© Rafaela Pröll

Lilli Hollein: »Design als Moderator der Gesellschaft«

Im Wiener Museum für Angewandte Kunst bricht mit Design-Expertin Lilli Hollein ab 1. September 2021 eine neue Ära an. Als erste Frau in der Geschichte wird sie die Geschicke des MAK leiten. Der LIVING-Talk über Frauenpower, neue Pläne, Emotionen und Design als mächtiges Problemlösungstool gegen die Pandemie.

16.07.2021 - By Angelika Rosam

Nach der etwas lauten, aber kreativen Zeit des legendären Peter Noever folgten eher Jahre der »Stille« im Wiener Museum für Angewandte Kunst. Christoph Thun-Hohenstein, der sich um eine dritte Periode beworben hatte, traf zwar in weiser Voraussicht mit Nachhaltigkeitsthemen rund um Architektur und Design den globalen Zeitgeist, doch vielen war seine Umsetzung nicht spektakulär genug. Eine klare Positionierung sucht das MAK noch immer.

Nun aber besteht die berechtigte Hoffnung, dass mit Lilli Hollein eine neue Design-Ära anbricht. Die Gründerin der Vienna Design Week und Tochter des bereits verstorbenen Star-Architekten Hans Hollein wird ab 1. September als erste Frau in der Geschichte die Führung des Museums am Stubenring übernehmen. LIVING bat die dynamische Managerin zum Foto-Shooting und Interview in ihre eigens kuratierte »Lilli Hollein«-Suite ins Altstadt Vienna über ihre Pläne als MAK-Direktorin, die Auswirkungen der Pandemie im Kulturbereich und die Power von Design.

LIVING: Wir befinden uns hier im Altstadt Hotel Vienna in der »Lilli Hollein« -Suite –
wie kommt man dazu sich mit einer Hotel-Suite zu verewigen?
Lilli Hollein:
Das Altstadt Hotel Vienna ist so konzipiert, dass es dort wie in einem ganz normalen Wiener Wohnhaus immer wieder individuelle Zimmer gibt, die von einzelnen Personen gestaltet werden. Ich wurde 2016 eingeladen, so ein Zimmer quasi zu kuratieren – denn es ist ein Zusammenkomponieren der Entwürfe anderer, die unter dem Titel »Österreichisches Design« stehen. Im selben Jahr hatte ich damals auch für das Einrichtungshaus Interio eine Kollektion mit österreichischen Design-Schaffenden kuratiert. Und hier in dieser Suite finden sich Stücke aus eben dieser Kollektion, Unikate und genauso Gallery Pieces, Einzelstücke. Sebastian Menschhorn ist zum Beispiel hier vertreten, Tischleuchten von Carl Auböck oder der Luster von Chmara Rosinke. Und was hier weiters Einzug gehalten hat, ist der alte Loos’sche Spiegeltrick, um das Zimmer optisch zu vergrößern.

Sollte Ihrer Meinung nach die Design-Branche in Österreich noch intensiver etabliert werden?
Der Designmarkt in Österreich ist tatsächlich sehr klein. Meine Mission ist aber generell nicht vorwiegend österreichisches Design, sondern ich stehe ganz klar für internationales Design. Mein wesentliches Ziel, als ich vor fünfzehn Jahren die Vienna Design Week gegründet und bis jetzt geleitet habe, war, internationales Design nach Österreich zu bringen. Gleichzeitig bin ich aber auch gern Missionarin für heimisches Design im Ausland. Und vielleicht ist gerade in dieser Suite der Marco-Dessí-Sessel für den österreichischen Hersteller Wittmann, der mit Raf Simons Stoffentwürfen für Kvadrat bezogen ist, ein gutes Bespiel für den Mix der großen weiten Welt mit Lokalerem. Auch für unseren Fototermin habe ich bewusst vorwiegend Mode österreichischer Designerinnen und Designer ausgewählt, was ich übrigens auch mache, wenn ich nicht gerade fotografiert werde.

Wie lebt jemand privat, der eine Hotel-Suite ausstattet?
Meine Wohnung ist groß, ich habe also die Möglichkeiten, nicht nur ganz unterschiedliche Atmosphären zu schaffen, sondern Zimmern ebenso unterschiedliche Tätigkeiten und Momente am Tag zu widmen. Aber generell ist mein Zuhause ein totaler Rückzugsort und nicht auf Repräsentation ausgerichtet. Meine Einrichtung ist eine Mischung aus Familienerbstücken oder Dingen, die ich mir im Laufe meines Lebens angeeignet habe. Manche haben sentimentalen Wert, manche ästhetischen, andere wiederum haben praktischen Nutzen. In meinem Schlafzimmer steht zum Beispiel die Bar Non-Lieu von Breaded Escalope. Eine Mini-Loos-Bar für Zwei – man hats nicht weit nach Hause!

Sie lebten bereits als Jugendliche Design. Wie intensiv wurden Ihre Schaffensphasen von Ihrem Vater, dem Architekten Hans Hollein, geprägt?
Sowohl mein Vater als auch meine Mutter waren sehr prägend für mich. Auch meine Mutter war eine sehr begabte und kunstsinnige Frau. Beide haben meinen Bruder Max
und mich sehr liebevoll in die Kunstwelt mitgenommen. Eine sicher wichtige Erfahrung
in meiner persönlichen Entwicklung.

