© Torvioll Jashari

Graubünden statt Miami, Lech Zürs statt Basel. Land-Art bringt die Kunst nach draußen – und das immer häufiger in den hoch­alpinen Raum. Das unvergleichliche Licht, die massiven Berge, der unerbittliche Schnee – internationale Künstler reflektieren auf diese Bedingungen.

28.11.2019 - By Nicola Afchar

Ein komplett spiegelverkleidetes ­Haus – irgendwo im Nirgendwo, ­auf 1049 Meter Seehöhe –über Gstaad. Es absorbiert und reflektiert die umgebende Landschaft, es wird von den Besuchern in Besitz genommen. »Mirage Gstaad« nennt sich die Skulptur, die sich im Laufe der Jahreszeiten verändert; »sie lebt«, wie der US-amerikanische Künstler Doug Aitken sagt. Das semi-permanente Objekt (seit Februar 2019, geplant auf zwei Jahre) ist Teil des Kunstprojekts »Elevation 1049«. Ein erstes Haus dieser Machart stand in der kalifornischen Wüste, sprich: Es war ebenso extremen Wetterbedingungen ausgesetzt. »Mirage Gstaad« ist ein geradezu perfektes Beispiel für Land-Art, wie sie im Jahr 2019 funktioniert.

Die Objekte fügen sich in die Natur ein, sie interagieren mit ihr, verändern sie nachhaltig oder wirken teils auch so, als wären sie immer schon da gewesen. Der Faktor Licht ist so gut wie immer ein gewichtiger – und die Objekte strahlen zumeist auch auf Instagram aus. »Do it for the gram« – zumindest »auch«. Die Menschen wollen sich selbst inszenieren – und die Initiatoren wissen das auch. Ein paar hundert Kilometer weiter gen Osten etwa: in Lech Zürs. Hier lockt der Skyspace Lech des Lichtkünstlers James Turrell. Wer sich selbst in der In­stallation ablichtet und den #iamskyspacelech taggt, hat die Chance auf ein Re-Posting.

So funktioniert Land-Art 2019: Die Objekte fügen sich in die Natur ein, sie interagieren mit ihr, verändern sie nachhaltig oder wirken teils auch so, als wären sie immer schon da gewesen.

Motive gibt es hier en masse, Turrell ist zweifelsohne einer der bedeutendsten Künstler ­der Gegenwart. Seine Arbeit an der Werkse­rie Skyspace begann in den 1970er-Jahren, 75 Kunstwerke sind mittlerweile weltweit ­­zu finden. Aber nur eines im hochalpinen Raum, wie Otto Huber, Obmann des Kunstvereins Horizon Field, betont. Er erinnert sich: »James Turrell war von Anfang an vom Standort begeistert. Der Skyspace Lech wurde mit all seinen Besonderheiten, der weitgehend unterirdischen Anlage, dem Zugangstunnel und der beweglichen Kuppel, die weltweit einmalig ist, eigens für diesen Standort entwickelt.« Das grundlegende Konzept: größere Räume, in denen sich die Betrachter setzen können, um durch eine Öffnung in der Decke den Himmel zu betrachten. Turrells Lichttunnel und -projektionen erzeugen Formen, die Masse und Gewicht zu haben scheinen. Doch der Schein trügt. Turrell: »Meine Arbeiten handeln nicht von Licht, sie sind Licht.« ­

Lech Zürs positioniert sich immer stärker als »Denk- und Bewegungsraum«, wie auch einer Presseaussendung des Tourismusverbands zu entnehmen ist. Dennoch geht es bei Projekten wie dem Skyspace Lech nicht vordergründig darum, etwaige schwache Saisonen auszugleichen. »Man muss wissen, dass dies eines der größten, weitestgehend privat finanzierten Kunstprojekte Vorarlbergs ist«, so Huber. Die ersten »Mountain Art«-Objekte auf dieser Seite des Arlbergs datieren ins Jahr 2010 zurück. 99 der 100 Eisenmänner, die der Künstler Antony Gormley damals im Lechquellengebirge installierte, wurden 2012 abmontiert und sind aktuell Teil einer Retrospektive Gormleys in der »Royal Academy of Arts« in London (bis Anfang Dezember 2019). Eisenmann #3 verblieb in Lech – dank der Initiative des Vereins Horizon Field.

Das Schweizer Engadin kann als Mekka der Kunstszene betitelt werden –neu: das »Muzeum Susch«

Vom Berg in die Grotte

Nicht alle Kunstprojekte sind allerdings für die Ewigkeit geschaffen – teils gewollt, oft ­ungewollt. So manch ein »Kunstwanderweg« führt ins Nichts, die Objekte sind oft austauschbar oder wirken zu gewollt. Nicht jede Skiregion reüssiert mit ihren Bemühungen, Festivals müssen sich teils neu orientieren. Manchmal sind es auch einfach kurzlebige Events, die nur in der Erinnerung bestehen. Und hin und wieder ist es auch ein einzelner Hüttenbetreiber, der für Furore sorgt. Zum Beispiel Stefan Eder von der Kristallhütte im Hochzillertal. Bereits seit 14 Jahren bietet man in der etwas anderen Hütte (»Lifestyle am Berg«) Kunstschaffenden die Gelegenheit, sich zu präsentieren. »Die Reise mit den Menschen ist das Spannende an der Sache«, so Eder. Begonnen hat diese Reise mit Stahlspinnen des Künstlers Andreas E. Furtwängler, zwischenzeitlich war Udo Lindenberg zu Gast, der Urban Artist Nomad oder der israelische Meister an der Nähmaschine, Amnon Lipkin. Die kommende Wintersaison bestreitet – wie schon 2018/19 – Anton Unai, ein Meister des Chaos und der Spontaneität, wie es heißt. »Mit Kunst kriegt die Hütte einen ganz besonderen Charme«, sinniert Eder. »Sie macht den Unterschied zwischen Hütte und cooler Hütte aus.« Herrlich unprätentiös – und wieder ein ganz anderer Ansatz als etwa im 2019 eröffneten Muzeum Susch im Engadin, das durchaus als Mekka der Kunstszene zu betiteln ist. Nicht selten wird St. Moritz auch als Schweizer Venedig gehypt. Die polnische Mäzenin Grazyna Kulcyzk hat hier in einem abgelegenen Dorf namens Susch einen Ort geschaffen, der es direttissimo auf die »TIME’s World’s 100 Greatest Places of 2019«-Liste geschafft hat. Ein Ensemble aus Pfarrhaus, Empfangs- und Wirtschaftshäusern sowie einer ehemaligen Brauerei wurde adaptiert, um Anbauten ergänzt und als vierteiliger Museumskomplex eröffnet. Gezeigt wird Zeitgenössisches; insbesondere die monumentalen Installationen, die ortsspezifisch geschaffen wurden, beeindrucken. Die Ausstellungsräume im Berg selbst könnten den einen oder anderen auch bedrücken, die Anziehungskraft der Objekte (Mirosław Bałkas sich drehender ­Zylinder in der Grotte!) lassen etwaige Unter-der-Erde-Ängste verblassen. Und irgendwie ­ist dieses Museum, das dem Berg entsprun­-gen ist, auch ein Sinnbild für das, worum es eigentlich allen Land-Art-Künstlern gehen sollte: dem Œuvre der Natur zu huldigen.

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