Derzeit werden in Österreich noch etwa 8100 Almen bewirtschaftet. Almwiesen sind eine große Ressource der Artenvielfalt und eine wichtige Kulturlandschaft.

Derzeit werden in Österreich noch etwa 8100 Almen bewirtschaftet. Almwiesen sind eine große Ressource der Artenvielfalt und eine wichtige Kulturlandschaft.
© Alexander Lohmann

Alpine Küche: Hoch hinaus

Die alpine Küche hat das Potenzial, sich international in die erste Reihe zu spielen. Denn nach der fortschreitenden Erosion der einst radikalen skandinavischen Küche ist die Rolle des »Trendsetters« vakant.

Fichtenwipfel, Zackelschafherzen, Tuxer Rinder und Wiesenampfer – die kulinarischen Besonderheiten des Alpenraums begeistern die Koch-Elite. Das zeigt der »Koch.Campus«, der sich als Thinktank der österreichischen Küche etabliert und in diesem Jahr bei drei Events intensiv mit der zeitgemäßen alpinen Küche auf Basis der Produkte aus dem Alpenraum beschäftigt hat. Ziel der Termine war, alpine Kulinarik als kreative Küche jenseits deftig-einfacher Holzknechtkost zu definieren und damit Köche und Gastronomen zu inspirieren. 

Alpine Winterküche

Den Start machte der Event »Alpine Winterküche« am 9. Jänner 2017 im »Gannerhof« in Innervillgraten in Osttirol. Hier gingen einige der besten Köche Österreichs mit dem Gast­geber Josef Mühlmann der Frage nach, wie sich früher die Bewohner in Alpentälern im Winter ernährt haben und wie ihre »Überlebensstrategien« – Einlegen, Fermentieren, Haltbarmachen – heute zeitgemäß interpretiert werden können.

Im hoch gelegenen Windachtal hält Michael Wilhelm Tuxer-Rinder, Zackelschafe und eine Herde Yaks.
© Alexander Lohmann
Im hoch gelegenen Windachtal hält Michael Wilhelm Tuxer-Rinder, Zackelschafe und eine Herde Yaks.

Hubert Wallner vom »See Restaurant Saag« widmete sich dem Thema der Konservierung von Fleisch. Er hatte für den Event den Rücken eines Kärntner Blondviehs unkonventionell nach der Schlachtung im Herbst reifen lassen: Der Rücken wurde mehrmals in lauwarmen Rindertalg getaucht, das Fleisch somit »versiegelt« und drei Monate kalt abgehangen. »Das Spannende daran ist, dass Milchsäurebakte­rien langsam die Fasern und das Fett zersetzen und das Fleisch herrlich mürbe wird. Wir lassen das Fett ganz bewusst am Rücken und haben so auch weniger Abschnitte«, erklärt Hubert Wallner sein Konzept. Das Fleisch, obgleich von einem Jungstier, war wunderbar zart und überzeugte mit einem kräftigen Fleischgeschmack.

Für seinen Einkorn-Wrap grillte James Baron vom »Tannenhof« in St. Anton Zackelschafherzen über offenem Feuer.
© Alexander Lohmann
Für seinen Einkorn-Wrap grillte James Baron vom »Tannenhof« in St. Anton Zackelschafherzen über offenem Feuer.

Thomas Dorfer startete mit einer Sulz aus Innereien und Kopfteilen vom Schwein, wie sie früher nach der Schlachtung im Herbst für den Winter eingelegt wurde. Dann schaltete er einen Gang hoch und schlug ein geräuchertes Schweinshirn mit Zwiebeln, Kapern und brauner Butter zu einer Creme auf. Eine Vinaigrette mit rotem Apfel, Zwiebel und Rettich, fermentierte Gurken und geschäumte Kümmelmilch veredelten die Sulz zu einer höchst delikaten Angelegenheit. »Die Beschäftigung mit traditionellen Gerichten ist sicher ein wichtiger Aspekt, wenn es um eine kulinarische Positionierung Österreichs und die Belebung der Speisekarte in der Gastronomie geht«, greift Thomas Dorfer gerne in den Fundus des kulinarischen Erbes Österreichs: »Über heimische Produkte und Traditionen auf dem Teller können wir unseren Gästen am besten vermitteln, was Österreichs Küche besonders macht.«

