Salzburger Land: Die Fische dürfen in den Seen frei aufwachsen.

Salzburger Land: Die Fische dürfen in den Seen frei aufwachsen.
© Helge Kirchberger Photography /Salzburger Land Tourismus

Abschied vom Meer: Die Renaissance des heimischen Fisches

Ein Dilemma: Die Ozeane überfischt, die Wege lang, die Industrie in Verruf. Da wird Fisch aus heimischen Gewässern aktuell. Und doch gilt: Fischkauf ist Vertrauenssache.

Da liegt er nun, der Karpfen. Filetiert und schön drapiert, umschlossen von gehacktem Eis und unglaublich appetitlich. Zum Anbeißen. In seiner Farbe und Struktur erinnert das Fleisch an zarten, feindurchzogenen rosa Speck, allein sein Anblick lässt buttrigen Geschmack erahnen. Er kann es, der Karpfen. Er kann es wieder. Allzu lange wurde er mit Mief und Moder assoziiert, mit dem obligaten Weihnachtsmahl, gehassliebt, ersehnt und auch verabscheut. Mehr Tradition als hohe Kunst. Ein Fisch im Eck.

Was wurde er verpönt, von Lachs und Forelle und Hecht und Makrele und Scholle und Red Snapper und all den anderen von der Speisekarte geschubst. Fett, alt und hässlich, der Kerl. Definitiv kein Sportler. Beheimatet in Teichen, trüben Gewässern, die der Idee des rauschenden Baches, des glitzernden Sees oder des weiten Meeres Hohn sprechen. Tümpel, gerade noch gut genug für atmosphärische Reportagen, in Schwarz-Weiß fotografiert, wenn sie an nebeligen Herbsttagen ausgelassen und ihre geschuppte Frucht und Fracht in Bottiche transferiert wurde.

Vergeben, vergessen, Vergangenheit. Die Teichwirtschaft hat umgestellt. Der Karpfen ist der ökologischste und ökonomischste Zuchtfisch. Schmackhaft ist er zudem. Zwischen sieben und acht Kilogramm Fisch verzehren allein die Österreicher pro Kopf und Jahr. In Summe sind das 64 Millionen Kilogramm oder 64.000 Tonnen. Aus Österreichs Teichen, vor allem jenen Niederösterreichs und der Steiermark, gelangen pro Jahr 590 Tonnen Karpfen auf den Tisch. Die Bayern produzieren 6.000 Tonnen Karpfen pro Jahr. Und der deutsche Fischverzehr pro Kopf ist um nichts geringer als der österreichische.

»Es gibt Betriebe, die eine Tonne Fisch pro Hektar produzieren. Und es gibt Betriebe, die auf extensive Bewirtschaftung setzen.«
Heinrich Holler, Gut Hornegg

Nun ist es eben nicht nur der Karpfen, der da auf die Teller gelangt. See- und Bachforellen, Reinanken, Saibling, Hecht, Zander und Wels, Rotauge, Rotfeder, Flussbarsch, Schleie und Brachse, tragen ihr Scherflein dazu bei. Fisch aus heimischen Gewässern. Das ist beinahe schon so etwas wie ein Gütezeichen. Weil, das weiß man ja, die Meere hoffnungslos überfischt werden. Lachs, Makrele, Scholle, Steinbutt, Kabeljau, selbst der Hering, vom Thunfisch gar nicht erst zu reden, sie alle stehen unter Druck. Und werden dennoch benötigt, die weltweit stetig wachsende Nachfrage nach Fisch zu befriedigen.Rund 20 Kilo Fisch werden jährlich weltweit pro Kopf verzehrt. Bei rund sieben Milliarden Menschen sind das 140 Milliarden Kilo Fisch. Großteils aus den Meeren gezogen, mit Schleppnetzen gefangen, an Bord von rund vier Millionen Schiffen, vom Kutter bis hin zum Trawler, an Land gebracht und weiterverarbeitet. Bis zur Erschöpfung der Meere. Kaum haben sich die Bestände des Herings in der Ostsee wieder erholt, sinken jene des Kabeljaus im selben Meer unter die Reproduktionsrate. Ein Dilemma. Für die Umwelt, für Gastronomen wie für Kunden. Weswegen nun die Aquakultur den Rettungsanker geben soll.

