Vielseitigkeit von Butter! Die Saucen! Die Patisserie! Hollandaise, Béarnaise, Choron, Beurre blanc, Croissants, Blätterteig! 

© www.guenterstandl.de

Undenkbar ohne Butter. Der Genussmensch Lumpp mag feste Butter: »Ich liebe Hefezopf mit Marmelade und Butter. Wenn sie zu weich ist, können Sie nicht genug draufschmieren.« Butterverdienstkreuz für Lumpp! Jetzt denken Sie sicher, ich sei ein Irrer im Butterrausch. Falsch. Ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte; alle Synapsen sind perfekt gebuttert. »Butter ist ein gutes Lebensmittel«, sagen nämlich auch Professoren wie der Ernährungsmediziner Hans Hauner von der TU München. »Trotzdem spuken Vorurteile in den Köpfen herum.« 

Brioche-Auflauf von Éric Fréchon, Butter-Liebhaber und Koch im »Le Bristol Paris«. 
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Brioche-Auflauf von Éric Fréchon, Butter-Liebhaber und Koch im »Le Bristol Paris«. 

Woher die kommen? Der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer hat eine Erklärung: »Die Margarinewirtschaft hat in den 1950ern Unsummen für Studien bezahlt, die heute als Betrügereien gelten.« »Procter & Gamble« beauftragte Forscher, Argumente für das Bratfett Crisco und gegen Butter zusammenzutragen. So wurden Cholesterin und gesättigte Fettsäuren jahrzehntelang als Arterienverstopfer dämonisiert.
Inzwischen weiß man: In Butter sind sowohl gesättigte als auch ungesättigte Fettsäuren enthalten. Erstere brauche der Körper für den Aufbau von Zellwänden, so Hauner. Außerdem verbrenne der Herzmuskel überwiegend Fettsäuren. Der Großteil der gesättigten Fettsäuren in Butter sei mittelkettig; sie spielen keine Rolle bei der Entstehung von Herzinfarkten. Das täten nur die selteneren langkettigen. Und das auch nur, wenn im Überfluss konsumiert. So sei der Effekt auf Arteriosklerose schwächer als angenommen und der auf Cholesterin lange nicht so dominant. Der Kölner Kardiologe Jörg Busch ergänzt, dass Cholesterinwerte ohnehin meist genetisch bedingt seien. »Sie können sie durch Ernährung kaum steuern.« Nicht nur das: Eine US-Meta-Studie, die neun Studien mit 600.000 Teilnehmern auswertete, kam zum Ergebnis: »Wer Butter aß, hatte ein vier Prozent niedrigeres Diabetes-2-Risiko.« Butter gegen Zucker. Jawoll! Hauners Fazit: »In Maßen genossen ist Butter gesund.« In Maßen – das sind zwanzig Gramm pro Tag. Oder 7,3 Kilo im Jahr. Juchhe!

Jean-Yves Bordier stellt in St. Malo Algenbutter, Fenchelbutter, Yuzubutter und vieles mehr her.
© Martin Boudier
Jean-Yves Bordier stellt in St. Malo Algenbutter, Fenchelbutter, Yuzubutter und vieles mehr her.

Als ich nach meinem Buttertagtraum die Augen öffne, bin ich im Butteresser-Paradies, dem Laden von Jean-Yves Bordier in St. Malo. Algenbutter, Fenchelbutter, Yuzubutter, Beurre demi-sel und vieles mehr. Bordier hat ein Bäuchlein, eine dröhnende Stimme und unzählige Lachfalten. »Ich bin Hersteller von Butterbroten«, kokettiert er. Na ja. 300 Tonnen Butter im Jahr stellt seine mittelständische Firma her – jede einzelne Packung wird ihm von Sterneköchen aus der Hand gerissen. Wann die Butter am besten sei? Wenn die Tage wärmer werden.
Ortswechsel. Das Atelier in Rennes. Arbeiter Eric walkt fünfzig Kilo Rohbutter mit bloßen Händen: Knetet sie, reißt riesige Stücke auseinander und packt sie wieder zusammen, während sie sich auf einer Teakholzplatte dreht und von einer Holzwalze bearbeitet wird. Malaxage nennt sich das und dauert eine halbe Stunde. Mittendrin streut Eric Salz in die Butter, 28 Gramm pro Kilo. Irgendwann tritt Wasser aus; die Butter weint. Und schmatzt. Noch einmal etwas Salz, der Bordier-Kniff. Voilà.

Jean-Yves Bordier stellt Butter her, die ihm von Sterneköchen aus der Hand gerissen wird.
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Jean-Yves Bordier stellt Butter her, die ihm von Sterneköchen aus der Hand gerissen wird.

