© Lukas Ilgner

Wie richtet man sich auf kleinster Fläche ein?

Nicht nur in Österreich, sondern auch weltweit werden die Wohnungen immer kleiner, immer kompakter. Worauf muss man bei der Interior-Planung achtgeben? Welche Angebote gibt es in der Architektur-und Möbelbranche? Und was sagt die Stadt Wien dazu? (v. rechts) Ein Gespräch mit Architektin Gerda Maria Gerner, Wittmann-Chef Alexander Sova und Wohnbauforscherin Susanne Reppé.

08.08.2021 - By Wojciech Czaja

LIVING  Auf wie vielen Quadratmetern wohnen Sie? 

GERDA MARIA GERNER Ich habe schon in allen erdenklichen Konstellationen gelebt! Aufgewachsen bin ich im Burgenland auf einem alten, großen Bauernhof. Meine erste Garçonnière in Wien hatte 33 Quadratmeter. Heute lebe ich mit meinem Mann Andreas in einem ausgebauten Rohdachboden, und zwar auf wirklich großzügigen 300 Quadratmetern. Wir haben oft unsere Enkelkinder und Kinder zu Besuch. Nach all den Jahren ist das wieder wie ein Mehrgenerationen-Bauernhof mitten in der Stadt. 

SUSANNE REPPÉ Ich wohne mit meinem Lebensgefährten in einer 95 Quadratmeter großen Maisonette-Wohnung. Auch meine Wohnbiografie fing mit sehr viel weniger
Fläche an. Aktuell profitierten wir jedoch sehr von den vorhandenen Home-Office-Möglichkeiten.

ALEXANDER SOVA Ich wohne mit meiner Frau auf 160 Quadratmetern. Die Wohnung ist groß, keine Frage, aber aufgrund der vielen Glaswände haben wir dennoch ein Stauraumproblem: Wir haben beispielsweise viel zu wenig Platz für unsere Bücher. 

Man hat immer zu wenig Platz, ganz gleich, wie groß die Wohnung ist. 

SOVA Das ewige Problem, oder? 

REPPÉ Und zu wenige Zimmer! Zumindest höre ich das immer wieder.  

Die durchschnittliche Wohnfläche in Wien beträgt laut Statistik Austria 36,1 Quadrat-meter pro Kopf, wobei die Tendenz aufgrund steigender Kauf- und Mietpreise und immer mehr Smart-Wohnungen am Markt deutlich nach unten zeigt. Was muss man beachten, um eine kleine Wohnung gut und effizient
einzurichten? 

GERNER Eine gute Planung und Einrichtung fängt mit ganz elementaren Fragen an: Wie ist die Lage in der Stadt? In welche Himmelsrichtung sind die Wohnräume orientiert? Wie betritt man die Wohnung? Und welche Besonderheiten hat der Grundriss? Gerade, wenn wir von kleinen und kompakten Wohnungen sprechen, ist es wichtig, Räume zu vermeiden, die bloß der Erschließung dienen. Daher versuchen wir, die Vorräume nach Möglichkeit in den Wohnbereich ein­zubeziehen und den Bewohnerinnen und Bewohnern genügend Stellfläche in Form von Schranknischen und möblierbaren ­Wänden zu bieten. 

Die Realität sieht oft anders aus: Kein Platz für den großen Kleiderschrank, kaum Platz fürs Doppelbett, und an jeder freien Wand­fläche hängt ein Heizkörper. 

GERNER Leider! Tatsächlich sind solche Fehlplanungen im Wohnbau immer wieder zu finden. Ich finde das tragisch. 

SOVA Wie tun Sie da als Architektin? Solche Räume lassen sich ja schwer planen und ­möblieren! 

GERNER Sie sagen es! Manche Wohnungen sind nicht nur klein, sondern wirklich un­praktisch und ineffizient. 

REPPÉ Eine wichtige Rolle, um das zu kompensieren, spielen die privaten Freiräume. 

