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Badens Genossenschaften: Einmal Reset, bitte!

Wenn alles so bleiben soll, wie es ist, dann muss sich alles verändern – das ist die Lösung der Stunde für Badens Genossenschaften.

Als der Flachbildschirm aufleuchet, erscheinen Bilder von Weinbergen im Gegenlicht, begleitet von epischen Streicherklängen. Die Kamera schwenkt über Dörfer und abermals über Reben, streift bewaldete Hügel, an deren Schokoladenseite Weinberge bis hinein in die Ebene auslaufen. Und schließlich sieht man einen jungen Mann, der mit einem Spaten in der Hand oberhalb eines Weinbergs steht. »Unsere Reben wachsen im ­gesamten Markgräflerland«, sagt er, »von Grenzach im Süden bis zum Batzenberg im Norden.« Dann spricht er über die Vorzüge einer Genossenschaft. Und endet mit der Aussage: »Ich bin Markgräfler Winzer.« Hagen Rüdlin ist der Geschäftsführer ­der Markgräfler Winzer, der zweitgrößten Genossenschaft Badens und der größten ­im Markgräflerland im Südwesteck des ­Anbaugebiets. Die Filmvorführung findet im Büro des 43-Jährigen statt. Als Rüdlin die Geschäftsführung des 900-Hektar-Betriebs im Juli 2016 übernahm, hieß die Genossenschaft noch Bezirkskellerei Markgräflerland. Ganz in der Diktion der Sieb­zigerjahre, als es in Breisach auch noch ­eine Zen­tralkellerei gab.

Rüdlins Kompass

»Mit der Namensänderung wollte ich klarmachen, dass Qualität aus dem Weinberg und von unseren Winzerinnen und Winzern kommt. Der Keller ist zweitrangig.« Rüdlin beließ es jedoch gleich nach seinem Amtsantritt nicht bei einer Umfirmierung. Er krempelte auch die Politik der Genossenschaft radikal um: Er senkte den Höchstertrag, den die Winzer abliefern können, und flankierte die Regelung mit ­einem Sanktionierungsmodell, falls ein Mitglied trotzdem zu viele Trauben bringt. Bei Neuanpflanzungen werden die Mitglieder nun auf einen bestimmten Clon, auf einen Stockabstand und eine vorgegebene Pflanzdichte verpflichtet. Rüdlin steht im Herbst an der Traubenannahme und weist Bottiche mit nachlässig sortierten Trauben zurück.

Mit all dem hat er sich natürlich nicht ­nur Freunde gemacht. »Aber man muss ­ den Kompass richten und sich ambitionierte Ziele stecken und alle Leute mitnehmen, ­die die Ambition teilen.« Dabei ist Rüdlin, so rigoros seine Maßnahmen sind, auch ein Mann der Kontinu­ität, denn er folgte 2016 auf niemand an­deren als seinen Vater Gerhard Rüdlin, der die Genossenschaft 45 Jahre lang geführt hatte. Doch Rüdlin junior hat einen Lebenslauf, der für alles andere als ein »Weiter so« steht: Er arbeitete unter anderem ­als Verkaufsleiter für Fritz Keller in Oberbergen und war für Moët Hennessy in den USA. Die Management-Qualitäten, die er auf diesem Lebensweg erworben hat, zeigen sich an scheinbaren Details: Als der Posten des Kellermeisters neu zu besetzen war, suchte Rüdlin nach jemandem, der gerade eben keine Erfahrung in einem Großbetrieb haben sollte. Martin Leyh, der daraufhin 2017 nach Efringen-Kirchen kam und die Verantwortung im Herbst 2019 von seinem Vorgänger übernahm, geht mit dem Blick eines Kellermeisters an seine Aufgabe he­ran, der Auslandserfahrung hat, vor allem aber zehn Jahre in Familienbetrieben in der Pfalz verbracht hat. »Ich hab jemanden gesucht, mit dem ich neue Wege andenken kann«, sagt Rüdlin. Und das gelingt den beiden famos: Aus dem Jahrgang 2018 haben sie einen Chardonnay und einen Spätburgunder im Keller, mit denen die Genossenschaft zu Badens Top-Weingütern aufschließt, etikettiert als badische Landweine. Auch hier ist man auf einem Weg, der von der Speerspitze junger Familienbetriebe auf dieselbe Weise beschritten wird.