Alpengipfel bei Caminada

Im »Schloss Schauenstein« des Schweizer Starkochs Andreas Caminada, das mit vier Hauben und drei Sternen ausgezeichnet ist, trafen sich Köche aus der Schweiz, Südtirol und Österreich Ende März zum »Alpengipfel«, um vermeintlich simple regionale Gerichte auf absolutem Sterne-Niveau zu kochen. »Es ist noch nicht so lange her, dass man sich in der Gastronomie geniert hat, für internationale Gäste regional zu kochen. Die alpine Küche galt lange als deftige Arme-Leute-Küche, die keine besonderen Produkte vorweisen kann«, analysiert Mitveranstalter Dominik Flammer, der 2011 mit seinem Buch »Das kulinarische Erbe der Alpen« die Köche des Alpenraums wachgerüttelt hat.

Thomas Dorfer präsentiert im »Gannerhof« in Innervillgraten alpine Winterküche.
© Lukas Kirchgasser
Thomas Dorfer präsentiert im »Gannerhof« in Innervillgraten alpine Winterküche.

Richard Rauch vom »Steirawirt« servierte den Gästen einen mit Schweinefett gebratenen Graskarpfen mit Käferbohnenschrot, Wasabino-Spinatpaste und Bucheckern. »Wir haben selbst auch eine Zucht von Freilandschweinen, daher verwende ich in meiner Winterküche bis Ende März Schweinefett als saisonales Fett, so wie das früher selbstverständlich war.« Die regionstypischen Käferbohnen kombiniert Rauch mit Wasabino, einem Asia-Salat mit Kren-Aroma. »Für mich ist es wichtig, dass wir unsere Sortenvielfalt ständig ausbauen und neue und alte Sorten in unsere Küche integrieren.« Heinz Reitbauer präsentierte einen »Heiden-Sterz« aus Buchweizen, Rübengelee sowie in Nierenfett geschmorte Zwiebeln und erntete dafür großen Applaus. Schon das Rübengelee allein – Rübensucco wird dazu mit Safran, Quittenessig, Apfelsaft, Hühnerfond und ­Zitronensaft gemixt – offenbarte jene ge­­schmackliche Tiefe, die für das »Steirereck« typisch ist.

Im »Landhaus Bacher« serviert Thomas Dorfer seine Haussulz de luxe.
© Lukas Kirchgasser
Im »Landhaus Bacher« serviert Thomas Dorfer seine Haussulz de luxe.

Andreas Caminada fabrizierte die Bündner Spezialität »Pizzoccheri«, Bündner Spätzle, die er aus einem Teig aus Buchweizenmehl, Weizenmehl und Eigelb kocht und mit karamellisierten Zwiebeln, Kohl, Apfelscheiben, Speck und Bergkäse in der Pfanne brät. »Ich habe sehr viele internationale Gäste, und die freuen sich über diese Gerichte sehr. Wolfsbarsch und Garnelen können sie überall auf der Welt essen, damit können wir sie nicht anlocken. Der Alpenraum hat eine einzigartige und vielfältige Flora und Fauna. Das müssen wir für unsere Gäste auf den Teller bringen.«

Aromen der Almwirtschaft

Nach dem Gastspiel im Restaurant »Schloss Schauenstein« konnte der Kontrast zur nächsten Location kaum größer sein. Die Siegerlandhütte auf 2720 Meter Seehöhe ist eine kleine Bergsteigerhütte im Ötztal. Unterstützt von Wildkräutern, Pilzen und Wildfrüchten aus dem Feinkostladen der alpinen Landschaft konnten die Köche und Köchinnen aus dem Vollen schöpfen: Zackelschafherzen wurden am offenen Feuer gegrillt und in einen Einkorn-Wrap mit Ziegenfrischkäse, Wiesenampfer und Dirndlcreme gerollt; Zackelschafleber auf dem heißen Stein gegart; eingebranntes Yak-Beuschl mit Kartoffelschaum und Backerbsen mit Tuxer Kalbsbeuschl verglichen; Schopf vom Tuxer Rind mit Fichten­sirup, Fichtenwipferl und Mascarpone zubereitet und noch viele weitere Gerichte, die die Kraft der alpinen Küche verdeutlichen.