GERNER Ich finde ja sogar: Je kleiner eine Wohnung, desto größer sollte der private Freiraum sein – ganz gleich, ob Loggia oder Balkon. 

Jede zweite Wohnung im geförderten Bereich wird heute als sogenannte Smart-Wohnung errichtet. Frau Reppé, was genau bedeutet Smart-Wohnen?

REPPÉ Mit der sogenannten Smart-Wohnung hat die Stadt auf die Entwicklungen reagiert, die seit der Finanzkrise nicht mehr wegzuleugnen sind. Die Wohnpreise steigen rasant an, die Einkommen stagnieren, und damit wird die Schere zwischen Wohnkosten und verfügbarem Haushaltsbudget immer größer. Dazu kommt der steigende Anteil an Single-Haushalten. Die Folge ist, dass sich viele Menschen eine Wohnung in der gewünschten Größe kaum noch leisten können. Die Smart-Wohnung bietet zwar die nötige Anzahl an Zimmern – ist aufgrund der geringen Wohnfläche aber deutlich günstiger als eine klassische Mietwohnung. 

GERNER Früher hatte eine Drei-Zimmer-Wohnung 80 bis 90 Quadratmeter, heute sind’s meist um die 75 Quadratmeter, und im Smart-Bereich sogar nur 65 bis 70 Quadratmeter. Ich halte die Smart-Entwicklung für einen tendenziell guten Weg – aber es ist eben nur eine Möglichkeit von vielen. Ich glaube nicht, dass wir die Wohnungsfragen, die uns heute beschäftigen, einzig und allein mit Smart-Wohnungen lösen können. Wenn ich im Smart-Wohnungsprogramm als Architektin theoretisch neun Quadratmeter große Schlafzimmer planen darf und planen soll, dann frage ich mich schon, in welche Richtung sich das Ganze entwickelt. Wir sind doch keine Zwerghasen! 

REPPÉ Was am Wohnungsmarkt definitiv fehlt, sind leistbare und unbefristete Wohnungsangebote im privaten Altbestand, wie wir sie alle aus unseren Jugendtagen kennen. Früher hat man als Student in einer unsanierten Altbauwohnung gelebt, Klo am Gang, aber dafür hat die Miete nur ein paar hundert Schilling gekostet. Dieser Markt ist komplett weggebrochen. Selbstverständlich ist die Reduktion von Substandard zu befürworten, allerdings war dieses Wohnungssegment auch eine wichtige Startmöglichkeit zur erstmaligen Wohnversorgung. Das fehlt heute. 

Herr Sova, die Wohnungen werden immer kleiner und kleiner. Wie ist die Entwicklung
in der Welt der Möbel? 

SOVA Hier muss ich ein wenig differenzieren. Es gibt nach wie vor die etwas üppigeren Wohnungen, die viel Raum für klassische Möbel- und Designkombinationen bieten, aber eben auch kleinere Einheiten, wo kompakte Lösungen gefragt sind. Traditionell kommen unsere Kunden eher aus ersterer Kategorie – aber zunehmend sind auch smarte Alternativen gefragt. Ich denke, dass dieser Trend durch die Pandemie zusätzlich verstärkt wurde: Viele haben sich entschieden, ihren Zweitwohnsitz im Grünen zu einer Art zweiten Erstwohnsitz umzugestalten. Der Wunsch, dort genauso komfortabel wie in der Stadt zu wohnen, aber eben auf kleinerer Fläche, stellt viele Kunden vor Herausforderungen. 

Inwiefern wirkt sich diese Entwicklung auf Ihr Produktportfolio aus? 

SOVA Die Möbelserien, die wir in den letzten Monaten entwickelt und erweitert haben, sind leichter, kompakter und auch mutifunktionaler. Eine Couch ist heute nicht mehr nur eine Couch, sondern auch Schulbank, Home-Office und Konferenzzimmer. Damit hat sich das Anforderungsprofil grundlegend verändert. Die Komplexität zur Befriedigung der Bedürfnisse hat sich massiv erhöht. 

