© Mark C. O'Flaherty / LIVING INSIDE

Jean-Charles de Castelbajac: Zu Besuch im Apartment Kunterbunt

Das Pariser Zuhause des kreativen Masterminds Jean-Charles de Castelbajac spiegelt dessen Vorliebe für kräftige Farben perfekt wider. Zudem bietet es ein exquisites Sammelsurium origineller Objekte, zwischen denen das Gefühl der Langeweile garantiert keinen Platz hat.

22.02.2023 - By Mark C. O'Flaherty

Gemeinsam betreten wir die inzwischen 23. Wohnung, die Modeschöpfer und Künstler Jean-Charles de Castelbajac in Paris bewohnt. Möglicherweise handelt es sich um seine letzte. »Wir sehen uns nach einem Haus um«, sagt er, während er aus einer selbst designten Keramikkanne Kaffee in Espressotassen kippt, deren kunterbunte Porzellanhenkel kleinen Flügeln nachempfunden sind. »Ich will größere Skulpturen erschaffen, wofür ich ein geräumigeres Atelier benötige. Vielleicht muss ich mich daher vom Stadtleben verabschieden.«

Sein derzeitiges Familiendomizil ist ein klassisches Appartement im Haussmann-Stil und befindet sich im 17. Pariser Arrondissement. Nur einen kurzen Spaziergang vom Arc de Triomphe entfernt, neben einer Boulangerie gelegen, die Madeleines und rabenschwarze Kohlebaguettes verkauft. Von dort aus sieht man zudem ein paar Obstverkaufsstände an der Straßenecke. Der 73-jährige Designer, bekannt für comichafte Bildsprache und grelle Primärfarben, zog vor zwei Jahren hier ein, nachdem seine Frau – die Dichterin Pauline de Drouas (37) – erfahren hatte, dass sie ein Kind erwartete. »Bis dahin wohnten wir in einem romantischen Refugium samt Garten«, so der Gastgeber. »Doch dann brauchten wir etwas Praktischeres, wo ich auch arbeiten konnte.« Nur wenige Tage nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Eugenie im darauffolgenden Jahr wurde über die Hauptstadt der Grande Nation der Lockdown verhängt. Der Umzug entpuppte sich als glückliche Fügung. »Ich konnte jeden Tag zeichnen und arbeiten. Ein paar meiner Zeichnungen von damals kann man in einem Buch sehen, das gerade erst erschienen ist. Ich verbrachte auch viel Zeit damit, Lieder für Eugenie zu komponieren. Sie zu bekommen, war die beste Therapie auf der Welt.«

Der Designer machte sich einst in den 1970er-Jahren einen Namen für seine gewitzten Upcycling-Kreationen. Zu seinen engsten Freunden und Mitstreitern zählten Persönlichkeiten wie Keith Haring, Andy Warhol und Malcolm McLaren. Anfang 2019 wagte er ein viel beachtetes Comeback in der Modebranche, als er den Posten als Kreativdirektor bei Benetton annahm. Es fand zusammen, was zusammengehörte: Immerhin bilden die bevorzugten Farben von Jean-Charles – Blau, Grün, Rot und Gelb – quasi die DNA der italienischen Marke. Darüber hinaus arbei­tete der Designer jahrelang Seite an Seite mit Benettons bahnbrechendem Fotografen
Oliviero Toscani, der das Image des Konzerns prägte. Hinter dem Esstisch von Monsieur de Castelbajac hängen mehrere Porträtfotos, die Toscani in den 1980er-Jahren knipste. Sie zeigen prominente, in die Strickmode seines Labels Iceberg gehüllte Freunde des Designers: »Vivienne Westwood, Andy Warhol, Franco Moschino und Ettore Sottsass …sie waren die größten Influencer ihrer Zeit«, lächelt er.

