Wiener Häuser mit ungewöhnlichen Grundrissen
Zimmer, Küche, Kabinett? Das war gestern. Aber auch zu den klassischen Wohnungsgrundrissen von heute – mit Wohnküche, Schlafzimmer, Kinderzimmer – gibt es eine Menge spannender Alternativen. Eine Reise zu den ungewöhnlichsten Grundrissen von Wien.
28.07.2022 - By Wojciech Czaja
Während der Schlafbereich und die Sanitärbox 2,7 Meter Raumhöhe aufweisen, streckt sich der Wohn- und Atelierbereich auf atemberaubende 5,7 Meter in die Höhe. Die Gipskarton-Einbauten sind weiß gestrichen und innen hellblau verfliest, alles andere jedoch präsentiert sich unverputzt und ganz und gar ungeschönt in nacktem Sichtbeton. 78 solcher Eigentumseinheiten gibt es im ganzen Haus, dazu noch ein Café, eine Galerie und ein Tangostudio im Untergeschoß. Und obwohl keine zwei Einheiten identisch sind, ist das Prinzip des dreidimensionalen, M.-C.-Escher artigen Verschachtelns der Raumvolumina, die wie in einem 3D-»Tetris« raffiniert ineinandergreifen, doch immer das gleiche.
»Keine Tür, keine Wände, ja nicht einmal Zwischendecken oder Galerien gibt es, und doch ist der Raum gut strukturiert …« – Stephan Ferenczy, Bewohner des Atelierhauses C21
Die Verspieltheit und Verschachteltheit der Grundrisse spiegelt sich auch in der expressiv durchlöcherten Fassade wider. Letztes Jahr wurde das C21 für den österreichischen Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit nominiert. Doch nicht nur im Eigentumsbereich, sondern auch im geförderten Wohnen sind immer häufiger innovative Grundrisslösungen zu finden – so zum Beispiel auch im Gemeindebau Neu in der Mela-Köhler-Straße 7, Baufeld H4B in der Seestadt Aspern. Während rundherum noch Bagger fahren und behelmte Bauarbeiter:innen Zementsäcke und Farbeimer schleppen, wurde im Erdgeschoß des Hauses kürzlich eine komplett eingerichtete Musterwohnung fertiggestellt. Das Ungewöhnliche daran: Zwischen Wohn- und Schlafbereich gibt es zwei Schiebewände, mit denen man den Grundriss der Wohnung in wenigen Sekunden komplett verändern kann.
»Wohnen wird immer teurer, und wir stehen heute vor der immensen Herausforderung, dass sich viele Menschen – vor allem Alleinerziehende mit ein oder zwei Kindern – kaum noch eine ausreichend große Wohnung leisten können«, sagt Bernhard Weinberger, Partner bei WUP Architekten, die das ungewöhnliche Wohnhaus für den Bauträger Wigeba geplant haben. »Also haben wir im Prinzip eine Zwei-Zimmer-Wohnung entwickelt, die im Kreis begehbar ist und bei Bedarf mittels Schiebewänden im Nu in eine Vier-Zimmerchen-Wohnung umfunktioniert werden kann – mit einer kleinen Privatsphäre für jeden und jede.«
Obwohl Schiebewände im geförderten Wohnbau – weil aufwendig und entsprechend kostspielig – nur selten anzutreffen sind, geht die Rechnung in diesem Fall aber trotzdem auf: »Damit wir uns die Schiebewände leisten können, haben wir im Gegenzug mit günstigen Baustoffen wie etwa Laminatböden, Kunststofffenstern und verzinkten Eisengeländern gearbeitet«, so Weinberger. »Es gibt viele Menschen, denen eine hochwertige Ausstattung und schöne Oberflächenmaterialien nicht so wichtig sind wie ein guter Grundriss mit einem intelligenten, flexiblen Raumangebot.« Im Frühjahr 2023 sollen die 78 Gemeindewohnungen, die als Exponat im Rahmen der Internationalen Bauausstellung IBA Wien ausgezeichnet wurden, an die Mieter:innen übergeben werden.
Manchmal lässt sich ein innovativer Grundriss sogar an nur einem einzigen Element festmachen. Im Baugruppenhaus im »Village im Dritten«, geplante Fertigstellung 2024, haben sich die nonconform-Architekten für den Bauträger Austrian Real Estate (ARE) eine Besonderheit einfallen lassen, die in Österreich bislang einzigartig ist. Zwar verfügt jede Wohnung über einen eigenen Balkon, doch die Konstruktion hat es in sich: Jede Balkonplatte ist als hohler, mit Erde gefüllter Blumentrog ausgeführt. Statt auf heißen Betonfliesen zu stehen, wird man künftig also direkt auf ein fünf Quadratmeter großes Stückchen Wiese hinaustreten.
»Wohnen wird immer teurer, und wir stehen heute vor der immensen Herausforderung, dass sich viele Menschen – vor allem Alleinerziehende mit ein oder zwei Kindern – kaum noch eine ausreichend große Wohnung leisten können.« – Bernhard Weinberger, Partner bei WUP Architekten