Womit wir wieder beim Karpfen wären. Der ist ja eigentlich ein chinesischer Geselle, ein Asiate, der vor Jahrhunderten nach Europa gelangte und seither in Teichen gezogen wird. Der ersten, der frühesten Form der Aquakultur. Bis ins Hochmittelalter datieren diese Wasserflächen, die vor allem von Klöstern angelegt wurden, auf dass die Geistlichkeit – und nicht nur sie – zur Fastenzeit ordentlich was auf dem Teller hat. Die Fische züchten also, in Teichen, in Seen, in eigenen Gewässern, sie hegen und pflegen und dabei die natürlichen Bestände schonen. Das ist so die Grundidee, die im Verbund mit der Idee der Regionalität Charme entfaltet. Zumal, wenn das alles dann auch in Qualität mündet, in festes Fleisch, glänzend und elastisch; in leuchtend rote, klar konturierte Kiemen; in vorgewölbte, durchscheinende Augen. Das ist dann ein frischer Fisch. Einer, der ein gutes Leben hatte. Den man guten Gewissens genießen kann. So wie den Karpfen eben, der eine Renaissance erlebt. Nicht nur aus ökologischen Gründen.

Tief im Teich

Man nehme einen Teich, einen großen mindestens und dazu ein paar kleinere, dann nehme man Fisch, setze ihn aus, füttere ihn satt, achte auf Kormorane, auf dass sie den Fisch nicht stehlen und dann fische man den Fisch in rauen Mengen aus dem Wasser. Ein einfaches Geschäft. So stellt man sich das vor. Und natürlich ist es so ganz und gar nicht. Teichwirtschaft ist, wie schon gesagt, Aquakultur. Eingebettet in die Umgebung, in Traditionen, in die Kultur. Damit fängt es an. Was im Teich schwimmt, der Besatz also, das ist schon eine grundlegende Entscheidung. „Die Frage ist, setzt man auf intensive Zucht oder auf extensive“, sagt Heinrich Holler, der in der Steiermark auf Gut Hornegg 27 Teiche und insgesamt 30 Hektar Wasserfläche inklusive beschuppter Bewohner bewirtschaftet.

»Es lässt sich die Teichwirtschaft ebenso intensiv betreiben wie die Schweinemastzucht«, erklärt Holler. Mit dem Ziel, so viel wie nur möglich zu erwirtschaften. «Es gibt Betriebe«, so Holler, »die eine Tonne Fisch pro Hektar produzieren.« Das ist möglich, das wird gemacht. »Und es gibt jene Betriebe«, so Holler weiter, »die auf extensive Bewirtschaftung setzen, darauf, dass die Fische ein optimales Umfeld vorfinden, dass ein durchdachter Mischbesatz vorhanden ist, dass sie Raum haben, sich zu bewegen, Orte, an denen sie Ruhe finden.« Merke, auch der Fisch braucht seine Zeit. Nicht nur in der Pfanne, sondern vor allem und gerade im Wasser.

Es sind gerade einmal fünf Tonnen Wildfang-Fisch pro Jahr, die zwischen Juni und Oktober herausgefischt und verschickt werden, an einige wenige Restaurants.

Es braucht der Fisch auch Futter. Ein heikler Punkt. Raubfische fressen in der Natur im Schnitt zehn Kilo Fisch um selbst ein Kilo an Gewicht zuzulegen. Nun lassen sich Futterfische einsetzen, trotzdem kann selbst in der Biozucht für Forellen oder Hechte nicht auf den Einsatz von Fischmehl verzichtet werden. Wobei in diesem Fall darauf geachtet wird, dass das Mehl aus Resten der Filetier-Industrie gewonnen wird. Um wenigstens den ganzen Fisch zu nutzen, denn Filet sind lediglich 30 bis 40 Prozent des Fischs, der Rest war lange Zeit schlicht Abfall. Nun sättigt er Süßwasserraubfische. Anders verhält es sich beim Karpfen, der Schleie, den Weißfischen, also den Friedfischen, die futtern gerne Getreide, nähren sich redlich vegetarisch. Mithin ökologisch korrekt. »Teichwirtschaft«, sagt Holler, »ist hochkomplex, eben weil sie naturnah ist.« Was wiederum von den Kunden zusehends eingefordert wird, wofür sie auch bereit sind, etwas mehr zu zahlen. Und sich darauf einzustellen, dass auch Fisch seine Saison hat – und nicht das ganze Jahr über fangfrisch verfügbar ist.

