Die Frage, wie der weltweite Strombedarf mit CO2-armen Energiequellen gedeckt werden kann, tritt immer mehr in den Vordergrund.

Die Frage, wie der weltweite Strombedarf mit CO2-armen Energiequellen gedeckt werden kann, tritt immer mehr in den Vordergrund.
© Federico Beccari/unsplash

Atom & Co: Die Energiegewinnung der Zukunft

Im Kampf gegen den Klimawandel erlebt die Atomenergie ein Comeback. Warum Reaktoren die Welt trotzdem noch immer entzweien und die Corona-Krise den Energiemarkt auf den Kopf gestellt hat.

Die Säule ist so hoch wie ein mehrstöckiges Wohnhaus und hat einen Durchmesser von etlichen Metern. Es könnte sich bei diesem 700 Tonnen schweren Monstrum aus Stahl auch um eine Rakete handeln. Tatsächlich geht es um sehr viel Energie: Das futuristische Konstrukt aus einem Informationsvideo des amerikanischen Unternehmens »NuScale« soll bald eine Kleinstadt mit Strom versorgen. Bei der Stange, die sich in einer Animation um die eigene Achse dreht, handelt es sich um einen neuartigen Atomreaktor, den »NuScale« noch in diesem Jahrzehnt ans Netz bringen will. Mit Unterstützung der US-Regierung soll für über eine Milliarde Dollar ein Kernkraftwerk entstehen, das aus zwölf der sogenannten »Small Modular Reactors« (SMR) – also kleinen Reaktormodulen – besteht und Energie ohne nennenswerte CO2-Emissionen liefern wird. »NuScale« stellt in Aussicht, dass SMRs aufgrund ihres Designs und mithilfe digitaler Steuerung sicherer, effizienter und günstiger sein werden. Seit der Gründung im Jahr 2007 hat die Firma über 200 Millionen Dollar eingesammelt, auch Samsung zählt zu den Geldgebern.

Berühmter Supporter

Dass sich Investoren nun zunehmend auf die Mini-Reaktoren stürzen, ist Ausdruck einer Renaissance der Atomenergie. Erst vor wenigen Wochen kündigte Frankreichs Präsident Macron den Bau neuer Reaktoren an. Auch Bill Gates, Gründer von Microsoft und einer der reichsten Menschen der Welt, sieht darin einen Weg, sauberen Strom zu erzeugen, und hat mit »TerraPower« ein Unternehmen gegründet, das eine neue Generation von angeblich sicheren Reaktoren auf den Weg gebracht hat. Der Gedanke dahinter: Um die Erderwärmung im Zaum zu halten, muss die Energieerzeugung weg von sehr schadstoffreichen Formen wie Kohle oder Erdöl und hin zu emissionsarmen Technologien – und dazu gehört auch die Atomenergie, zumindest in Bezug auf das CO2. »Ich war skeptisch, aber auch neugierig«, schreibt Gates über seine Beschäftigung mit der Kernkraft.

Kleine Reaktormodule von der Stange, wie sie zum Beispiel das amerikanische Unternehmen »NuScale« entwickelt, sollen einen neuen Ansatz für den Bau von Kernkraftwerken bieten.
© NuScale Power
Kleine Reaktormodule von der Stange, wie sie zum Beispiel das amerikanische Unternehmen »NuScale« entwickelt, sollen einen neuen Ansatz für den Bau von Kernkraftwerken bieten.

Lange Zeit überwog die Skepsis. Die Nuklearkatastrophen von Three Mile Island (1979), Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) haben die Kernenergie in Verruf gebracht und eine anfängliche Euphorie rasch verebben lassen. Aber auch der normale Betrieb von Atommeilern sorgt laufend für Kritik, nicht zuletzt wegen der Strahlenbelastung für die Umwelt, der Lagerung von Atommüll und des Abbaus von radioaktivem Material. Mit dem Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie vor zehn Jahren, angefacht von Fukushima, schien das Schicksal der Technologie besiegelt. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) war die Stromerzeugung mit Kernenergie seit 2010 auch leicht rückläufig und lag zuletzt bei rund zehn Prozent, während Kohle noch über ein Drittel ausmachte.