»Der Malaxeur arbeitet mit allen Sinnen«, sagt Vincent Philippe, der das Atelier leitet. Das Kneten lasse Butter reifen und setze Aromen frei. »Jetzt ist sie perfekt, nicht mehr elfenbeingelb, sondern strohgelb. Und cremig. Kosten Sie!« Ich lutsche ein Kügelchen, bin berauscht. Und wir sind bei den wärmeren Tagen. Im Frühjahr geben die Kühe der Bordier-Bauern die beste Milch – wegen der vielen Blüten. Im Sommer sei es zu heiß und zu trocken. September und Oktober seien wieder großartig. »Ich erkenne am Geschmack, aus welchem Monat die Butter ist.« Nebenan formen zwei Dutzend Tapeurs an Rolltischen mit Holzplatte die Butter mit irrwitzig schnellen Bewegungen von zwei Metallspateln in Taler, Zylinder, Rollen, Quadrate. Am Ende ein Holzstempel mit dem Bordier-B, Verpackung per Hand und ab nach Paris, London, Tokio.
Bordier und seine Kollegen sind die Gegenreaktion auf eine Entwicklung, die segensreich begann und in Perversion endete. Eine Butterfahrt durch die Geschichte: Butter gibt es so lange, wie Menschen Tiere melken. Wahrscheinlich stimmt auch die Sage von ihrer Entdeckung: Ein Reiter hatte als Verpflegung einen Schlauch Milch dabei. Am Ziel hatte sich die Milch durch das Schütteln in Molke und Butter verwandelt. Haltbarer und wohlschmeckender, ein Evergreen. Der Larousse schreibt, die Skythen hätten ihren Sklaven die Augen ausgestochen, damit sie beim Buttern nicht abgelenkt würden. Die Römer waren Butterbanausen; sie benutzten sie als Narbensalbe. Aber dann: Skandinavier und Normannen! Die erste Butterblüte! 

© Martin Boudier

Zunächst aßen nur Bauern Butter; die Reichen verachteten sie und Käse als »Fleisch der Armen«. Später arbeitete sich Butter in den Adel vor; sie war das einzige tierische Fett, das die Kirche in der Fastenzeit erlaubte. Der zweite Boom kam mit der Industrialisierung: mehr Futter, bessere Maschinen, Eisenbahn, Kühlhäuser. Die Milchindustrie hob ab – und wurde Opfer des eigenen Erfolgs und der EU-Subventionspolitik, mit der kafkaesken Konsequenz, dass man Butterberge an Kühe verfütterte, die Milch für Butter produzierten. Auch heute leben in Europa Millionen »Hochleistungsturbokühe«, so Hauner. »Sie kriegen oft Kraftfutter mit billigen Fetten. Das bestimmt das Fettsäureprofil der Butter.«
Brr! Aber kein Argument gegen Qualitätsbutter. Einer von Bordiers besten Kunden ist Drei-Sterne-Mann Éric Fréchon vom »Epicure« im Hotel »Le Bristol« in Paris. Butterjahresverbrauch: zehn Tonnen! Fréchon ist Normanne. »In der Familie meines Vaters waren alle Bauern. Wir haben die Butter selber gemacht. Ich erinnere mich an den Apfel-kuchen. Das Apfelkompott wurde mit Butter gemacht. Der Teig wurde mit Butter gemacht. Auf den fertigen Kuchen kam … Butter!« Ich spreche mit Fréchon in seinem mit Kochbüchern vollgestopften Büro. Butter sei wie Salz: unverzichtbar. Früher habe man zu viel Butter falsch eingesetzt: »Man hat sie erhitzt, bis sie fast schwarz war, und Fisch darin gebraten. Ich brate Fisch in Öl an; dann lasse ich Butter darauf schmelzen. Das gibt ein wunderbar subtiles Aroma.« Was passiert, wenn Leute ins Restaurant kommen, die keine Butter essen? Fréchon lacht und scherzt: »Die schmeißen wir raus.« Fréchon macht Butter-Werbung im Fernsehen. Slogan: »Prenons la vie côté plaisir!« (»Lassen Sie uns Lust am Leben haben!«)

Die feinen Kreationen von Éric Fréchon wären ohne Butter nicht denkbar.
© Jan Prerovsky
Die feinen Kreationen von Éric Fréchon wären ohne Butter nicht denkbar.

Das Leben genießen. Zufriedenheit. Auch das ist wichtig für die Gesundheit; es sind nicht nur Blutwerte. Kardiologe Busch formuliert es so: »Ab und zu eine Sauce mit etwas zu viel Butter wird das Leben nicht verkürzen.« Liebe Leser, Sie haben viele gedankliche Kalorien aufgenommen. Lassen Sie sich Zeit beim Verdauen. So wie ich mir Zeit nehme, zur Feier des fertigen Artikels Butterküche bei Fréchon zu genießen. Vor mir liebkost Beurre noisette ein Stück Kalbsbries. Buttriger Balsam für die Seele. Guten Gewissens entschwebe ich und denke an die Worte des irischen Dichters Seamus Heaney: »Butter ist geronnener Sonnenschein.«

Ein Feigen-Erdbeer-Dessert von Eric Fréchon.
© Pilippe Barret
Ein Feigen-Erdbeer-Dessert von Eric Fréchon.