»Vivienne Westwood, Andy Warhol, Franco Moschino und Ettore Sottsass … sie waren die größten Influencer ihrer Zeit.« Jean-Charles de Castelbajac, Designer

Kunterbuntes Allerlei

Iceberg existiert auch heute noch, doch war es Jean-Charles, der die Firma in den 1970er-Jahren aus der Taufe hob. Während sein Freund McLaren drüben in London gerade den Punk erfand, schuf er in Paris Gestricktes, das mit bekannten Zeichentrickfiguren wie dem Road Runner, der Maus Jerry oder Felix the Cat bedruckt war – ein ganz neues Streetwear-Movement, das vor allem in der Welt des Hip-Hops großen Anklang finden sollte. »Diese Klamotten avancierten zum typischen Outfit afroamerikanischer Jugendlicher«, erinnert er sich. »Das war noch lange Zeit bevor ihnen jener Respekt zuteilwurde, den sie heute als Elite der Influencer
ernten.«

Castelbajac bezeichnet seine Residenz als regelrechtes »Kuriositätenkabinett«. So beherbergt sie eine Sammlung von Erinnerungsstücken und Artefakten aus seiner bereits 50 Jahre andauernden Karriere – etwa Gegenstände, die er selbst angefertigt hat, Einrichtungsstücke, die sein verstorbener Freund Ettore Sottsass, der Gründer des postmodernen Memphis-Kollektivs, entworfen hat, und Kunstwerke von Keith Haring und anderen Freunden. Auch findet man hier einen Stuhl, den der Designer in Zusammenarbeit mit Kanye West gestaltet hat. In der Ecke eines Raums hängt über der Lehne eines anderen Sessels eine Jacke, die aus aneinandergenähten Teddybären -besteht. »LL Cool J trug sie seinerzeit in den 1980ern«, sagt er. »Er meinte, dass meine Kleider ihm das Gefühl vermittelten, einen Mantel Heinrichs VIII. zu tragen.« In jüngerer Zeit erfreut er sich auch in der Londoner Grime-Szene großer Beliebtheit. Vor allem schmeichelt es ihm, dass man ihm dort das Kürzel »JCDC« als Spitznamen verpasst. Es überrascht, dass jemand wie Jean-Charles de Castelbajac, der geradezu besessen von Farbe ist, eine so umfangreiche Sammlung von Schwarz-Weiß-Fotografien besitzt, die auch Arbeiten nennenswerter Künstler:innen wie Diane Arbus oder seines alten Freundes Robert Mapplethorpe umfasst. Doch fungieren diese als beispielhaft für seine »Dualität«, wie er selbst meint. »Bevor ich begann, vermehrt auf Farbe zu setzen, was heute sozusagen mein wichtigstes ›Werkzeug‹ ist, verzichtete ich vollkommen auf Farbe.« Auch weist er darauf hin, dass seine Arbeiten niemals ohne Schwarz auskommen. »Ich benutze Farben als mein Rüstzeug, wobei meine Auswahl relativ beschränkt ist – aber Schwarz spielt immer eine Rolle. Ohne Schwarz gibt es keine Struktur.« Die Farbenpracht à la Castelbajac macht auch vor unerwarteten Bastionen nicht halt. 1997 entwarf er etwa die Kostüme für 500 Bischöfe, 5.000 Priester und Papst Johannes Paul II. höchstpersönlich. Der Anblick von Tausenden Kirchenmännern in knallbunt gestreiften Gewändern hat sich ins kollektive Bewusstsein eingeprägt. Die Robe des Pontifex, -verziert mit farbenfrohen Kreuzen, die wiederum mit goldenem Faden von Lesage eingefasst wurden, war 2018 auch im Rahmen der Fashion-Ausstellung »Heavenly Bodies« im New Yorker Metropolitan Museum of Modern Art zu bestaunen.

Im Zeichen des Regenbogens

Auf die Frage, ob er mit jener Aktion vertraut ist, in deren Rahmen zahllose Kinder in Großbritannien als Ehrerbietung an alle im Gesundheitssystem Beschäftigten Regen-bogen zeichneten und in den Fenstern ihrer Wohnungen und Häuser platzierten, gerät Jean-Charles ins Schwärmen: »Einfach -wunderbar! Mit meiner jüngsten Installation samt Workshop – ›Le peuple de demain‹ – im Pompidou versuchte ich dasselbe: Ich lud Kinder ein, dort ihre eigenen Fahnen und Symbole zu kreieren. Als ich für den Vatikan den Regenbogen verwendete, war das noch vor Instagram. Man stelle sich vor, welches Potenzial wir heute besitzen, Leute zusammenzubringen. Der Regenbogen gilt als Symbol der LGBTQ-Community, der Inkas und des Friedens. Er versinnbildlicht den Brückenschlag zwischen diversen Gruppen. Für mich ist er die Flagge unseres gesamten Kosmos schlechthin – die einzige Flagge, die über echte Macht verfügt oder überhaupt von Bedeutung ist.«

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