© Anna Niederleitner

LIVING Salon: Wird der grüne Pakt gelingen oder nicht?

Vor genau einem Jahr stellte EU-Komissionspräsidentin Ursula von der Leyen den so­genannten Green Deal vor. Demnach soll die EU bis 2050 klimaneutral werden. Das heißt, dass wir auch die Errichtung und den Betrieb unserer Häuser völlig neu denken müssen. Über die Chancen und Herausforderungen sprechen ein Bauträger, ein Energieexperte und eine Klimaforscherin.

03.03.2021 - By Wojciech Czaja

LIVING: Was ist das Grünste, das Sie in letzter Zeit getan haben?
Kromp-Kolb:
 Ich denke permanent nach, und zwar darüber, wie wir in Zukunft noch verantwortlicher und noch klimabewusster agieren können. Nachdenken ist sehr effizient und außerdem absolut CO2-neutral. 
Rießland: Sobald ich ein gutes Buch zum Thema Klimaschutz finde, kaufe ich es vielfach und verteile es in meinem Freun-des- und Bekanntenkreis. Abgesehen davon ernähre ich mich vegetarisch und fahre regelmäßig mit dem Rad in die Arbeit.
Hüttler: Der Lockdown zeigt uns, dass große Einschnitte zu viel Kreativität beitra-gen. Ich bin leidenschaftlicher Tennisspie-ler. Aktuell ist Tennisspielen nicht möglich. In den letzten Wochen und Monaten habe ich nun – gemeinsam mit meiner Tochter – die Tischtennis-Tische in Wien ausfindig gemacht und bin in der Zwischenzeit ein richtiger Ping-Pong-Profi geworden. 

Wie grün ist Ihr Leben im Vergleich zu dem eines Durchschnittsösterreichers? 
Rießland: 
Ich führe mit Sicherheit ein überdurchschnittlich grünes Alltagsleben. Doch sobald man ein Flugzeug besteigt, um in Urlaub oder zu einer Konferenz zu fliegen, ist die Bilanz im Eimer. Wir brauchen dringend mehr Sensibilität dafür, welche Auswirkungen unser Agieren auf das Klima und auf die Umwelt hat. 
Kromp-Kolb: Ich wohne in einem wunderschönen, denkmalgeschützten Dreifamilienhaus in Hietzing und habe vor einiger Zeit eine PV-Anlage auf dem Dach errichten lassen. Die Anlage ist fixfertig installiert, ­aber wir haben sie bis heute nicht in Betrieb genommen, denn der administrative Aufwand ist derartig hoch, dass ich mit meinen beschränkten Zeitressourcen bis heute daran gescheitert bin, die entsprechenden Geneh­migungen einzuholen. Die Bürokratie legt einem manchmal ziemlich große Steine in
den Weg. 
Rießland: Ich habe letztes Jahr eine PV-Anlage gekauft, und meine ist nicht einmal noch montiert! Auch dafür braucht man Bewilligungen, Berechnungen und fachkundige Firmen. Es dauert leider Wochen und Monate, so etwas auf Schiene zu bringen. Das kann unmöglich die Zukunft sein. 
Hüttler: Damit sind wir schon mitten im Thema! Der Wille ist da, es gibt Förderungen, es gibt die Produkte, das Know-how ist vorhanden – aber es scheitert an den Schnittstellen.

Was tun? 
Hüttler: 
Hier kommt der Green Deal ins Spiel. Es gibt ein EU-weites Bekenntnis, diese Hürden in den Griff zu kriegen und unsere Häuser und Städte in einem sehr umfassenden Rahmen klimaneutral zu adaptieren. 

Vor ziemlich genau einem Jahr stellte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den sogenannten Green Deal vor. Konkret soll die EU bis 2050 klimaneutral werden. Was genau sieht der Green Deal vor? 
Kromp-Kolb: 
Im Grunde genommen geht es darum, Umwelt und Soziales miteinander zu verbinden, damit die Lösung der klimatischen Probleme nicht mit einer sozialen Belastung für die Menschen einhergeht. Es gilt, eine sozial und klimatisch verträgliche Lösung für alle zu finden, die zudem die Lebensqualität verbessert.

