Bordeaux 2010: Das Jahr des Obelix

Der Bordeaux 2010 scheint ein wahrer Zaubertrank zu sein - Besser als 2005 und 2009. Die internationalen Kritiker überschlagen sich vor Begeisterung. Und die Preise werden weiter steigen.

Der Mann steht da wie ein Fels: groß, mächtig und stark. Doch nichts an ihm wirkt hart, kantig, unnahbar. Im Gegenteil: Gérard Depardieu ist die Verkörperung von Größe und Mächtigkeit, gepaart mit sympathischer Harmonie, also so wie Obelix, der unbesiegbare Gallier, den er in der Verfilmung des bekannten Comics spielte – und so wie der neue Jahrgang aus Bordeaux, wo der Schauspieler ja selber Wein erzeugt. »Der Jahrgang 2010«, sind sich die Verkostungsexperten einig, »ist üppig, kraftstrotzend, mit festem Kern und Charakter, aber doch auch mit Charme.« Es ist also ein Wein wie Obelix, so könnte man den neuen Jahrgang beschreiben.

Kraftvoll
Anfang April drängte sich die Fachwelt einmal mehr um die Tische, auf denen die jüngsten Bordeaux-Weine zur Erstverkostung angeboten wurden. Schnell war allen klar: Man hat es mit einem außergewöhnlichen Jahrgang zu tun. Tiefdunkle Farbe, enorme Konzentration, viel Extraktsüße, ein frisches Säuregerüst und dazu noch feste Tannine. Und trotz alldem spürt man eine jugendliche Harmonie, die einem erst nach einigen Proben klarmacht, welch ­ungeheure Kraft in diesen Weinen steckt. »Nicht nur ich bin der Meinung, dass 2010 der größte Jahrgang im Bordeaux ist«, meint beispielsweise Steven Spurrier vom »Decanter Magazine«.

Pferde statt Traktoren: kein Marketing-Gag auf Château Latour / Foto: Mario Scheuermann

Klimarische Bedingungen für einen Spitzenjahrgang
Betrachtet man das Klima, in dem sich der 2010er entwickelt hat, wird klar, warum da etwas Besonderes herangereift ist: Der Sommer war extrem trocken – genau so, wie dies auch 2005 und zuletzt 2009 der Fall war. Beide Jahrgänge sind für ihre Spitzenweine bekannt. Das Jahr 2010 hat aber sehr kalt begonnen, der Winter hielt sich ungewöhnlich lang. Erst Mitte März begannen die Temperaturen zu steigen, auch im April blieb es noch relativ kühl. Dieses Wetter hielt bis zum Mai die Rebstöcke in eisigem Griff. Am rechten Ufer der Gironde, die das Bordelais teilt, begann der Austrieb etwas früher als auf der linken Seite. Es gab dort keinen Frost mehr, und die Reben setzten gut und gleichmäßig an. Während der Blüte gab es einige sehr kalte Nächte. Das wirkte sich negativ auf den Fruchtansatz aus und verringerte die Erträge. Speziell der Merlot war davon betroffen. In dieser Phase war den Winzern auch schon klar, dass die Ernte 2010 um 15 bis 20 Prozent geringer ausfallen würde als 2009.

Die letzten zehn Junitage brachten dann den Wandel: Tagestemperaturen um die 28 Grad Celsius, und die Zahl der Sonnenstunden der heißen Sommermonate Juli und August war um 50 Prozent höher als üblich. Es gab nur ganz wenige Regentropfen. Verglichen mit 2009 war der Juli deutlich heißer, dafür der August etwas kühler, mit frischen Nächten, was aber das Ausreifen der Trauben begünstigte. Es blieb weiter warm und trocken, und die Zuckergrade der Trauben stiegen unaufhörlich an. Doch trotz der Trockenheit waren die Reben noch nicht in Schwierigkeiten, weil die Hitze nicht zu extrem ausfiel. Den Winzern war klar: Hier kann etwas ganz ­Besonderes entstehen. Und das Schönwetter hielt weiter an.

Château Cheval Blanc baut einen neuen Keller. Spitzname: Saint-Émilion International Airport / Foto: Peter Moser

Doch noch blieb man vorsichtig. Um den 22. September begann wie üblich zunächst in Pessac-Léognan und Pomerol die Weinlese. Tieffärbige Moste mit enormen Tanninen, viel Säure und hohem Zuckergehalt kündigten einen großen Jahrgang an, auch die Merlots in Saint-Émilion und im Médoc konnten unter Idealbedingungen geerntet werden. Einige Tage nachdem die Merlots in den Kellern waren, folgten Tage mit kühlen Winden. Es blieb dabei trocken, was den Cabernets die Möglichkeit gab, sich nochmals zu konzentrieren. Sie wurden im Oktober unter bestmöglichen Bedingungen geerntet, und jetzt war klar, dass 2010 zu einem Ausnahmejahrgang werden würde.

Preise steigen weiter
Wer beim Jahrgang 2010 auf der Suche nach einem klassischen Bordeaux im herkömmlichen Stil ist, sollte sich in den kühleren Terroirs am linken Ufer umschauen, wer opulentem, ja südländischem Charme anhängt, wird am rechten Ufer fündig werden. Die klimatischen Bedingungen haben dafür gesorgt, dass auch die schwächeren Appellationen sehr reife und gute Weine haben, es gibt daher im Preis-Leistungs-Bereich sehr viele positive Überraschungen. Die Top­weine werden dafür sehr teuer bis unleistbar sein. Die Nachfrage aus Asien ist weiter gestiegen, auch die amerikanischen Weinsammler sind wieder zurück. Das wird die Preise, so unglaublich das auch scheinen mag, weiter beflügeln. Wer aber überdurchschnittlich gute Weine im mittleren Segment und bei den Crus Bourgeois ins Visier nimmt, der kann aus dem Vollen schöpfen, denn hier werden die Preise ähnlich wie 2009 ausfallen.

Die Nachfrage in China ist ungebrochen: Dongjun Shen kauft für die mächtige Gruppe Tesiro ein / Foto: Getty Images

Weiß und süß
Ein Wort zu den Weißweinen, die ebenfalls beachtlich ausgefallen sind. Der warme Sommer sorgte für recht kraftvolle Weine. Die kühlen Nächte haben die Säure sehr gut konserviert, und die Aromatik ist sowohl bei den Sauvignons Blancs wie auch bei den Sémillons sehr schön. Auch Süßweinfans kommen mit dem Jahrgang 2010 auf ihre Rechnung, vor allem jene, die einen präzisen, klaren und rassigeren Stil gegenüber üppigen, barocken Nuancen vorziehen.

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Zu den Verkostungsnotizen

Text von Peter Moser

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