Nachwachsende Architektur: Der neue Holzbau-Boom
Wandelbar, wohnlich, solide tragend und noch viel mehr: Der ökologisch vorbildhafte Baustoff Holz wird immer populärer, und das längst auch jenseits von Chalet und Bauernstube. Holz wird städtisch, Holz wird cool, Holz fühlt sich gut an und sieht gut aus.
20.06.2022 - By Maik Novotny
Wie sagte Bill Clinton doch so treffend bei seinem erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf 1992? »It’s the economy, stupid!« Stimmt schon, Bill. Also blättern wir gleich zu Beginn einmal kurz den Wirtschaftsteil auf. Falls Sie noch zur alten Schule gehören und analoge:r Zeitungsleser:in sind, wird sich hier schon der Papiermangel mit höheren Preisen bemerkbar gemacht haben. Das gilt genauso für andere Verwertungsarten des tief mit der alpinen Seele verbundenen Materials Holz, vor allem beim Bau. Galt dieser Baustoff noch 2020 als ideale Rettung vor der Kostenexplosion bei Beton und Stahl, sind seitdem auch hier die Excel-Tabellen erhitzt am Glühen. Laut Statistik der Landwirtschaftskammer haben sich die Preise in zwei Jahren verdoppelt, vor allem bei Lärchenholz ist im Moment sehr viel Geduld gefragt.
UMWELT-ENGEL
Aber keine Panik, und jetzt genug von der Statistik! Denn das Schöne am Holz ist, dass es nachwächst und dass es in Zeiten strenger Klimaziele ein ökologischer Umwelt-Engel unter den Baustoffen ist. Gerade Österreich hat sich hier als Exportmeister nicht nur von nach Sägewerk duftender Zellulose, sondern auch von Fachwissen in Architektur und Design mit Holz hervorgetan. Innerhalb Österreichs liegt der Gipfel dieses Wissens zweifellos in Vorarlberg, doch auch der traditionell mineralische Osten des Landes hat stark aufgeholt und dank einigen durch und durch urbanen Pilotprojekten wie dem Holzhochhaus HoHo und dem Wohnprojekt Gleis 21 im Sonnwendviertel am »ländlichen« Holz Gefallen gefunden.
Auch das eher waldarme Oberlaa im Süden Wiens wird baulich aufgeforstet. Hier errichtet der Investor DWK Die Wohnkompanie derzeit das Wohnprojekt TIMBER*LAA mit insgesamt 38 Eigentumswohnungen – und der Name ist Programm, denn hier wird auf Holzmassivbau gesetzt, hier steckt Timber sowohl im Inneren als auch in der Fassade. »Gelebte Nachhaltigkeit ist für Die Wohnkompanie ein wesentlicher Grundbestandteil«, betont Geschäftsführer Roland Pichler. »Wir haben uns lange mit dem Thema Holzbau auseinandergesetzt. Es war für uns vollkommen klar, dass, wenn wir ein derartiges Vorhaben umsetzen, es zu 100 Prozent stimmig sein muss. Ökologische Baustoffe, Holzleichtbauweise und sichtbare Massivholzdecken prägen die Gebäude. Damit wird das Projekt Maßstäbe im Bereich ’positives Wohngefühl’ setzen. Durch das hohe Maß an Vorfertigung der Wand- und Deckenteile verkürzt sich außerdem die Bauzeit und in weiterer Folge die Belastung der Anrainer:innen.«
»Es war für uns vollkommen klar, dass, wenn wir ein derartiges Vorhaben umsetzen, es zu 100 Prozent stimmig sein muss.«– Roland Pichler, Geschäftsführer DWK, Die Wohnkompanie, über das Projekt TIMBER*LAA
SCHEUNE, SCHOBER, RATHAUS
Auch auf dem niederösterreichischen Land, wo Holzarchitektur im Bewusstsein der Bevölkerung traditionsgemäß im rein landwirtschaftlichen Reservat Scheune, Schober, Schupfen angesiedelt war, ist der Rohstoff inzwischen in der Wohnstube angekommen. Nicht nur das: In Großweikersdorf präsentiert sich sogar das neue, von den Wiener smartvoll Architekten entworfene Gemeindezentrum am Hauptplatz einladend und wohnlich mit offenem Satteldach und einem Kleid aus Holzschindeln, das man ganz basisdemokratisch und schwellenlos durchwandern kann.
Ebenfalls in Niederösterreich, dafür diskret verborgen in einem Garten, ist ein von Architekt Maximilian Eisenköck designter Atelierpavillon gelandet, eine luftige Reminiszenz an die klassische Moderne mit viel Glas und filigranem Stahl – und einem Holzdeck als Boden für die ländliche Wärme.
Die ganze Bandbreite des Holzes zwischen Yin und Yang lotete der junge Architekt bei einem Doppelferienhaus am Neufelder See aus: außen tiefschwarz lasierte Sperrholzplatten in einem Piet-Mondrian-artigen Raster aus Lärchenholzleisten, innen dominiert dafür als Kontrast die helle Seite des Holzes, auch bei den Möbeln. Stolz, stark und expressiv darf sich das Holz mit seiner
ganzen Tragkraft in der Steiermark präsentieren: Hier planten die Vorarlberger Experten Dietrich Untertrifaller die neue Firmenzentrale des Schuhherstellers Legero, die mit ihren großen runden Schwüngen wohl nicht ganz zufällig an das kalifornische Apple-Headquarter erinnert. Nur eben nicht aus Glas und Stahl, sondern aus schuhlederwarmem Holz. »Ein konstruktiv und architektonisch herausragendes Projekt«, jubelte 2021 die Jury des Holzbaupreises Steiermark. »Es demonstriert die Leistungsfähigkeit des Baustoffes Holz mit großen Spannweiten, ohne das architektonische Feingefühl für die Raumgrößen zu verlieren.«
NACHWACHSFÖRDERUNG
Blättern wir ein Stück weiter zum Politik-Teil. Auch hier ist das Holz präsenter denn je. Das deutsche Bundesumweltministerium in Berlin lässt sich seine neue vielgeschoßige Zentrale mit dänischer Holzbauexpertise auf vorbildhafte Ökologie hin planen, und in München wurde 2020 auf dem Gelände der ehemaligen Prinz-Eugen-Kaserne die größte zusammenhängende Holzbausiedlung Deutschlands mit 566 Wohnungen fertiggestellt. Nicht nur das, die Stadt -München hat hier auch einen klugen Hebel entwickelt, um Investoren zu mehr Ökologie zu ermutigen: Die Förderung ist an den Anteil nachwachsender Rohstoffe gekoppelt. Sozusagen eine Nachwachsförderung. Gut fürs Holz. It’s the economy. Clever.