Max Kugel in Bonn: Keine Brötchen, keine Croissants, nur Brot – davon aber zehn Sorten, handwerklich gebacken.

Max Kugel in Bonn: Keine Brötchen, keine Croissants, nur Brot – davon aber zehn Sorten, handwerklich gebacken.
© Johannes Dreuw Photography

Bäcker: Die Letzten ihrer Art

Mehl, Wasser, Salz – oft reichen drei Zutaten für höchsten Genuss. Hinter gutem Brot steckt Handwerkskunst, doch genau die geht seit einiger Zeit verloren, so Experten und Insider. Müssen wir uns Sorgen machen um unsere Bäckereien?

Was müsste passieren, damit wir eines morgens die Überschrift lesen: »Können Deutschlands Bäcker nicht mehr backen?« Wenn es nach Arnd Erbel geht, nicht viel. Die Bäcker, meint Erbel, müssten eine Woche lang auf Zusätze aller Art, auf sogenannte Backmittel, verzichten. Schnell wären die Brötchen vielerorts nicht mehr leicht und fluffig, sondern flacher und schwerer, wäre Brot nicht mehr so gebräunt und möglicherweise unförmiger. Dann würde sich zeigen, wer sein Handwerk beherrscht – und wer nicht.

Der Mann, der dieses Szenario skizziert, ist einer der besten Bäcker Deutschlands. Wobei ihm diese kurze Charakterisierung nicht annähernd gerecht wird, denn der Franke Arnd Erbel verkörpert das Bäckerhandwerk wie kein Zweiter. Vier Meister­titel führt er, der gute Ruf seiner Backstube in Dachsbach nahe Erlangen hat sich weit herumgesprochen, bis nach Australien und Japan. Fast alle seine Backwaren entstehen mit selbst gezogenem Sauerteig, was er in seinen Brötchen, Broten und im Feingebäck als Zutaten verbackt, steht sonst auf dem Einkaufszettel von Gourmets – so hochwertig sind sie.

Versteckte Zusatzstoffe

Von Fertigmischungen, behandelten Mehlen und zugesetzten Backmitteln hält Erbel nichts. Alles, was aus seiner Backstube kommt, ist frei von Zusatzstoffen, dafür steht er mit seinem Wort. Das ist selten geworden in einer Zunft, die für ein jahrtausendealtes Grundnahrungsmittel steht. Auch diejenigen, die sich als Handwerks­bäcker bezeichnen, setzen häufig Pulver, Pasten und andere Mittel ein, von denen Käufer nichts ahnen, weil sie nicht angegeben werden müssen: funktionelle Enzyme, Emulgatoren, Phosphate – diese Stoffe stecken viel häufiger in unserm täglich Brot, als wir uns vorstellen wollen. 

Zahlen, wie viele Bäcker solche Backmittel benutzen, erhebt der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks nicht. Glaubt man Experten, verzichtet aber kaum eine Bäckerei darauf. Auf maximal 20 Prozent schätzt Lutz Geißler den Anteil derjenigen Bäckereien, die komplett »sauber backen«, wie er sagt. Geißler kann sich eine solche Einschätzung zutrauen: Auch wenn er mit seinem Blog zum Hobbybacken groß geworden ist (siehe Interview), kommen in seine Kurse selbst gestandene Bäckermeister, jedes Jahr besucht er Dutzende von Bäckereien. 

Wer selbst einmal Brot gebacken hat – und die Zahl der Hobbybäcker steigt seit Jahren –, wird vermutlich nicht verstehen, wozu man Backmittel braucht. Denn für Laien liegt gerade in der Einfachheit die Faszination: wie aus Mehl, Wasser und Salz ein so kostbares, wohlschmeckendes Produkt entstehen kann. Eine Scheibe Sauerteigbrot mit krosser Kruste und saftiger Krume, darauf Butter, das reicht manchmal für kulinarische Hochgefühle.

Das Brot von Jochen Gaues war auch für den Bundespräsidenten gut genug.
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Das Brot von Jochen Gaues war auch für den Bundespräsidenten gut genug.

Die Wiederentdeckung des Brotes

Die Wiederentdeckung von Brot und Brötchen begann in den USA mit dem Kultbäcker Chad Robertson, der 2002 die Bäckerei Tartine eröffnete und ein 30 Stunden gereiftes Weizenbrot auf Sauerteigbasis verkaufte. Mit der Zeit schwappte die Welle auch nach Europa. Auf einmal schrieben Zeitungen über den Brotbäcker Jochen Gaues, der den Bundespräsidenten belieferte, Rezepte für zu Hause, wie etwa das »No-knead bread« aus der »New York Times«, wurden hunderttausendfach nachgebacken.

2009 wurde die Bäckerei »Zeit für Brot« gegründet, Markenzeichen: die gläserne Backstube. Die Frankfurter Filiale war die erste, Ableger in Berlin und Hamburg folgten. Die Läden sind voll, erzählt Geschäftsführer Dirk Steiger, weitere Dependancen sind schon in Planung.

