© Rafaela Pröll

Künstler Erwin Wurm im Gespräch: »Durch Mode können wir uns neu erfinden«

Im neuen Wiener Louis-Vuitton-Shop am Graben setzt eine groß dimensionierte Arbeit von Erwin Wurm einen starken Kunst-Akzent. Im LIVING-Talk berichtet der Künstler über seine neue Lust am Malen, über seine Beziehung zu Mode und was wahrer Luxus für ihn ist.

13.04.2023 - By Stefan Musil

Er hat Häuser und Autos zu fetten Objekten aufgeblasen und ließ Hochhaustürme in sich zusammenschmelzen. Seinen Gurkerl-Skulpturen hat er mit riesigen Würsteln und Semmeln aus Marmor vor Kurzem weitere Essensikonen zur Seite gestellt. Erwin Wurm, einer der bekanntesten Gegenwartskünstler, untersucht das Thema Skulptur nach allen nur erdenklichen Richtungen und bringt performativ und partizipativ auch gerne die Menschen ein, wie in seinen »One Minute Sculptures«. Humor und satirische Kraft erlauben einen vergnüglichen Zugang zu seinem vielschichtigen Werk. Zur Fastenzeit 2021 hat er im Stephansdom einen Pullover über die ganze Länge des Hochaltars gehängt. Wenige Schritte weiter, im neuen Louis-Vuitton-Store, schuf er jetzt ein zentrales Element der Innenausstattung.

LIVING Ihre Gemälde, Sie nennen sie »Flat Sculptures«, behaupten sich an der Wand quer durch alle Stockwerke vor einer spektakulären verspiegelten Wendeltreppe im neuen Louis-Vuitton-Shop. Architekt Peter Marino hat ihn gestaltet. Wie kam es zu dieser neuen Werkgruppe und zum Auftrag für Louis Vuitton?

ERWIN WURM Ich habe damit auf Hydra im Urlaub begonnen, weil mir langweilig war. Hans Weigand hat mich dort besucht. Es sind sehr viele Künstler auf Hydra und es gibt einen kleinen Ort mit einem Geschäft für Künstler-Hobbybedarf. Dort haben wir Leinwände und Farben gekauft. Er hat zu malen begonnen und ich auch. Plötzlich bin ich da hineingekippt. Es hat mir einen großen Spaß gemacht. Ich habe den ganzen Sommer gemalt und den nächsten auch. Dann gab es vor einem Jahr die Ausstellung bei Thaddaeus Ropac in Paris, und dort hat Peter Marino Arbeiten gekauft und die Ausstattung für Louis Vuitton in Auftrag gegeben.

Was verstehen Sie unter »flachen Skulpturen«?

Das ist eine rote Linie, die sich durch mein Werk zieht: das Interesse am Skulpturalen, an Zwei- und Dreidimensionalität, Haut, Hülle, Masse, Volumen, Zeit und all das, immer in Verbindung mit einem sozialen Kontext. Wann wird etwas zur Skulptur oder wie lange ist etwas noch zweidimensional, wann wird es dreidimensional? Wenn jemand steht, ist es eine Aktion oder kann es auch zur Skulptur werden? Da gibt es viele Deklinationsübungen. Im Fall der »flachen Skulpturen« ist es so, dass ich Buchstaben auswalze. So, wie wenn man über einen Ball aus Knetgummi fährt, der sich dann zum Kreis ausrollt. Ich wollte expandierende, sich im Zweidimensionalen ausdehnende Buchstaben, die aber dreidimensional wirken.

Was sind die Themen Ihrer »flachen Skulpturen« bei Louis Vuitton?

Ich nehme, wie immer, Elemente aus der Realität und verfremde sie. Folgende Werke, die hier im Louis-Vuitton-Store gezeigt werden, sind inhaltlich durch ihre Wörter aufgeladen: Die »form« für die Form, »beauty« für Schönheit bezieht sich auf die Welt, in der auch ich immer wieder arbeite. »Body«, weil der Körper in meiner Arbeit immer eine große Rolle spielt. »Case« meint in diesem Fall eine Tasche und »Louis« ist eine Anspielung. »Deep«: Zum einen spielt die Tiefe ebenso skulptural eine Rolle, weil das Bild unten im Keller hängt, zum anderen ist Tiefe inhaltlich gemeint. Da ist vieles Intuition.

