© Bebitalia/Helene Binet

Momente der ultimativen Stille

Seine Lampen erfüllen Räume mit Magie, in seinen Möbeln schwingt bei aller Präzision und Klarheit auch immer ein Hauch Poesie mit. Ab 6. Oktober ist der auf Zypern geborene Ausnahme-Designer Michael Anastassiades im Wiener MAK mit einer neuen Ausstellung zu sehen. LIVING sprach mit ihm in seinem Studio in London.

16.07.2021 - By Uwe Killing

Die richtige Balance finden –  für Michael Anastassiades eine tägliche Herausforderung. Sie beginnt mit  einer Yoga-Einheit in seinem Haus im Londoner Stadtteil Waterloo. Und sie setzt sich fort in seinem Studio in Camden Town, wo der »Designer des Jahres 2020« (Maison et Objet) an neuen Objekten tüftelt, schwebend zwischen skulpturaler Kunst und minimalistischem Design. Seine Entwürfe für Marken wie Flos, B&B oder Bang & Olufsen haben ihn zu einem der einflussreichsten Produktdesigner gemacht. Die berufliche Vita des 54-Jährigen begann in London, wo er sich nach einem Bauingenieursstudium und dem Besuch des Royal College of Art 1994 als Designer selbstständig gemacht hatte. Objekte von Anastassiades sind in Museen wie dem New Yorker MoMA zu sehen. Im Wiener MAK eröffnet am 6. Oktober im dortigen Showroom zur Wiener Werkstätte die Ausstellung »Ein Dialog mit Michael Anastassiades« (bis August 2023). LIVING bat den gebürtigen Zyprioten zum Talk.

LIVING: Wie haben Sie die Zeit des Lockdowns erlebt?
MICHAEL ANASTASSIADES: Ich habe mein Studio glücklicherweise nie komplett schließen müssen. Mein Team hat stets miteinander arbeiten können. Und ich habe viel Zeit für mich gewonnen, weil Meetings und alle Business-Trips weggefallen sind. So entstand eine ungewohnte Workshop-Atmosphäre, die mich an meine Anfänge erinnert hat. Nach meinem Abschluss am Royal College of Art habe ich in erster Linie künstlerisch experimentiert und eher Fragen gestellt statt Antworten in Form von Objekten zu liefern. Meine Arbeit hat bis heute diese starke psychologische Ebene.  

Wie äußerte sich das?
Eine Arbeit im Jahr 2001 hieß »Anti Social Light«. Die Lampe war so programmiert, dass sie erlosch, wenn in ihrer Nähe gesprochen wurde, und erst bei absoluter Stille begann sie wieder zu leuchten. Ich wollte Respekt vor der Ruhe erzeugen. Und mich hat stets das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Objekt und Benutzer interessiert.

Ihre Lampen brachten Ihnen schließlich auch den Durchbruch.
Vielen Freunden und auch Architekten gefielen vor allem meine Lampen. Es erschien mir deshalb naheliegend, dass ich mein eigenes Label  zunächst darauf fokussierte. 

Hat Ihre Faszination für Licht damit zu tun, dass Sie auf Zypern mit diesem intensiven, mediterranen Licht aufgewachsen sind?
Ganz bestimmt. Das natürliche Licht hat mich immer angezogen. Und ich weiß: Diese Kraft und Magie kann ich als Designer nie ersetzen. Das Licht wird dir immer voraus sein und dich überraschen. Licht ist beweglich. Ich kann mich glücklich schätzen, wenn ich davon einen kleinen Sehnsuchtsmoment einfange. 

Sie haben für Flos bewegliche Hängelampen wie die »Mobile Chandelier«-Kollektion entworfen. Ist das der Versuch, die Unberechenbarkeit von Licht zu reflektieren?
Wenn ich Licht gestalte, kann es sich niemals um ein von seiner Umgebung isoliertes Objekt handeln. Ein kleiner Stoß kann alles verändern, auch der Positionswechsel des Betrachters. So bekommt die Raum-Beleuchtung etwas Dynamisches. Es geht um Balance. Nicht nur bei meinen Lampen, sondern bei all meinen Produkten. 

Können Sie beschreiben, wie Sie sich diesem Zustand nähern?
Es gibt diesen Moment der ultimativen Stille. Der Augenblick, bevor ein Gegenstand, etwa eine Gabel, die Kante eines Tisches erreicht und herunterfällt. Oder du stellst das Glas an eine Stelle, wo alles perfekt angeordnet ist. So nehme ich Objekte wahr. Und im Design-Prozess geht es darum, die Menge an visuellen Informationen immer weiter zu reduzieren, um zum Wesenskern eines Objektes vorzustoßen. 

Erinnern Sie sich an ein Schlüsselerlebnis  in Ihrer Kindheit, als Sie eine künstlerische Begabung spürten?
Es gab eine sehr frühe Passion für Gegenstände aus meinem Alltag. Ich habe etwas gespürt, das über das Materielle hinausging. Ich erinnere mich, dass ich Erwachsene, denen ich zum ersten Mal begegnete, bat, für mich etwas zu zeichnen. Ich habe dann sofort begonnen, das Bild nachzuzeichnen. Das war meine Art, zu kommunizieren. Ich hätte gerne Kunst studiert, aber das war für meine konservativen Eltern ein unvorstellbarer Gedanke. Und deshalb ging ich nach London, um Tiefbau zu studieren. Dort wurde mir allerdings schnell klar, dass ich nie als Ingenieur arbeiten würde. Das anschließende Design-Studium erschien mir als Kompromiss. 

Empfinden Sie sich als Designer oder Künstler? 
Als kreativer Mensch. Ich habe nach meinem Studium lange sehr kompromisslos gearbeitet. Diese Erfahrungen waren elementar, als ich 2007 mein Label gründete. Da war ich bereits 40. Ganz wichtig war dann die Begegnung mit Piero Gandini von Flos. Denn er sagte: ›Wir schätzen genau diese Kompromisslosigkeit.‹ Meine Unabhängigkeit habe ich auch bei meinen Kooperationen nie aufgeben müssen. Ich nehme einen Auftrag nicht wegen des Geldes an, sondern wenn er mich stimuliert.

Im Wiener MAK ist bald eine von Ihnen kuratierte Schau zur Wiener Werkstätte zu sehen. Was erwartet den Besucher?
Es ist für mich eine große Ehre, den neuen »Showroom Wiener Werkstätte« zu eröffnen. Ich habe dafür aus der MAK-Sammlung vor allem Objekte aus der Frühphase herausgesucht und zeige im Zusammenspiel mit einigen meiner Arbeiten, wie sehr das Prinzip der kunstfertigen Reduktion der Werkstätte das Design bis heute beeinflusst. Für mich war es eine elementare Inspiration, als ich mein Studio gründete.

Was ist für Sie das größte Lob?
Als man meinen Objekten anfangs Etiketten aufdrücken wollte, war ich sehr irritiert. Da sprach ein Kritiker von Art-Deco-Anleihen, ein anderer entdeckte darin den Geist der Fifties. Was ich früher eher von mir gewiesen habe, kann ich heute anders annehmen. Als Designer erfindest du nichts wirklich Neues, sondern du komponierst Bestehendes auf deine Art. Und wenn darin Bezüge zu früheren Epochen gezogen werden, dann unterstreicht es die zeitübergreifende Substanz, die ich anstrebe. Mein Ideal ist es, dass der Designer hinter dem Objekt verschwindet. Ich stelle etwas in die Welt – und dann spricht es ganz individuell zu seinem Betrachter. Das ist für mich die schönste Form der Anerkennung.

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 05/2021

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