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Der EU-Austritt ist unterschrieben, doch trotz aller Brexit-Prophezeiungen ist der Londoner Büromarkt international und dynamisch geblieben. Denn die Stadt war immer schon wandlungsfähig und ideenreich. Wie London mit einer Rekord-Rezession aufgrund der Pandemie umgeht? Eine Analyse.

09.12.2020 - By Maik Novotny

London ist größer als jedes Territorium. Es enthält jeden Wunsch und jedes gesprochene Wort, jede Handlung und jede Geste, die je gemacht wurde. Es ist un-begrenzbar. Es ist endlos London.« Der Schriftsteller Peter Ackroyd, von dem diese Worte stammen, muss es wissen, schließlich verfasste er eine über 800 Seiten starke Biografie seiner Heimatstadt.

Neue Türme

London ist eine Stadt der Widersprüche und der Dynamik, der Hindernisse und der Überwindung selbiger. Dies verrät schon ein Blick auf die Skyline: Diese hat sich in den letzten 20 Jahren so rapide verändert wie nie zuvor. In der Finanzmetropole der City wuchsen Hochhäuser zu Clustern, und ringsum entstanden ganz neue: Paddington im Westen, Nine Elms im Südwesten, das lange vernachlässigte südliche Themseufer um die Tate Modern sowie im »fernen Osten« die Greenwich Peninsula und das Zentrum von Stratford rund um das Olympic Village von 2012. 

Nicht nur die Türme zeugen von der Dynamik, sondern auch die vielen Start-ups der Creative Industries, vor allem in den quirligen Partybezirken Shoreditch und Hackney oder am »Silicon Roundabout« an der Old Street. Von reichlich Hype begleitet, haben sich Co-Working-Spaces wie Techspace und Mother London etabliert und das kreative Zentrum der Stadt ostwärts verschoben.

London ist nicht nur endlos, es hat in den 2000 Jahren seiner Existenz auch zahllose Erschütterungen überlebt. Die Finanzkrise 2008 führte zu verstärktem Investment in »Betongold« und Immobilien. Der im Olympiajahr 2012 eröffnete »The Shard«, das höchste Gebäude des Landes, zeugt davon.

Auch die langwierigen und teils chaotischen vier Jahre seit dem Brexit-Referendum haben nicht zum befürchteten Einbruch geführt – zumindest bisher. War es 2012 noch der Staat Katar, der »The Shard« maßgeblich mitentwickelte, traten in den nächsten Jahren vor allem Chinesen und Koreaner als Großinvestoren auf dem Büromarkt auf – und ließen sich dabei vom Brexit nicht allzu sehr aus der Ruhe bringen. Die Unterhauswahl Ende 2019 hat auf dem Immobilienmarkt – da sind sich alle Analysten einig – für Ruhe und Klarheit gesorgt.

Rekordzuwachs

»Mit einem geordneten Brexit wird London seine Attraktivität am Finanzsektor wiedererlangen«, so Analyst Nick Whitten von den Immobilienberatern JLL. Auch der Hochhausboom ging ungebrochen weiter, wie der Jahresbericht von New London Architecture (NLA) im April feststellte – mit einem Rekordzuwachs von 140 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Weitere 525 Hochhäuser sind in Planung oder in Bau, davon 35 Prozent an Verkehrsknotenpunkten in den boomenden Außenbezirken.

Auch die Skyline der City wächst weiter in die Breite und in die Höhe, wie der London Office Crane Survey von Deloitte im Mai feststellte: Rund 500.000 Quadratmeter neue Bürofläche gingen bis zum 31. März an den Baustart – ein absoluter Rekord. »Der im Jänner 2020 fixierte EU-Ausstieg hat politische Sicherheit geschaffen«, so Deloitte. Die Kollegen von Knight Frank wiederum erfanden den Namen »reLondon« für die anbrechenden Zwanzigerjahre. Schließlich habe sich die Stadt immer wieder neu erfunden und werde das auch dieses Mal tun. Erst recht angesichts der Zusatz-Herausforderung durch die Corona-Pandemie.

Analyst Faisal Durrani von Knight Frank resümiert: »Aufgrund der Corona-Pandemie suchen Investoren sichere Häfen an vertrauten Orten. London war im ersten Halbjahr 2020 der Hotspot Nummer 1 für internationale 

Büroinvestitionen, vor Paris und ­Manhattan. Die Unsicherheit des Handelsabkommens mit der EU wird zu einem schwachen Pfund führen, dadurch werden Immobilien für internationale Käufer attraktiv. Viele von ihnen sehen den Brexit als interne Angelegenheit, die Londons historische Rolle als Ort für sicheren Werterhalt nicht gefährdet.«

Alles on hold

Entwarnung also? Ganz so rosig sind die Nachrichten dann doch wieder nicht: Im Frühjahr verzeichnete das Vereinigte Königreich eine Rekord-Rezession, die Erholung danach war leider nur von kurzer Dauer. Fast alle großen Banken und Versicherungen haben ihren Mitarbeitern WFH (Work From Home) verordnet, die City ist wie ausgestorben, Gastronomen müssen Mitarbeiter entlassen. Einige geplante Bauprojekte sind on hold. Finanzdienstleister haben jetzt schon, wie Bloomberg berichtet, 7500 Mitarbeiter und 1,3 Billionen Euro in die EU verschoben. Der nicht gerade von Kompetenz zeugende Zickzackkurs der britischen Regierung bei Corona und Brexit tut eher wenig dazu, das Vertrauen wiederherzustellen. Ob sich das »endlose« London trotz dieser doppelten Unwägbarkeiten kreativ neu erfindet?

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