Nachhaltiges Bauen mit Öko-Materialien
Es muss nicht immer nur Beton, Stahl oder Glas sein. Innovative Ökomaterialien und recycelte Baustoffe aus der Region sind sinnvolle Alternativen, wenn es darum geht, nachhaltig zu agieren und möglichst ressourcenschonend zu bauen.
14.12.2022 - By Wojciech Czaja
Let’s do things differently«, steht in riesigen Lettern auf seiner Website – »Lasst uns die Dinge mal anders anpacken«. Und das hat er dann auch gemacht, 14.858-mal, um genau zu sein. Denn aus genauso vielen recycelten Ziegelsteinen besteht sein Haus im südindischen Kochi im Bundesstaat Kerala direkt am Indischen Ozean. Fast das gesamte Baumaterial – die Ziegel, die Türzargen, die Gitterroste, die schwarzen Stahlträger und die riesigen Factory-Windows - stammen aus einer aufgelassenen Textilfabrik nur acht Kilometer Luftlinie entfernt. In seinem eigenen Wohnhaus fristen die Baumaterialien nun ein Leben nach dem Tod.
»Wir sind eine Gruppe von kreativen Köpfen, die sich zusammengetan haben, um miteinander mit vereinten Kräften Wohnräume und Wohnträume für Menschen zu schaffen«, sagt Koshy P. Koshy, Geschäftsführer des 2020 gegründeten Architekturbüros Koshish. »Und eine unserer zentralen Aufgaben für die Zukunft ist ein neuer, ein innovativer, ein ressourcenschonender Zugang zum Bauen, denn wir haben nur einen Planeten zur Verfügung, und damit müssen wir sorgsam umgehen.« Aber auch die Bauweise des ungewöhnlichen Recycling-Hauses folgt diversen Spielregeln der Nachhaltigkeit. Das Erdgeschoß ist freigespielt und bietet einen verschatteten Platz im Freien, unter dem Haus befindet sich ein Becken mit roten Kois, durch die Verdunstungskälte des Wassers gelangt kühle Luft ins Innere des Hauses. In seinem Inneren wiederum ist das Wohngebäude auf mehrere Ebenen aufgeteilt, wobei das zentrale Atrium und die generell große Raumhöhe die tropisch-warme Luft aufsteigen lassen und die Wohntemperatur auf einen angenehmen Level reduzieren.
Mit der sich zuspitzenden Klimakrise und den 17 Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen, von denen sechs direkt oder indirekt mit dem Bauen zu tun haben, entfällt immer größere Verantwortung der planenden und bauenden Menschen auf die Wahl des richtigen Rohstoffs. Neben den üblichen Marktgiganten wie Beton, Stahl und Glas bieten sich etwa Lehm, Holz, Stroh, Stein, Kork, Wolle, Holzzellulose und regional produzierte Ziegel und Keramik an. »Es geht um ein generelles Umdenken im Umgang mit unseren Baustoffen«, sagt Sibylla Zech, Forscherin und Professorin für Regionalplanung und Regionalentwicklung an der TU Wien. »Einerseits können wir ökologisch nachhaltig agieren, wenn wir Baustoffe verwenden, die wenig Grauenergie verbrauchen, wenig CO2 emittieren und einen schlanken ökologischen Fußabdruck hinterlassen, andererseits ist schon viel erreicht, wenn wir auf lokale regionale Materialien setzen und darauf verzichten, Tonnen von Zeug um den halben Globus zu transportieren.«
Die tschechische Architektin Lina Bellovičová hatte eine besonders ungewöhnliche Idee und entschied sich, ihr Haus »Lo« in Velehrad mit sogenanntem Hempcrete zu errichten. Der künstliche Begriff setzt sich aus den beiden Wörtern »Hemp« (Hanf) und »Concrete« (Beton) zusammen und ist nichts anderes als ein Biokomposit aus Kalk, Sand, Wasser und Hanffasern, die für die nötige Festigkeit des massiven, lehmartigen Baustoffs sorgen. Entwickelt wurde Hempcrete bereits vor 40 Jahren in Frankreich, nun erlebt der ökologische Nischenbaustoff eine Renaissance.
»Mein Bauherr wünschte sich ein sehr naturbelassenes Haus, das ohne Kunststoff auskommt und etwas ganz Neues verkörpert«, sagt Bellovičová. »Auf diese Weise ist die Idee entstanden, das Projekt mit Hanflehm zu realisieren.« Die Grundkonstruktion und das Dach bestehen aus Holz, die massiven, 40 Zentimeter dicken Wände wurden vor Ort mithilfe der ganzen Familie errichtet. »Es war ein schöner, sozialer Prozess. Und das Ergebnis fügt sich großartig in die Landschaft, denn die ausgehärtete graue Textur scheint wie ein Zitat der vielen Steine und Felsen, über die man in der Gegend immer wieder stolpert.« Das Projekt wurde mit dem A+Award 2021 ausgezeichnet.
In England errichten Matthew Barnett Howland Architects ein Haus komplett aus Kork, das innen wie außen für ungewöhnliche Atmosphäre sorgt, vor allem aber auch hochwirksame Dämmeigenschaften aufweist. Auf der Furxer Alpe in Vorarlberg ist es Baumschlager Eberle Architekten gelungen, ein ganzes Chalethotel mit fast ausschließlich regionalen Handwerkern zu errichten. Und in Graz haben Pentaplan Architects in einem neu entwickelten Verfahren die Holzlatten ihres Wohnhauses »König Franz« mit wasserfester Farbtinte bedruckt. Zu den derzeit wohl innovativsten Baustoffen zählt aber Salzbeton, eine Entwicklung des arabischen Architekten Wael Al Awar. Statt Portlandzement wird in diesem Fall eine spezielle Salzverbindung verwendet, die während der Produktion kein CO₂ verursacht, sondern das Kohlendioxid im Aushärtungsprozess sogar noch bindet. Noch befindet sich das Material in der Forschungs- und Entwicklungsphase, aber erste Tests und ökologischen Befunde sind vielversprechend.
Erschienen im Falstaff LIVING Residences 02/2022