»Durch die Verspiegelungen der Treppe wird das Ganze multipliziert und aufgelöst und bekommt etwas wahnsinnig Interessantes, Dynamisches. Man muss hier also sagen: Hut ab, Peter Marino!« Erwin Wurm, Künstler

Wie waren die Vorgaben? Wie kam es zum leuchtenden Gelb für die Wand, auf der die Bilder hängen?

Peter Marino wusste genau, wo die Arbeit hinkommen soll, und hat die Fläche vorgegeben. Fünfzehn mal fünf Meter groß. Die Größe der Bilder, die Titel waren mir überlassen. Wir haben fünf Vorschläge entworfen, mit verschiedenen Größen der Leinwände, verschiedenen Namen, die einen mit einem rosa, die anderen mit einem gelben Hintergrund. Das haben wir ihm geschickt. Die waren sehr begeistert und haben dann die gelbe Wand gewählt. Aus den anderen Entwürfen werden fünfzehn mal fünf Meter große Flaggen ­gemacht, die vor den großen Louis-Vuitton-Megastores aufgehängt werden, außerdem soll eine Tasche daraus produziert werden.

 

Die Wand kann in ihrer Gesamtheit gar nicht gesehen werden, weil davor die große Wendeltreppe steht. Stört Sie das?

Am Anfang habe ich es mir nicht vorstellen können. Doch mir gefällt das richtig gut. Durch diese Verspiegelungen der Treppe wird das Ganze multipliziert und aufgelöst und bekommt etwas wahnsinnig Interessantes, Dynamisches. Man muss hier also ­wirklich sagen: Hut ab, Peter Marino!

Ist es Ihre erste Arbeit für ein Modehaus?

Hermès hat mich vor vielen Jahren gebeten, dass ich die »Monde d’Hermès« interpretiere. Wobei Hermès damit keine Werbung machen durfte, so wie jetzt auch Louis Vuitton nicht. Damals habe ich Skulpturen aus den Kleidern von Hermès gemacht. Ich arbeite ja viel mit Kleidern, weil es unsere zweite Haut ist und ein Darstellungselement, das in meiner Arbeit, wie etwa dem Stephansdom-Pullover und vielen anderen Sachen, immer sehr präsent ist. Es hat in mein Konzept gepasst.

In Ihrem Werk gibt es die Skulptur »Walking Bag«, eine »Birkin Bag« von Hermès auf Frauenbeinen. Das ist natürlich auch als Kritik zu verstehen. Spüren Sie eine Diskrepanz, wenn Sie für ein Luxuslabel arbeiten?

Nein, man kann etwas mögen und trotzdem kritisch sein. In meiner Arbeit habe ich ­immer wieder die Welt der Konsumartikel aus der Perspektive des Absurden oder des Paradoxen hinterfragt. Es gibt die verfetteten Autos und Häuser, die Riesenpullis oder z. B. auch die Damen- und Herrenhandtaschen auf Beinen (berühmter oder weniger bekannter Designer), die die Konsument:innen auf das Objekt der Begierde reduzieren.

Wie viel bedeutet Ihnen selbst Mode?

Ich finde sie faszinierend. Kleider machen Leute, siehe Gottfried Keller. Durch Kleidung kann man sofort auf den sozialen Background schließen. Es ist psychologisch interessant, weil wir uns durch Mode quasi neu erfinden und erneuern können. Mir geht es so, wenn ich etwas Neues kaufe und es anziehe, dann freue ich mich, weil ich mich neu fühle. Das ist natürlich Unsinn, aber man bildet sich das ein.

Was bedeutet für Sie Luxus?

Für mich bedeutet Luxus, wenn ich von ­meiner Kunst gut leben kann. Dass ich eine wunderbare Familie, mit meiner Tochter und meinen Söhnen, obwohl sie schon erwachsen sind, ein gutes Auskommen habe. Das ist Luxus. Die Reise in die Südsee machen wir nicht, aber wir fahren nach Griechenland. Auch das ist Luxus, dass ich mir die Zeit ­nehmen kann, drei Monate im Sommer nach Griechenland zu fahren. Und Luxus ist, dass ich – ich bin jetzt 68 – immer noch arbeiten darf, und zwar genau das, was mich freut. Das ist der größte Luxus überhaupt.

»Im Fall der ›flachen Skulpturen‹ ist es so, dass ich Buchstaben auswalze. So, wie wenn man über einen Ball aus Knetgummi fährt, der sich dann zum Kreis ausrollt.« Erwin Wurm, Künstler

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