Walter Hüttler, Energieexperte

»Der Lockdown zeigt uns, dass große Einschnitte zu viel Kreativität beitragen.«

»Wir haben derzeit 600.000 Ölheizungen und 900.000 Gaskessel in Betrieb. Das sind enorme Zahlen. Ohne eine Anhebung der Sanierungsrate wird es nicht gehen!«

In Österreich will man die Klimaziele schon bis 2040 erreichen. Wird das gelingen? 
Hüttler:
So steht es im österreichischen Regierungsprogramm. Das ist in der Tat sehr ambitioniert. 
Kromp-Kolb: Dem Klima ist ziemlich egal, wann wir auf null sind. Das kann zehn Jahre früher oder später sein. Relevant ist nur, wie viel CO2-Emissionen wir bis dahin in die Atmosphäre eingebracht haben. Diese Mengen kennen wir ziemlich genau. Wenn wir zu viel Kohlendioxid ausstoßen, dann kippt irgendwann das Gefüge, und die Klima­erwärmung legt kontinuierlich weiter zu. Dann gibt es vermutlich kein Zurück mehr. 

Inwiefern betrifft der Green Deal den Bausektor? 
Hüttle:
 Konkret geht es darum, bis 2040 Öl- und Gasheizungen aus dem Markt zu nehmen. Im Neubau dürfen heute keine Ölheizungen mehr installiert werden. Ab 2025 soll dieses Verbot dann auch für Gasheizungen zur Anwendung kommen. 

Wie viele fossile Brennanlagen gibt es heute in Österreich? 
Hüttler: 
Wir haben in Österreich derzeit 600.000 Ölheizungen und 900.000 Gaskessel in Betrieb. Das sind enorme Zahlen. Ohne eine Anhebung der Sanierungsrate wird das nicht gehen! Aktuell liegt die Sanierungsrate in Österreich je nach Definition zwischen 1,0 und 1,4 Prozent, im Bereich der geförderten Sanierung sogar weit darunter. Wir müssen die Sanierungsrate bei unseren Bestandsgebäuden schrittweise zumindest auf 3,0 Prozent anheben – also verdoppeln. Das ist auch im Regierungsprogramm festgehalten! 

Auch der gemeinnützige Sektor wird bis 2040 viel zu tun haben. Welche Arbeit steht Ihnen denn bevor? 
Rießland: Einen großen Teil der Aufgaben haben wir bereits bewältigt. 95 Prozent aller Häuser aus der Zeit der Fünfziger- bis Siebzigerjahre, die ursprünglich ungedämmt waren, haben wir bereits thermisch saniert. Mit dieser Aufgabe sind wir also bald am Ziel. Abgesehen davon haben wir noch 18.000 Ölkessel und 123.000 Gasthermen in Betrieb. All diese Heizungsgeräte werden wir in den kommenden 20 Jahren umrüsten müssen. Das klingt zunächst nach einer großen Zahl, aber tatsächlich mache ich mir in der gemeinnützigen Wirtschaft wenig Sorgen – denn wenn wir mit jedem Wohnungswechsel das Heizsystem umstellen, wird sich die Umrüstung bis 2040 auf jeden Fall gut ausgehen. 

Bernd Rießland, Bauträger

»Wenn wir die Welt retten wollen, dann werden wir von der Vision dauerhaften Gewinnwachstums in Richtung einer nachhaltigen Erhöhung der Lebensqualität umdenken müssen.«

»Sobald man ein Flugzeug besteigt, um in Urlaub oder zu einer Konferenz zu fliegen, ist die Bilanz im Eimer. Wir brauchen mehr Sensibilität dafür, welche Auswirkungen unser Agieren auf das Klima und auf die Umwelt hat.«

Auf welche Heizquellen beziehungsweise Energieträger wird der Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen umsteigen? 
Rießlan:
 Die Möglichkeiten umfassen beispielsweise Fernwärme, Biomasse, Geothermie und Wärmepumpen. Eine Umrüstung auf Luftwärmepumpen planen wir derzeit bei einem Sanierungsprojekt in der Miesbachgasse in Wien-Leopoldstadt. Es geht! Und ja, es ist finanzierbar. Die Kosten sind nicht höher als bei der schlichten Erneuerung des Altsystems.
Hüttler: Es gibt viele Alternativen, die technisch machbar sind. Oft hören wir, dass es Zweifel gibt, wie Geothermie in der Stadt zum Einsatz kommen kann. Tatsächlich arbeiten wir bereits an einigen Pilotprojekten, wo wir Geothermie grundstücksübergreifend nutzen. Das heißt: Wo es Sinn macht und wo es eine entsprechende Einigung gibt, kann man auch auf dem Nachbargrundstück in die Tiefe bohren, um dort die nötige Erdwärme anzuzapfen. 
Kromp-Kolb: Was Biomasse betrifft, ändert sich zum Glück die Denkweise der Menschen derzeit. Früher galten Holz- und Pellets-Heizungen als Nonplusultra. Heute wissen wir, dass es nicht sinnvoll ist, dass wir in großem Stil unsere Wälder ausräumen, um damit unsere Wohnungen zu heizen. Holz ist eine zu wertvolle Ressource für so einen kurzfristigen Bedarf. 