Paradigmenwechsel

Denn die ewig gleichen Geschmacksmuster, für die badische Genossenschaftsweine bis vor wenigen Jahren bekannt und gefürchtet waren, ziehen nicht mehr: Eisbonbon-Duft und üppiges Süßschwänzchen am Gaumen verprellen zahlungskräftige Weinkunden, statt sie an die Welt der Genossenschaften heranzuführen. Und auch die Symbolsprache der Nachkriegszeit mit ihren Sonnenmännchen und Bassgeigen wirkt heute eher antiquiert und hinterwäldlerisch. Erwin Vogel ist Vorstand in der Winzergenossenschaft Oberbergen. Auch er hat das Amt erst vor wenigen Jahren übernommen und sagt: »Die alte Bassgeigen-Genossenschaft sind wir heute nicht mehr. Sicher, als Identifikationsmerkmal sieht man das Bassgeigen-Logo bei uns im Ort noch an fast jedem Haus, und da passt es auch. Aber als Genossenschaft haben wir unsere Corporate Identity komplett überarbeitet.« Das modernere und irgendwie auch erwachsenere Aussehen der Genossenschaft unterstreichen auch zwei neue Weinlinien: TT (wie Traubenteilung) steht für Weine, ­für die im Lauf des Spätsommers bei jeder einzelnen Traube jene Teile weggeschnitten werden, die oft nicht voll ausreifen, wie Spitzen und Schultern: Niedriger Ertrag und ei­ne besonders homogene Reife in den Beeren sorgen für Weine wie den 2018er-Weißburgunder, der die Brücke von der Stoffigkeit zur Zugänglichkeit schlägt. »Für eine zweite Weinlinie haben wir unsere Toplagen in den Gewannen Berg und Langeneck ausgewählt. Dort, in den Kleinterrassen ist alles Hand­arbeit. Darum heißt die Linie BL, wie beste Lagen oder eben auch wie Berg und Langeneck.« Auch in Richtung Bio-Anbau macht Oberbergen erste Schritte: Auf etwa vier Hektar erprobt die Genossenschaft den Verzicht auf Herbizide und Düngung. Wenn die Ergebnisse positiv sind, soll die Bio-Anbaufläche kontinuierlich steigen.

Demeter-Weine

Die Genossenschaft Hagnau am Bodensee ist in Sachen Bio sogar bereits so weit, dass sie vier verschiedene Weine mit Demeter-Label anbieten kann. »Einer unserer Traubenlieferanten hat auf Demeter umgestellt. Und der Name ›Terra‹, den diese Weine tragen, hat einen Doppelsinn: Denn die Druckfarbe, mit der das Etikett gedruckt wurde, enthält Erde aus dem Weinberg.« Mit der Hagnau-App kann man zudem das Etikett scannen und wird dann auf die Website und zum Demeter-Winzer geleitet.

Aber auch sonst ist Badens älteste Genossenschaft, 1881 auf Veranlassung des Dorfpfarrers gegründet, innovativ. Grade eben hat sie einen Pet Nat vorgestellt. »Wir probieren jedes Jahr was Neues aus, hatten auch schon Vin nature und Orange Wine«, berichtet Keck. »Das Kellerteam ist zwischen 30 und 50 Jahre alt. Wenn einer eine Idee hat, nehmen wir sie auf und diskutieren sie im kleinen Kreis.« Und Kellermeister Jochen Sahler ergänzt: »Bei unserer Haupt­sorte Müller-Thurgau kriegt jeder Mitarbeiter im Herbst einen eigenen Tank und darf seinen eigenen Wein kreieren.« Wie wertvoll das kreative Potenzial der Mitarbeiter ist, betont auch Michael Braun, der Geschäftsführer der Becksteiner Winzer im Taubertal. »Wir haben zum Beispiel einen ›mutigen Müller by Florian Döller‹ im Sortiment. Unser Kellermeister Florian Döller war in Österreich, Australien und Neuseeland. Diesen Erfahrungsschatz wollen wir nicht versauern lassen.« Daher wird für den mutigen Müller dasselbe Ausgangsmaterial in vier Partien geteilt und getrennt weiterverarbeitet: Döller spielt mit verschiedenen Hefen, mit der Auswirkung von Trub bei der Gärung und mit Gärtemperaturen. Danach cuvettiert er aus den vier Partien einen Wein, der die unterschiedlichen Facetten des Müller-Thurgau vereint.