Andreas Döllerer (2.v.l.) und James Baron (4.v.l.) präsentieren ihre Kreationen hoch über dem Ötztal.
© Alexander Lohmann
Andreas Döllerer (2.v.l.) und James Baron (4.v.l.) präsentieren ihre Kreationen hoch über dem Ötztal.

»Es geht darum, dass man zu den Produkten steht, die man hat, statt sich dafür zu schämen, was man nicht hat«, zieht Andreas Döllerer, der mit seiner »Cuisine alpine« einer der Wegbereiter der alpinen Küche in Österreich ist, Resümee. Er verwendet Tuxer Rinder auch in seinem Restaurant in Golling: »Das Fleisch ist würzig-intensiv und hat mehr Biss, weil sich die Tiere täglich auf der Weide bewegen. Das schmeckt anders als das Fleisch von einem US- oder Wagyu-Rind aus Anbindehaltung, das sich nicht mehr bewegt als nötig und durch entsprechende Mast schnell wächst und Fett einlagert. Wir sollten selbstbewusst zu unserer alpinen Landwirtschaft und Fleischkultur stehen!«

Auf dem Gipfel angekommen: Andreas Döllerer, Jeremias Riezler, James Baron und Rebecca Clopath.
© Alexander Lohmann
Auf dem Gipfel angekommen: Andreas Döllerer, Jeremias Riezler, James Baron und Rebecca Clopath.

Basis seiner Küche sind die Klassiker seiner Familie und der Region: »Schnitzel, Leberknödelsuppe oder Schwarzbeernocken braucht man nicht neu zu erfinden, das macht sie nicht besser. Was eine neue alpine Küche auch international spannend macht, ist die intensive Beschäftigung mit alten, neuen oder bislang unbekannten Produkten aus dem Alpenraum mit State-of-the-Art-Kochtechniken. Daraus entstehen subtile Gerichte mit alpiner Handschrift, die es nur bei uns gibt.«


Trilogie der Alpinen Küche

Der Rückblick:
»Alpine Winterküche«
im Gannerhof, Innervillgraten (Osttirol)

Thomas Dorfer, Landhaus Bacher; Hannes Müller, Genießerhotel Die Forelle; Manuel Ressi, Bärenwirt; Josef Steffner, Mesnerhaus; Hubert Wallner, See Restaurant Saag; Chris Oberhammer, Tilia (I).
»Alpengipfel«
im Schloss Schauenstein, Fürstenau, Graubünden (CH)

Gastgeber Andreas Caminada und Dominik Flammer. Thomas Dorfer, Landhaus Bacher; Heinz Reitbauer, Steirereck; Richard Rauch, Steirawirt; Sven Wassmer, 7132 Silver; Hansjörg Ladurner, Scalottas Terroir, Lenzerheide; Fabian Fuchs, Equi­Table (CH); Rebecca Clopath, Bäuerin und Naturköchin (CH); Norbert Niederkofler, St. Hubertus (I).
»Aromen der Almwirtschaft«
auf der Siegerlandhütte im Windachtal, Sölden (Tirol)

Gastgeber Michael Wilhelm.
Andreas Döllerer, Döllerer; James Baron, Tannenhof; Jeremias Riezler (im Bild unten), Walserstuba; Armin Leitgeb (Consultant); Thorsten Probost, Griggeler Stuba; Reinhard Pohorec, Spirits Journey; Rebecca Clopath, Bäuerin und Naturköchin (CH); Hansjörg Ladurner, Scalottas Terroir (CH), Alex Huber, Huberwirt (D).

Klaus Buttenhauser
Autor
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