Wie und wo kann man sich als Eigentümer darüber informieren, welche technischen
Möglichkeiten am eigenen Grundstück am besten geeignet sind?
 
Hüttler: In der Tat ist die Thematik sehr komplex. Daher haben wir in den letzten zwei Jahren für die Stadt Wien ein Projekt auf die Beine gestellt, das Eigentümern und Endverbrauchern in vielen Belangen die Entscheidung erleichtern soll. Unter dem Titel »Hauskunft Wien« haben wir einen One-Stop-Shop eingerichtet, wo sich jeder erkundigen und die nötigen Infos einholen kann. Wir bieten umfassende Sanierungs­beratung aus einer Hand – ob das nun thermische Sanierung, Verschattungsmaßnahmen ­oder alternative Energieträger betrifft. Seit 1. Oktober 2020 sind wir online und bieten laufend Beratungen an. 

Wie wird das Angebot angenommen? 
Hüttler: 
Bis jetzt sehr gut. Die Zahlen beweisen, dass sowohl Interesse als auch Bereitschaft da ist. Rießland Ich finde die Idee sehr schön, denn für professionelle Bauträger und Investoren ist die Materie bei aller Komplexität gut zu durchschauen. Aber für Endverbraucher und private Wohnungseigentümer gab es so gute Informationsmöglichkeiten bislang nicht. Das ist wirklich eine Premiere! 

Wie hoch schätzen Sie die Kosten, die mit der Umstellung von Öl und Gas auf erneuerbare Energien verbunden sind? 
Rießland: 
Wir haben dazu schon ziemlich genaue Kalkulationen erstellt. Die Umstellung der Öl-Heizsysteme wird in Österreich rund 710 Millionen Euro kosten. Davon entfallen auf den gemeinnützigen Sektor rund 80 Millionen. Und die Umstellung der Gas-Heizsysteme, die ja in der großen Überzahl sind, wird rund 3,3 Milliarden Euro kosten. Davon entfallen auf den gemeinnützigen ­Sektor knapp 600 Millionen. Allein in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft schaffen wir mit den Umrüstungsmaßnahmen ­in den kommenden 20 Jahren mehr als 28.000 Arbeitsplätze! Und das alles ohne Kosten­erhöhung für die Bewohner. 
Hüttler: Der Green Deal ist ja kein Kuhhandel auf EU-Ebene, sondern muss in den einzelnen Ländern auch auf nationaler Ebene implementiert und umgesetzt werden. Aus diesem Grund wurde nun ein Innovation Call in der Höhe von einer Milliarde Euro ausgeschrieben. Ziel ist es, etwa bei Gebäude-sanierungen die Umsetzung zu vereinfachen und auch hier One-Stop-Shops einzurichten. Je zugänglicher die Materie, desto besser. 
Rießland: Wie auch immer: Ohne Green Financing und ohne eine umfassende Transformation des Kapitalmarkts wird es nicht gehen. Wenn wir die Welt retten wollen, dann werden wir von der Vision dauerhaf-ten Gewinnwachstums in Richtung einer nachhaltigen Erhöhung der Lebensqualität umdenken müssen. 

Helga Kromp-Kolb, Klimaforscherin

»Ich denke permanent darüber nach, wie wir in Zukunft noch verantwortlicher und noch klimabewusster agieren können. Nachdenken ist sehr effizient und außerdem absolut CO2-neutral.«

»Fakt ist: Die Temperatur wird sich global verändern. Diesen Prozess können wir nicht mehr aufhalten.«

Wie lange wird es dauern, bis die Bevölkerung für die Dringlichkeit des Green Deals sensibilisiert wird? 
Kromp-Kolb: Das ist nicht kontrollierbar und hängt vor allem von der Politik und der Kommunikationskultur ab. Wenn man es geschickt macht, dann kann so etwas sehr schnell gehen. Denken Sie nur an Flight--Shaming! Vielleicht gibt es ja bald schon -Oil-Shaming oder Gas-Shaming! 