Lieblingsbutter

Butter kann gar nicht zu viel Bedeutung beim Kochen beigemessen werden, meinen Spitzenköche auf der ganzen Welt. Aber auf welche Butter schwören eigentlich Österreichs Top-Köche?

Stefan Hermann

Foto beigestellt

»Wir arbeiten im ›Bean & Beluga‹ mit einer Küstenbutter aus Schleswig-Holstein«, verrät Stefan Hermann, »eine einfache Butter aus Deutschland, die gut zum Kochen und Aromatisieren geeignet ist. Bei der Zubereitung kann Butter die natürlichen Aromen in Kräutern und Gewürzen hervorheben. Fisch und Fleisch können direkt vor dem Servieren mit Butter und Kräutern arosiert werden. Zum Brot servieren wir aufgeschlagene, leicht gesalzene Nussbutter. ›Krabat Milchwelt‹ ist die perfekte Butter, um sie direkt auf ein frisches Mischbrot oder Baguette zu streichen. Sie ist leicht gesalzen und für mein Empfinden besser als alle bekannten französischen Butterprodukte.«
Meine Tipps: 
Küstenbutter aus Schleswig-Holstein
www.hochland.de
Krabat Milchwelt
02997 Wittichenau
www.krabat-milchwelt.de

Felix Schneider

Foto beigestellt

»Wie fast alles im ›sosein. Restaurant‹ stellen wir auch unsere Butter selber her. Ziel ist immer, durch authentisches Handwerk einzig-artigen Geschmack zu erzeugen. Wir kaufen den Rahm der Molkerei Schrozberg, kultivieren ihn mit me­sophiler Mikroflora und fermentieren ihn bis zur Stichfestigkeit circa ein bis zwei Wochen. Danach schlagen wir die Masse händisch, pressen die Molke aus und waschen sie portionsweise, bis das restliche Eiweiß ausgeschwemmt ist, verpacken sie in Backpapier und reifen sie erst bei Raumtemperatur für circa zwei Wochen, danach bei circa 5 Grad für etwa drei Monate. Das Ergebnis ist eine Butter mit starker Milchsäure, käsigen und pilzigen Aromen, die an Schinken oder Blauschimmelkäse erinnern. Hochkomplex und intensiv, ein Produkt, das man so nicht kaufen kann.«
Mein Tipp: 
Molkerei Schrozberg
74575 Schrozberg
www.molkerei-schrozberg.de

Sarah Wiener

© Kenwood Austria

»Ich mag gesalzene Sauerrahm-butter und handgeschüttelte oder handgemachte Almbutter am liebsten. Warum ich Butter verwende? Ich mag den Buttergeschmack, ob bei Gekochtem oder pur. Meine Lieblingsproduzenten sind die Almbauern, die Butter wie vor hundert Jahren herstellen. Diese Butter ist sehr fragil und hat einen starken Eigengeschmack und je nach Jahreszeit eine schöne Färbung. Der signifikanteste Unterschied ist wohl die Konsistenz. Gute Butter ist immer weich, auch gekühlt. Ich koche und backe oft mit Butter. Bei Mehlspeisen sowieso. Aber auch ein Wiener Schnitzel in Butterschmalz herausgebacken ist der größte Genuss für mich.«
Meine Tipps: 
Sennerei Huban
6933 Doren (Österreich)
www.sennerei-huban.at
Strasser Bio-Rohmilch-Almbutter vom Naturbauernhof
4871 Frankenburg (Österreich)
www.naturbauernhof.wordpress.com

Daniel Achilles

© Nils Hasenau

»Wir im ›reinstoff‹ stellen eine Joghurtbutter her und reichen diese dann zum Brot. Es gibt viele gute Buttersorten – aber nach der Zeit ist es immer nur Butter. Unsere Variante hat uns gut gefallen, da sie etwas leichter und cremiger ist als klassische Butter. Und die geht so: Butter und Joghurt im Verhältnis 1:3 handwarm erwärmen, verrühren, abfüllen, kalt stellen, fertig. Wir nocken die Portionen organisch ab und bestreuen die Joghurtbutter noch mit gerösteten und leicht gesalzenen Sonnenblumenkernen. Passt unserer Meinung nach gut zum Brot. Die Joghurtbutter pro­duziert für uns Alexander Jordt ­aus unserem Team. Wir kaufen dafür Odenwälder Butter – gibt es zum Beispiel beim Online-Shop ›manufactum‹ – und griechischen Joghurt.«
Mein Tipp:
Molkerei Hüttenthal
Odenwälder Butter
64756 Mossautal/Odw.
www.molkerei-huettenthal.de

Erschienen in
Falstaff Nr. 08/2017

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Christoph Teuner
Christoph Teuner
Redakteur
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