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Zu Besuch bei Star-Designerin Cristina Celestino

Sie hat das klassische Mailänder Design mit Stilbewusstsein und Souveränität, eleganter Verspieltheit und blühender Fantasie nachhaltig erneuert: LIVING war zu Besuch bei der Interior- und Produktdesignerin Cristina Celestino.

29.04.2021 - By Uwe Killing

Cristina Celestino versinkt in einem lederbezogenen Armsessel. Es ist ein seltenes Objekt, das Joe Colombo Mitte der Sechzigerjahre in seinem legendären futuristischen Design kreierte. Aus der gleichen Zeit stammt Luigi Luigi Bandini Butis Leuchtkugel, die beim Lesen über dem Kopf der Hausherrin schwebt. »Die Lampe war mein allererstes Sammel-Objekt«, sagt die 41-Jährige, in deren Wohnung Design-Liebhaber in jedem Zimmer ins Schwärmen geraten. Neben vielen Vintage-Kostbarkeiten sind es inzwischen auch eigene Vasen, Lampen und Interior-Details, die unterstreichen: Cristina Celestino, die nach ihrem Studium in Venedig zunächst als Architektin arbeitete, hat sich mit ihrem 2011 gegründeten Label »Attico« als neue Grand Dame des Mailänder Designs etabliert. Celestino erhielt zahlreiche Auszeichnungen – u. a. den Spezialpreis des Salon del Mobile – und arbeitet für renommierte Möbel- und Fashionmarken. 

LIVING: Sie haben jüngst mit »Gala« Ihre erste Kollektion für die Saba Italia entworfen. Die Möbel erinnern an Designs der Siebzigerjahre, als breite Sitzflächen wie Interiors von Raumschiffen wirkten. 
Cristina Celestino: Ich empfinde »Gala« als sehr zeitgemäß.  Doch wie immer bei meinen Recherchen habe ich mich frei durch die Zeiten bewegt. Die Retro-Future-Atmosphäre war ein wichtiger Input. Doch ein weiteres Herzensthema war Plissee, wie es etwa Roberta di Camerino in ihren berühmten Taschen-Designs eingesetzt hat. Ich habe die Faltenwürfe dann in eine Verbindung mit der visionären skulpturalen Mode von Pierre Cardin gebracht. 

Haben Sie eine bevorzugte Epoche?
Wenn ich mir eine Ära aussuchen könnte, in der ich gerne leben würde, wären es die Siebzigerjahre – und zwar inmitten einer Metropole wie Mailand. Es war eine berauschende Zeit für die Entwicklung von Kunst und Desig. Viele der heutigen großen Marken sind damals aus diesem enormen Kreativitätsschub entstanden. 

In Ihren Arbeiten spiegelt sich eine Vorliebe für Muster, Ornamente und feminine Ästhetik. Außerdem haben Sie schon Schmuck entworfen und für Modelabels wie Fendi oder Sergio Rossi Shops gestaltet. Wie tief geht Ihre Liebe zur Mode? 
Schon bevor ich für Fashion Brands gearbeitet habe, gab es da eine ausgeprägte Leidenschaft. Ich liebe Mode für ihre Freiheit und Ironie sowie diese Fähigkeit, sich fortwährend neu zu erfinden. Ich tauche zum Beispiel in die Modewelt ein, wenn ich Anregungen für Farben brauche. Und dann faszinieren mich Lederarbeiten. Sie wirken oft wie architektonische Entwürfe im Mikro-Format. Was mich in der Fashion-Industrie immer wieder beeindruckt, ist das Tempo, mit dem Entscheidungen getroffen werden. Und diese fallen in der Kürze der Zeit oft mutiger aus als bei Brands in der Produktdesign-Welt. 

Fühlen Sie in Ihrem Schaffen immer diese Verbindung mit dem Charme des Vergangenen? 
Die Designerin und Künstlerin Nanda Vigo hat einmal gesagt: »Unsere Zukunft existiert in der Vergangenheit, und beides gehört zu allem.« Um für ein Projekt die passende Geschichte zu finden, ist viel Recherche notwendig. Diese umfasst ein weites Feld, natürlich auch vergangene und unterschiedlichste Epochen. 

Wie definieren Sie Schönheit?
Schönheit ist Harmonie und Ausgeglichenheit, sie erzeugt trotz ihrer scheinbaren Einfachheit Neugier und Erstaunen. Schönheit ist zeitlos. 

Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Werk in Kindheitstagen?
An nichts Bestimmtes. Aber ich besaß eine Packpapierrolle, von der ich laufend große Blätter abriss. Dann verbrachte ich viel Zeit mit Zeichnen und Färben. 

In vielen Ihrer Arbeiten zeigt sich eine Vorliebe für florale Muster. Woher kommt das? 
Ich bin auf dem Lande nahe Venedig aufgewachsen, zu unserem Haus gehörte ein großer Garten mit vielen Blumen, die meine Großmutter mit Hingabe pflegte. Und zweifelsohne ist die Natur für mich ein schier unerschöpfliches Reservoir in Bezug auf Formen, Texturen und Farben. Ich habe einige Lieblingsblumen – von der Kamelie über die Hortensie bis zur Tulpe. Und alle erinnern mich an meine Kindheit. 

Sie besitzen eine eindrucksvolle Sammlung mit ikonischen Möbeln.  Was bedeutet es Ihnen,  von diesen Mailänder Meistern ständig umgeben zu sein? 
Diese Passion begann unmittelbar nach meinem Architektur-Studium. Während ich mich zunehmend fürs Produkt-Design begeisterte, erwarb ich die ersten Stücke – in den ersten Jahren vor allem Lampen. Es wurden dann immer mehr. Ich nenne es nicht so gerne Sammlung, weil ich in meinem Haus wie in meinen Büroräumen mit meinen Möbeln lebe. Ich kann  sie berühren und mit ihnen kommunizieren.  Das ist eine ganz wichtige Inspirationsquelle. 

Sind es für Sie unterschiedliche Prozesse, wenn Sie ein Möbelstück oder Interior Design konzipieren? 
Wenn ich einen Stuhl oder eine Lampe entwerfe, denke ich nicht nur an das einzelne Objekt, sondern auch an die Innenräume und die Atmosphäre, in der es angesiedelt werden könnte. Ich achte sehr auf die Proportionen, beginne immer von der Bodenlinie aus zu skizzieren. Deshalb gibt es für mich keinen wesentlichen Unterschied in der Herangehensweise, und am Ende muss beides eine starke Persönlichkeit besitzen.  

Wie sehen Sie die Zukunft des Mailänder Designs? Werden die großen Brands weiter eine führende Rolle spielen oder eher kleinere Manufakturbetriebe? 
Auch die Designwelt wird von den Veränderungen betroffen sein, die derzeit alle unsere Lebensbereiche erfassen. Wir sollten weniger, aber besser produzieren. Das bedeutet eine  geschärfte Aufmerksamkeit für Details und eine größere Sorgfalt bei der Auswahl der Materialien. Die kommerziellen Aspekte  müssen mit einem humanistischen Ansatz, nachhaltiger Produktion und einer neuen Werte-Definition – in unserem Fall das Qualitätssiegel »Made in Italy« – in Einklang gebracht werden.

Sie stammen aus dem Friaul, werden aber längst mit Mailand identifiziert. Was bedeutet Ihnen die Stadt?
Als ich hier vor zehn Jahren hinzog, schien es sofort der richtige Ort für mich zu sein: eine Stadt, die einen Reichtum an Design und Architektur bietet, aber gleichzeitig sehr lebenswert ist. Mailand ist voller stiller und diskreter Schönheit. 

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