Nicht nur Privatmenschen, auch Gemeinden muss man mitunter unter die Arme greifen. Frau Kromp-Kolb, als Obfrau des Vereins Climate Change Centre Austria haben Sie kürzlich die Initiative »KlimaKonkret« vor-gestellt. Worum geht es da?
Kromp-Kolb: 
Die Initiative richtet sich in erster Linie an Gemeinden und politische Entscheider. Fakt ist: Die Temperatur wird sich global verändern. Diesen Prozess können wir nicht mehr aufhalten. Jetzt geht es nicht nur darum, wie wir die Temperatur-anstiegskurve abflachen können, sondern auch darum, wie wir unsere Städte und Gemeinden klimaangepasst gestalten. Dazu zählen Maßnahmen wie Verschattung öffentlicher Räume, Umgang mit steigenden oder fehlenden Niederschlagsmengen, Einsatz von Wasserflächen, nachhaltige Mobilität oder intelligente Bebauungsdichte. Im Zuge des Projekts haben wir einen Fahrplan entwickelt, den wir im November 2020 an Bürgermeister und Entscheidungsträgerinnen in ganz Österreich verschickt haben. 

Wie war die Resonanz? 
Kromp-Kolb:
 Bis jetzt sehr gut. In den ersten Wochen haben rund 100 Gemeinden Interesse bekundet. 

Es gibt in Österreich 2.095 Gemeinden! 
Kromp-Kolb:
 Sie sagen es! À la longue wird so eine Initiative nur dann fruchten, wenn es gelingt, möglichst viele Gemeinden zu gewinnen. Je mehr an Bord kommen, desto mehr Mundpropaganda und Vorbildwirkung, desto schneller erreichen wir unser Ziel. 
Rießland: Ich finde, das ist ein sehr spannendes Projekt. Ansätze dafür gibt es ja schon seit langer Zeit. Ich denke da nur an die Klimabündnis-Gemeinden, an die Zukunftsorte, an die e5-Gemeinden. 
Kromp-Kolb: Wobei sich die bisherigen Konzepte eher auf Emissionsreduktion konzentrieren. Jetzt geht es primär um Klimaanpassung. 

Schlussfrage: Angenommen, Sie werden in der nächsten Legislaturperiode zum Klimaminister, zur Klimaministerin ernannt: Wie lautet das erste Green-Deal-Gesetz, das Sie verabschieden werden? 
Kromp-Kolb: 
Ich würde Partizipation gesetzlich verankern und die Bevölkerung stärker in Aufklärung und politische Gestaltung einbinden. 
Hüttler: Die Corona-Krise hat uns ge-zeigt: Wenn der Hut brennt, dann können wir schnell handeln. Ich würde mich stark machen für eine prioritäre Behandlung des Themas und für eine sofortige Umsetzung – eine Art Klimamaßnahmen-Beschleunigungsgesetz. 
Rießland: Viele Steuergelder, die wir heute haben, fließen in die Verschlimmerung der Klimaschädigung – beispielsweise in die Förderung der Fleischproduktion oder in die Förderung des Einfamilienhausbaus. Ich würde diese Gelder gerne ummünzen und stattdessen lieber klimafitte Maßnahmen fördern.

»Ich würde Partizipation gesetzlich verankern und die Bevölkerung stärker in Aufklärung und politische Gestaltung einbinden.«

Helga Kromp-Kolb über visionäre Klimapolitik

Die Living-Salon-Gesprächspartner

Walter Hüttler (56) studierte Kulturtechnik und Wasserwirtschaft in Wien und arbeitete zunächst im Bereich Wasser- und Abfallwirtschaft. Er lehrte am Institut für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Universität Wien und arbeitete von 2001 bis 2007 für die Österreichische Energie-agentur. Er ist Gründer und Senior Consultant bei e7 energy innovation & engineering und unterrichtet an der FH Campus Wien im Fachbereich Architektur – Green Building. 
e-sieben.at

Bernd Rießland (65) studierte Bauinge-nieurwesen und arbeitete zunächst im Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten, im Wohnbau- und Immobilienbereich der Erste Bank sowie als Leiter der Geschäftsstelle des Wiener Wirtschaftsförderungsfonds (WWFF). Seit 2010 ist er Vorstandsmitglied der Sozialbau AG. Seit 2019 ist er Obmann des Verbands gemeinnütziger Bauvereinigungen (gbv). 
sozialbau.at, gbv.at

Helga Kromp-Kolb (72) studierte Meteorologie und lehrte an mehreren Universitäten, unter anderem an der Uni Wien und an der San José State University in Kaliforniern. Sie leitet das Institut für Meteorologie und Klimatologie an der BOKU Wien und ist Obfrau des Netzwerks Climate Change Centre Austria (CCCA). 2013 wurde sie mit dem Großen Silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet. 
ccca.ac.at

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