Volk legt sich quer

In Österreich ist das Für und Wider bei der Atomenergie ein Stück Zeitgeschichte. Es ist immerhin das einzige Land, in dem ein Kernkraftwerk gebaut und bereits mit Brennstäben bestückt wurde, aber nie in Betrieb ging. Eine Volksabstimmung im Jahr 1978 verhinderte das und nur wenige Monate vor dem Unglück in Tschernobyl folgte das endgültige Aus für das Kraftwerk Zwentendorf. Ein Sperrgesetz verbietet es seitdem auch, ohne Zustimmung der Bevölkerung in Österreich Atommeiler zu bauen. So dient der stillgelegte Reaktor nun als Trainingslager für Kernkraft-Personal aus anderen Ländern. Bis zur Liquidierung kostete das Kraftwerk rund eine Milliarde Euro. Das ändert nichts daran, dass in der direkten Nachbarschaft derzeit etwa ein Dutzend Atomkraftwerke in Betrieb sind.

Geht es nach den Prognosen der IEA, wird sich der Trend bei der Atomenergie wieder umkehren. Die Behörde rechnet damit, dass bis 2050 im Vergleich zu heute um bis zu drei Viertel mehr Strom mit Kernreaktoren erzeugt werden wird, während es in zehn Jahren immerhin ein Plus von mehr als 25 Prozent geben soll. Laut der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA könnte sich die weltweite Atomstrom-Kapazität in den nächsten 30 Jahren verdoppeln. Derzeit befinden sich auch rund 50 Atomreaktoren in 19 Ländern im Bau, davon alleine 14 in China – bei einem globalen Bestand von etwa 440 Reaktoren. Die USA, China, Frankreich, Russland und Südkorea erzeugen am meisten Atomstrom.

Im simulierten Kontrollraum einer Anlage von kleinen modularen Reaktoren von »NuScale« im Hauptsitz des Unternehmens im US-Bundesstaat Oregon.
© NuScale Power
Im simulierten Kontrollraum einer Anlage von kleinen modularen Reaktoren von »NuScale« im Hauptsitz des Unternehmens im US-Bundesstaat Oregon.

Grün oder nicht grün?

Frankreich – dort hat Kernkraft seit jeher einen besonders hohen Stellenwert; ein Gegenpol zu skeptischen Ländern wie Österreich. Zwar plante der französische Präsident Emmanuel Macron anfangs noch, wie andere europäische Länder Reaktoren herunterzufahren. Doch erst im Oktober präsentierte er ein neues Energiekonzept, das massiv auf Atomenergie und vor allem auf SMRs setzt. Bis Ende des Jahrzehnts will Macron dafür über eine Milliarde Euro investieren. »Wir werden diese Technologie auch weiterhin brauchen«, sagt er. Seine Regierung hat sich kürzlich mit neun weiteren atomfreundlichen EU-Staaten zusammengetan, um zu erreichen, dass die EU Atomenergie als grüne Energieform anerkennt, auf Augenhöhe mit Wind, Solarenergie und Wasserkraft. Was den Ländern massiv dabei helfen würde, die Klimaziele der Union zu erreichen. Schließlich spielt der Energiesektor beim Klimawandel eine große Rolle: Drei Viertel der Emissionen, die den bisherigen Temperaturanstieg bewirkt haben, sind global darauf zurückzuführen.

In Südfrankreich entsteht derzeit der Kernfusionsreaktor ITER. Frühestens ab 2025 könnte darin eine künstliche Sonne gigantische Energiemengen freisetzen. Die Technologie soll die Nachfolge von Kernspaltung und Strom aus Kohle antreten.
© Oak Ridge National Laboratory
In Südfrankreich entsteht derzeit der Kernfusionsreaktor ITER. Frühestens ab 2025 könnte darin eine künstliche Sonne gigantische Energiemengen freisetzen. Die Technologie soll die Nachfolge von Kernspaltung und Strom aus Kohle antreten.