Deutsche Brotkultur

In Deutschland ist man besonders stolz auf die Brotkultur. Sie zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe, mehr als 3200 Sorten werden zwischen Sylt und Oberstdorf laut Zentralverband gebacken. Wahrscheinlich ist Deutschland auch das einzige Land, das ein »Brotinstitut« hat. Auf der anderen Seite schließen seit Langem mehr Bäckereien, als neue aufmachen. Allein in den vergangenen acht Jahren sank die Zahl der Betriebe nach Zentralverband-Angaben um gut 3000. Supermärkte, Discounter und große Ketten machen mit ihren Backshops den Handwerksbäckern das Leben schwer.

© Andreas Riedel

Vor allem deshalb, weil Zeit für sie so wichtig ist. Für höhere Bekömmlichkeit und besten Geschmack arbeiten Handwerksbäcker mit mehrstufiger Teigführung, die anspruchsvoll ist und dauert. Arnd Erbel hat allein fünf Sauerteige, die er ständig auffrischt und kontrolliert. »Eigentlich bräuchte man dafür einen Sauerteigmeister, ähnlich wie einen Kellermeister beim Wein«, sagt er. Auch für die weitere Teigverarbeitung kommt es manchmal auf ein Zeitfenster von ein paar Minuten an. Backmittel machen Teige unempfindlicher dafür, außerdem helfen sie bei der maschinellen Bearbeitung.

Nicht nur die Zeit fehlt mancherorts, auch das Know-how nimmt ab, hat Lutz Geißler beobachtet. »Viele Bäckermeister können gut mit Teigen umgehen, aber sie haben kaum mehr Fachwissen, um sie nur aus Mehl, Wasser und Salz herzustellen«, sagt er.

Max Kugel, Bäcker- und Konditormeister aus Bonn, sieht das ähnlich. »Die Bäcker verlernen den Umgang mit ihrem eigenen Handwerk.« Schuld daran seien Backmittel, Fertigmischungen und Tiefkühlprodukte, die die handwerkliche Komplexität reduzierten und zugleich die Palette der möglichen Backwaren deutlich ausweiteten. »Es ist ein Trauerspiel«, meint Kugel. Die Frage ist: Würden wir als Kunde meckern, wenn die Brötchen anders aussähen als sonst? Oder es weniger Sorten gäbe?

Einfach nur Brot

Kugel hat darauf seine eigene Antwort gefunden. In seiner Bäckerei bietet er keine Brötchen an, keine Croissants, nur Brot – sein Geschäft heißt schlicht: »Max Kugel da wo’s nur Brot gibt«. Zehn Sorten, um genau zu sein, geöffnet ist von Dienstag bis Samstag. Sechs Wochen im Jahr bleibt die Backstube geschlossen. In Zeiten, in denen Bio boomt, macht Kugel (genau wie »Zeit für Brot«) kein Aufheben darum, dass er ausschließlich mit Biomehl arbeitet.

 

Der Verkaufsraum des Bonner Bäckers Max Kugel sieht etwas anders aus, als man es von Bäckern kennt. Und auch sonst macht Kugel einiges anders.
© Johannes Dreuw Photography
Der Verkaufsraum des Bonner Bäckers Max Kugel sieht etwas anders aus, als man es von Bäckern kennt. Und auch sonst macht Kugel einiges anders.

Aus Spott wurde Respekt

Dafür, dass er einiges anders macht, wurde er von etablierten Kollegen belächelt, sagt er. Inzwischen dürfte der Spott in Respekt umgeschlagen sein, denn die Kunden reißen ihm das Brot aus den Händen. Sein Schild »Sorry Leute, wir sind ausverkauft« steht regelmäßig im Schaufenster. Weshalb Kugel anders tickt als die Kollegen?

Einen Hinweis darauf gibt die Weltkarte, die in der Verkaufsstube hängt und mit »Road to Bakery« überschrieben ist. Neben Lahnstein und Wuppertal ist auch Kapstadt eingezeichnet, San Francisco, Zürich und Vancouver: alles Orte, an denen Kugel ­buk und sich inspirieren ließ – nach seiner doppelten Ausbildung zum Konditor und Bäcker reiste er jahrelang durch die Welt. Danach hatte er einen anderen Blick auf sein Handwerk. Er probierte es zunächst in der Bäckerei seines Vaters, stieg dann aber aus und machte sein eigenes Ding.

Der frische Blick von außen, so scheint es, tut der Branche gut. Vielleicht auch deshalb, weil Querköpfe keine Angst haben vor vermeintlichen Kundenerwartungen. Ob eine Rückbesinnung auf alte Tugenden erfolgreich wäre? Arnd Erbel hat dazu eine klare Meinung: »Ich sichere meine Existenz, weil ich so backe, wie ich backe.«

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2020

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Philipp Elsbrock
Philipp Elsbrock
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