Wohnen mit Charakter
Über die unverwechselbare Beschaffenheit und Persönlichkeit eines Hauses haben sich schon unzählige Architekten und Philosophen den Kopf zerbrochen. Wir haben ein paar außergewöhnliche Charaktertypen unter die Lupe genommen.
23.09.2021 - By Wojciech Czaja
Gute Architektur hat alle Eigenschaften eines guten Menschen«, sagt der französische Philosoph und Schriftsteller Alain de Botton. »Sie kann logisch, geordnet, ruhig, lieblich, anmutig, verspielt, aufmerksam und vertrauensvoll sein. Zugleich aber manifestieren sich auch all die neurotischen und psychotischen Charakterzüge von unguten Menschen in Form von schlechter Architektur.« In seinem Buch »Glück und Architektur. Von der Kunst, daheim zu Hause zu sein« untersucht er genau diese Bezüge und Querverbindungen zwischen dem Menschen und seiner gebauten, unmittelbar umgebenden Umwelt.
Das Organische
»Insoweit Gebäude zu uns sprechen, geschieht dies auch durch Zitate«, schreibt de Botton im dritten Kapitel. »Sie kommunizieren mit uns, indem sie Assoziationen auslösen. Ein architektonisches Werk oder einen Entwurf schön zu nennen heißt, darin eine Darstellung von Werten zu erkennen, die für unser Wohlergehen unabdingbar sind, eine Verkörperung individueller Ideale durch ein stoffliches Medium.« Fragt sich nur: Wie sehen sie aus, die glücklichen, freundlichen, bodenständigen, archaischen, organischen, futuristischen und unsichtbaren Häuser?
Das Futuristische
Die Kultur des Ortes verstehen
»Egal, wo ein Projekt stattfindet«, sagt der Mailänder Architekt Peter Pichler, »das Wichtigste ist immer, dass ich die örtlichen Gegebenheiten kenne. Ob im Nahen Osten, in Abu Dhabi, in Kitzbühel oder in Italien – wir müssen den Ort und seine Kultur verstehen.« Mit seinem Erstlingswerk, einem verspiegelten Haus inmitten einer Apfelplantage im Norden von Bozen, hat er den Ort nicht nur verstanden, sondern sogar mit dessen Schönheit gespielt und ihr Auftreten durch raffinierte Spiegelungen in der Fassade verdoppelt. Damit hat er das Haus unsichtbar gemacht.
Das Archaische
»Die Herangehensweise ist das Entscheidende«, so Pichler. »Es braucht eine detaillierte Recherche: Wie ist es vor Ort? Wie ist das Klima? Welches Gefühl soll im Gebäude entstehen? Und in welchem Stil wurden die umliegenden Gebäude gebaut? Natürlich spielen auch die Vorlieben der Bewohner eine wichtige Rolle.« Der erst 39-jährige Architekt scheint seine Fragen richtig zu beantworten, denn das verspiegelte Haus in Bozen hat ihm nicht nur mediale Begeisterung beschert, sondern auch eine Reihe an Folgeaufträgen in unterschiedlichen Klima- und Kulturräumen.
Das Unsichtbare
In Kitzbühel plant er gerade ein Baumhaus-Hotel, in Abu Dhabi baut er riesige Villen für die arabische Hautevolee und in Dawson Lake, West Virginia, arbeitet er an einer ganzen Siedlung aus frei im Wald herumstehenden, bewohnbaren Holztürmen. Mal ist das Haus ein rustikales, mal ein luxuriöses, mal ein surreales. Solche Charakterhäuser im Sinne von Peter Pichler und Alain de Botton finden sich überall auf der Welt – ob in Methoni, Menorca oder in der Nähe von Moskau.