Bio-Anbau und pilzresistente Sorte

»Auch sonst haben wir Spaß daran, zu ­experimentieren und eigene Wege zu gehen. Das üppige, barocke Bild von Baden erfüllen wir hier im Taubertal ohnehin nicht, auch ganz bewusst nicht. In dieser Nische fühlen wir uns ausgesprochen wohl.« Mit dem Schwarzriesling legen die Becksteiner zudem den Schwerpunkt auf eine Sorte, die heute mehr und mehr als Spezialität wahrgenommen wird und die nicht nur ihrer Eleganz wegen im Trend liegt, sondern auch wegen der Rückbesinnung auf lokale Besonderheiten. Auf ähnliche Weise kultiviert etwa die Weinmanufaktur Gengenbach noch die alte Sorte Räuschling. Andere Genossenschaften tun sich durch Sortenexperimente hervor, ­die vor Global Warming undenkbar gewesen wären, inzwischen aber das Zeug dazu haben, die lokalen Traditionen von morgen zu begründen: Sasbach etwa erprobt Cabernet Sauvignon, Oberkirch Viognier und Lagrein, Laufen hat Nebbiolo. Fast überall sind im Gleichschritt mit dem Bio-Anbau auch pilzresistente Sorten auf dem Vormarsch.

Genossenschaftsgeografie

Insgesamt gibt es rund 70 Winzergenossenschaften in Baden. Unsere Karte zeigt, wo die Aktivposten der Szene zu Hause sind – und die Hotspots aus unserem Best-of.

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Jung und alt vereint

Die badische Kernkompetenz schlechthin aber sind und bleiben die Burgundersorten. Und auch sie haben noch Potenzial zu Verbesserungen. Dem badischen Burgunder seine Schwere und Bräsigkeit auszutreiben, ist ein Ziel, das viele Genossenschaftswinzer, vor allem junge, mit der Avantgarde der Weingüter teilen. In der Winzergenossenschaft Oberrotweil ist daraus ein eigenes Jungwinzerprojekt geworden. Unter der ­Bezeichnung »557 NN« und in Anspielung auf den 557 Meter hohen Totenkopf, die höchste Erhebung des Kaiserstuhls, bringt eine Gruppe um Jonas Landerer Weine he­raus, die betont kühl und straff anmuten. »Bei uns in der Genossenschaft sind acht Winzer jünger als 40 Jahre, da sagten wir uns: Wenn wir uns nicht zusammenschließen, wer dann?« Im Winter 2015/ 2016 reifte der Plan zu einer eigenen Weinlinie. »Der Geschäftsführer sagte: ›Ihr habt freie Hand.‹ Da haben wir uns schnell geeinigt: Es sollen richtig trockene Weine aus Burgundersorten sein. Keine Riesenerträge, aber auch keine Traubenteilung, ganz wichtig soll die Defi­nition des Lesezeitpunkts sein. Und bei den Lagen wählen wir Vulkanverwitterung für den Spätburgunder und Löss für die Weißen. Vor allem aber war uns wichtig: keine Jagd nach Oechsle.«

Als die ersten Weine im Mai 2017 gefüllt wurden, so Landerer, sei das ein großer Tag für die Gruppe gewesen. Nach eineinhalb Jahren des Wartens von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt stellte sich der Erfolg dann aber sogar recht schnell ein – beim Verkauf der Weine, aber auch intern in der Genossenschaft. »Drei aus unserer Jungwinzergruppe sind inzwischen zu Verwaltungsräten gewählt worden. Man hat uns gesagt: Ihr seid innovative, gute Typen, euch wollen wir im Gremium, um die Genossenschaft zukunftsfest zu machen.« Dabei zeigte sich an den »557 NN«-Weinen auch, dass der Abschied von der »dienenden« Restsüße bei den Kunden ankommt. Und zwar beileibe nicht nur in der jungen Zielgruppe, wie Landerer klarmacht: »Ich habe eine Tante, die ist jetzt 81 Jahre alt und trinkt gern trocken. Die hat sofort gesagt: ›Ihr macht das genau richtig.‹«

ZUM TASTING​​​​​​​

Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2020

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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