Covid durchkreuzt Energiewende

Die vielzitierte Energiewende, also die Abkehr von fossilen Brennstoffen hin zu grünen Technologien, hatte in den vergangenen Jahren noch Fahrt aufgenommen. »Green« wurde zum geflügelten Wort, der Ausbau von Wind- und Solarenergie beschleunigte sich, Elektroautos schafften den Durchbruch. Doch dann kam die Coronavirus-Pandemie und stürzte den Energiemarkt ins Chaos. Regierungen waren plötzlich damit beschäftigt, den Wirtschaftseinbruch abzufedern, Nachhaltigkeit wurde vielerorts zur Nebensache. Der rasche, aber ungleichmäßige Aufschwung im Jahr 2021 brachte Lieferketten durcheinander, die Preise für Gas und Erdöl schnellten nach oben, der Ausstoß von CO2 stieg sprunghaft an. Die Instabilität trägt dazu dabei, dass die Rufe nach ständig verfügbaren Erzeugungsformen wie der Atomkraft – sie ist nicht von Wind und Sonnenstrahlung abhängig – lauter werden. Dazu kommen geostrategische Überlegungen. Vor allem in Europa versuchen Länder, die Abhängigkeit von Lieferanten fossiler Brennstoffe wie Russland oder Saudi-Arabien zu verringern.

»Net Zero« bis 2050

An einem Umbau des Energiesystems scheint aber vor allem aus Klimasicht kein Weg vorbeizuführen. Laut IEA müssten die Emissionen bis zum Jahr 2050 zumindest rechnerisch bei null liegen (»net zero«), um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu beschränken. Das bedeutet eine Zukunft, in der Strom vor allem aus erneuerbaren Quellen wie Wind- und Solarenergie kommt und der Rest auf Atomenergie entfällt. Sie würden eine im Vergleich zu heute um zwei Milliarden Menschen gewachsene Bevölkerung und eine doppelt so große Weltwirtschaft versorgen, die aber viel effizienter wäre und insgesamt sogar weniger Energie verbrauchen würde. Die Sonne wäre dann der wichtigste Energielieferant, während fossile Brennstoffe nur noch ein Fünftel ausmachten, gegenüber vier Fünftel heutzutage.

Österreich hat bei der Energiewende naturgegeben gute Karten. Flüsse und Speicherseen sind ergiebige Energielieferanten, die Wasserkraft etwa macht 60 Prozent der Stromerzeugung aus. In Deutschland kommt die Wasserkraft nur auf rund vier Prozent, während der Windenergie-Anteil schon 27 Prozent ausmacht. Rund drei Viertel des Stroms kommen in Österreich insgesamt aus erneuerbaren Quellen, in der EU schneiden nur Island und Norwegen besser ab. Bis 2030 soll der Anteil auf 100 Prozent steigen, um das Land bis 2040 klimaneutral zu machen. In den Plänen der Regierung spielt die Atomenergie dabei – wenig überraschend – keine Rolle. Vielleicht stehen die Chancen in naher Zukunft aber bei einer verwandten Technologie besser.

Kernfusion rückt näher

Kürzlich berichteten Forscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT) über einen Durchbruch bei der Kernfusion, einer möglichen Energiequelle frei von CO2-Emissionen und ohne die Risiken von Atomkraftwerken. Sie haben einen Magneten entwickelt, der viel weniger Energie verbraucht und der Technologie den Weg zur kommerziellen Stromerzeugung ebnen könnte. Bill Gates wird es freuen – er unterstützt auch das MIT-Projekt als Geldgeber und ist somit auf beiden Seiten der Kernenergie gut aufgestellt.


Neuartige ­Energiequellen

Kernfusion

Bei dieser Technologie geht es darum, Energie nach dem Prinzip der Sonne zu erzeugen. Mit Kernfusion ließen sich enorme Energiemengen produzieren – klimaneutral. Noch immer in den Kinderschuhen, berichten Experten von technischen Fortschritten.

Solarfarmen

Solarenergie gehört schon jetzt zu den wichtigsten erneuerbaren Energien. Die Nutzung der Sonne auf der Erde ist aber aufgrund der Tageslänge und Wetterlage eingeschränkt. Forscher setzen daher auf Solarmodule im Weltall.

Wasserstoff

Derzeit spielt Wasserstoff im Energiesektor noch kaum eine Rolle, doch das soll sich in Zukunft ändern: Die EU fördert die Entwicklung und Herstellung von »grünem Wasserstoff« mit Milliarden-Investitionen, um die Klimaziele zu erreichen.

Batteriespeicher

Bei der Durchsetzung erneuerbarer Energien spielt die Batteriespeicherung eine entscheidende Rolle, da sie zur Netzstabilität beiträgt. Für den Ausbau Erneuerbarer braucht es effiziente Speichermethoden, um Angebot und Nachfrage steuern zu können.


Fabian Graber
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