Es wurden in jedem Fall Gene mitgegeben, die sehr erfolgversprechend sind. Sie haben die Vienna Design Week vor fünfzehn Jahren gegründet, bis jetzt erfolgreich geleitet und damit internationales Design nach Wien gebracht. Ab 1. September lösen Sie Ihren Vorgänger Christoph Thun-Hohenstein als neue MAK-Direktorin ab. Und sind damit die erste Frau, die das Museum für Angewandte Kunst führen wird. Wie fühlen Sie sich damit?
Ich freue mich natürlich sehr. Aber es ist auch ein Zeichen unserer Zeit, dass endlich Frauen immer mehr Führungspositionen übernehmen. Und keiner will die erste unfähige Frau in einer Führungsposition sein (lacht). Wichtig ist aber, als Frau nicht in den Rechtfertigungsmodus zu driften. Man muss mit demselben Selbstbewusstsein an Aufgaben herangehen, wie das auch Männer tun und aufhören sich vor großen Herausforderungen zu fürchten.

Nun, wir sind alle auf die Veränderungen gespannt, die Sie im MAK durchführen werden. Worauf dürfen wir uns freuen?
Das Museum besteht ja nicht nur aus der Direktion, sondern auch aus vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – das prägt ebenso. Ich schätze die Arbeit von Christoph Thun-Hohenstein sehr, und wir sind uns auch thematisch in vielen Dingen einig. Aber ich denke, dass ich einen anderen Zugang habe, wie Inhalte vermittelt und aufbereitet sein können. Die Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit werden natürlich bleiben, das sind die wesentlichen Themen des Designfeldes der letzten 15 Jahre. Und das werden sie nicht nur bleiben, sondern der Druck, Lösungen zu finden, wird nur größer werden und unser Haus wird diese Themen weiter aufbereiten.

Wie wird das konkret aussehen?
Ich glaube, dass viele dieser Themen mit Dingen, die bereits im Haus sind, verwoben werden können. Ich möchte zum Beispiel stark mit der Sammlung arbeiten und auch da wieder ein Bewusstsein schaffen, was interessant an der Kulturtechnik Teppich oder Spitze etc. ist und wo die Relevanz im Heute liegt. Das ist keine einfache Aufgabe. 

Sie sprechen viel von der Öffnung des Museums nach innen und außen …
Ich glaube, dass diese Form von Kultur die im Museum für Angewandte Kunst, dem MAK vertreten ist, sehr viel Alltagskultur ist, eine hohe Zugängigkeit und damit einen integrativen Charakter hat. Mich interessiert ein breites, diverses Publikum und das MAK hat die Chance, jene Menschen anzusprechen, die Vorbehalte haben, in ein Museum zu gehen, da sie Ängste haben, dass bei uns Wissen vorausgesetzt wird. Es würde mich sehr freuen, diese Art Schwellenangst zu besiegen, vielleicht auch mit ein wenig mehr popkulturelleren Themen, die einen größeren Teil der Gesellschaft interessieren.

Die Anziehungskraft dieses Hauses ist gewiss ...
Ja, denn wir haben ja auch noch jede Menge Glamour zu bieten und können das Haus mit vielen Dingen leuchten lassen, die Luxus aus vergangener Zeit sind. Und genau das macht das MAK aus. Es gibt sehr viele Zugänge, die man erzeugen und viele Angebote an ein unterschiedliches Publikum machen kann. Die Interaktion mit den Menschen hat hier Priorität.

Sie sind eine dynamische und mutige Frau, perfekt für die postpandemische Museumsführung. Corona hat viele Spuren hinterlassen, die sozialpolitisch in den Griff zu bekommen auch in Zukunft noch schwierig sein wird.Welche Rolle wird das MAK haben, die Menschen wieder kuturell zur Normalität zurückzuführen?
Was ist die Normalität? Wir müssen uns als Gesellschaft auch einmal darüber einig werden, dass wir nicht dorthin zurück wollen, wo wir einmal waren. Wir haben auch einiges gelernt in dieser Zeit, in der Arbeitswelt, in der Mobilität. Und es zahlt sich aus, darum zu kämpfen und sich auch als Museum einzubringen. Man kann die Pandemie nicht negieren und sie wird einen Effekt haben. Aber ich werde versuchen, die Besucher mit meiner positiven Energie mitzuziehen. Ich glaube gerade jetzt an die Macht von Design als Problemlösungstool. Design ist eine Disziplin, die als Moderator der Gesellschaft fungiert. Und ein Haus, das sich mit so einer Disziplin auseinandersetzt, hat auch jetzt gerade Chancen, aber auch noch größere Verpflichtungen und Aufgaben, einen Bildungsauftrag zu erfüllen. 

Wo wollen Sie nach fünf Jahren MAK sein? Was ist Ihr Wunschtraum für das Haus?
Ich wünsche mir, dass es mir gelingt, die Menschen mit Emotionen an das MAK zu binden. Ich möchte, dass die Menschen ein intensives Bild davon bekommen, wofür das Museum steht. Diejenigen, die das MAK bereits kennen, sollen es ob der neuen Führung durch einen anderen Blickwinkel sehen und genießen. Ich wünsche mir einfach, dass das Haus geliebt wird.

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 05/2021

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