Wie konkret sieht das perfekte Möbel für einen kleinen Raum also aus? 

SOVA Es gibt ein paar Dinge, auf die wir bei Wittmann besonderen Wert legen: unverkennbares Design, meisterhafte Ausführung, durch die jüngsten Entwicklungen aber auch Modularität und Funktionalität. Wie kann man mit einer durchdachten Modularität und verschiedenen Ausgestaltungselementen auf verschiedene Verwendungssituationen reagieren? Zum Beispiel mit Armlehnen oder ohne, mit individuell verstellbarem Kopfteil oder vielleicht auch mit integriertem Couchtisch oder modularen Ablageflächen. All das sind die Wünsche und Erwartungshaltungen heutiger Kunden. 

Und zum Thema Funktionalität? 

SOVA Sie sprechen von der Smart-Wohnung, ich spreche vom Smart-Möbel. 

GERNER Mit Steckdose und Docking-Station? 

SOVA Zum Beispiel. Das ist heute schon möglich. Eine künftige Vision kann aber auch sein, dies noch smarter über kabelloses Laden und ohne sichtbare Technik zu erreichen. Ich kann das Handy oder das Tablet auf die Armlehne legen, während ich arbeite oder fernsehe. 

Ich würde mit Ihnen gerne noch etwas tiefer in die Geschichte eintauchen: Auch früher wohnte man oft auf kleinster Fläche. Im Biedermeier, in der Gründerzeit, aber auch in den Nachkriegs-Fifties gab es Möbel, die oft multifunktional und zugleich sehr sparsam im Flächenverbrauch waren. Was können wir uns davon abschauen? 

REPPÉ Viel! Ob das nun die Kompaktheit der Möbel ist wie im Biedermeier, die Flächen- und Bewegungseffizienz wie bei Margarete Schütte-Lihotzky oder etwa die vielen Schiebe- und Klappelemente wie in den Fünfziger-jahren. Die Art und Weise, wie wir uns möblieren, war immer schon ein Spiegel der Gesellschaft und der jeweiligen Lebenskultur. Damals – also in den Fifties – gab es auch die erste österreichische Ausstellung, die sich mit Möbeldesign und Wohnkultur beschäftigte. Das war eine Revolution! 

GERNER Damals wurden ja auch Schrankbetten, Klappsofas und ausziehbare Tische entwickelt. Das war eine wirklich spannende Zeit. 

Eine kleine Weltreise: Der asiatische Raum -zelebriert von jeher eine Kultur der Kompaktheit. Welche Lösungen haben China, Japan und -Südkorea parat? 

GERNER Sehr spannende! Japan ist eine Insel mit hoher Bevölkerungsdichte und verhältnismäßig wenig Platz. Selbst historische Kaiserpaläste sind von einer gewissen Askese und Reduktion gekrönt. Die Räume sind sehr
spärlich eingerichtet – und weisen dennoch eine unfassbar hohe Ästhetik auf! Japan ist
für mich der Inbegriff dessen, wie mit wenigen Möbeln auf kleinster Fläche dennoch eine gewisse Weite und Großzügigkeit zelebriert werden kann. Ich finde das faszinierend. 

REPPÉ Ich würde die japanische Askese in unserem Kulturkreis nicht überbewerten. Sehr oft sind die kleinen, superkompakten Wohnungen in der Errichtung gar nicht günstig, sondern technisch und logistisch so aufwendig, dass sie letztendlich keinen Cent billiger sind. Oft nützt die Kompaktheit nicht dem Bewohner, nicht der Bewohnerin, sondern einzig und allein dem Bauträger und Investor. 

SOVA Unser Anspruch ist, trotz kompakter Wohnfläche die Ästhetik nicht zu vernach­lässigen. Gerade in diesem Kontext sind durchdachte Lösungen extrem wichtig.  