Groß werden ohne Druck

Manchmal kommt der Fisch per Post. In eigenen Kühlboxen, eingeschweißt und auf schnellstem Weg als EMS aus dem Salzkammergut in Restaurants in ganz Österreich. In das »Freyenstein« und das »Steirereck« in Wien ebenso wie in den »Gasthof Nester« in Stumm oder in die »Krone« in Hittisau. Das ist dann der Wildfang-Fisch der Österreichischen Bundesforste aus Hallstättersee, Toplitzsee und Grundlsee. Wildfang aus dem einfachen Grund, weil die Fische, vor allem Traunforelle, Reinanke, Saibling und Seeforelle, eben wild leben. In den Seen frei aufwachsen, die jahreszeitlichen Zyklen durchlaufen und mindestens vier Jahre alt sein müssen, bevor sie mit Netzen gefangen, an Bord der Plätten gezogen und verfrachtet werden. In geringer Stückzahl, darauf legen die Bundesforste höchsten Wert, denn die Reproduktionsrate darf durch die Entnahme nicht beeinträchtigt werden. So sind es pro Jahr gerade einmal fünf Tonnen, die zwischen Juni und Oktober herausgefischt und verschickt werden, an einige wenige Restaurants in Österreich.

Aber dann machen sich die Fischer im November, zur Laichzeit noch einmal auf, raus auf die Seen, fischen die Tiere heraus und beginnen sie zu streicheln und zu massieren – um den Weibchen Eier zu entnehmen, um damit dann die Aufzucht für die autochthone Wildkultur zu sichern, in eigenen Becken und Gewässern außerhalb der Seen. Aber sauerstoffreich und klar. Und in größeren Mengen als aus den Seen. Wobei diese Tiere mindestens drei Jahre vor sich haben, in denen sie wachsen dürfen. Ohne Druck. Also geradezu ursprünglich.

Das ist die Assoziation mit Fisch, zumal mit jenem aus dem Gebirge, der anmutigen Forelle, dem prachtvoll gefärbten Saibling oder der schmackhaften Reinanke, sie sind so frisch, sauber und natürlich wie die Wasser der Bergwelt. Eine Herausforderung für alle Züchter, die diesen Tieren in ihren Becken – trotz immer wärmer werdender Sommer – sauerstoffreiches, kaltes Wasser bieten müssen. Aber letztendlich lohnt es sich.Denn es verhält sich so, dass inzwischen Restaurants beim Fisch darauf verweisen, woher sie ihn beziehen. Heinz Reitbauers »Steirereck« ebenso wie die »Labstelle« oder eben das »Freyenstein«, dessen Küchenchef Jakob Kaineder meint, dass »es Vertrauenssache ist, woher man den Fisch bezieht.« Zum einen durch Wissen, durch Besuche und direkten Kontakt, aber auch Vertrauen gegenüber Lieferanten. Regional soll der Fisch sein, sagt Kaineder, der Meeresfisch, auf den würde zusehends verzichtet. Auch von Seiten der Gäste, »das Bewusstsein ist gegeben, das Bewusstsein für die Qualität und die damit verbundenen Umstände«, so Kaineder, der seine Speisefische aus dem Waldviertel bezieht. Aus biologischer Teichwirtschaft. Sozusagen glückliche Fische.
www.bundesforste.at
www.wildkultur.at
www.teichwirteverband.at
www.waldviertler-karpfen.at
www.lfvbayern.de

Artikel aus Falstaff Karriere 04/2016.

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