Und zwar? 

SOVA Überraschende, teilweise integrierte Varianten für verschiedene Nutzungsszenarien, kürzere, längere, schmälere, breitere, härtere, weichere Ausgestaltungen – und auch verschiedene Sitzhöhen. Denn der Deutsche sitzt anders als beispielsweise ein Südeuropäer. 

Da gibt es tatsächlich Unterschiede? 

SOVA Die gibt es! Unsere Kunden in Deutschland bevorzugen beim Sofa höhere Varianten und sitzen gerne aufrechter. Andere Kulturen hingegen wollen ihr Sofa lieber bodennäher und die Sitzfläche tiefer. In gewisser Weise sind das Stereotypen, und Ausnahmen be­stätigen wie immer die Regel. Aber diese Erkenntnisse kann ich Ihnen aus unserer Marktbeobachtung durchaus mitgeben. 

GERNER Was mich an der ganzen Diskussion aber generell stört: Tendenziell werden
die Wohnungen kleiner, die Möbel werden kleiner, wir Menschen aber werden von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer größer! Wir wachsen, und unsere Umwelt schrumpft. Das ist unlogisch. 

REPPÉ Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Eine kleinere Wohnung heißt ja nicht gleich, dass ich Räume, Möbel und Ansprüche schrumpfen muss. Dagegen will ich mich wirklich verwehren! Wenn man sich die Wiener Werkbundsiedlung aus dem Jahr 1932 anschaut, sieht man, dass man auch auf kleiner, kompakter Wohnfläche einen gewissen räumlichen und funktionalen Luxus haben kann. Diese Wohnungen sind eng geschnitten und funktionieren dennoch perfekt – ganz einfach, weil sie wohldurchdacht sind. 

GERNER Ja, das ist wirklich ein wunderbares Beispiel! Da haben Plischke, Haerdtl, Frank, Neutra, Rietveld und all die anderen echt eine Qualität vorgegeben! 

REPPÉ Und auch heute noch bemühen wir uns, diese Idee weiterleben zu lassen: Je kleiner die Wohnung, desto wichtiger ist es, dass sie auch hochwertig geplant ist und ein gewisses Asset, ein gewisses Extra hat. Das hat auch mit dem persönlichen Selbstwert zu tun. Wohnen ist ja auch ein Spiegel unserer eigenen Person. 

Was sind die aktuellen Trends im Bereich ­Kompaktheit? 

GERNER Wohnmodelle und Grundrisse für viele verschiedene Lebensweisen und Familienkonstellationen. Im Lebenscampus Wolfganggasse planen wir derzeit sehr kompakte Grundrisse, die mit Deckenschienen ausgestattet sind und die je nach Bedarf mit Vorhängen und Schiebeelementen getrennt und strukturiert werden können. 

REPPÉ Das kompakte Smart-Wohnen wird weiterhin zunehmen. Ich setze mich dafür ein, dass auch die kleinste und günstigste Wohnung mit einem attraktiven Freiraum aus­gestattet wird. 

SOVA Wohnungen werden immer hotelmäßiger, immer kompakter, die Möbel immer vielfältiger in ihren Funktionen, oft mit verschiedenen Nutzungsszenarien für ein und dasselbe Möbel. Die Hotels hingegen werden immer wohnlicher. Ich finde diese Entwicklung sehr spannend. 

Abschlussfrage: Wie groß muss die kleinste Wohnung sein, in der Sie je wohnen würden? 

GERNER Allein auf etwa 45 Quadratmetern. 

SOVA Ich unterbiete! 40 Quadratmeter plus ein schöner privater Freiraum. 

REPPÉ Wenn sich mein Rollator eines Tages auf 45 Quadratmetern ausgeht, wunderbar! Und bitte einen barrierefreien Freibereich dazu! 

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 05/2021

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