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Investment-Interview: »Sparsamkeit ist immer eine Tugend«

Wie haben sich Wohnen und Arbeiten in Zeiten von Corona verändert? An welchen Grundrissen mangelt es am Markt? Und warum steht die S Immo eher für Naturfaser als für Englisches Leder? Ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden Ernst Vejdovszky.

09.02.2021 - By Wojciech Czaja

LIVING Ihre erste eigene Wohnung war Anfang der Achtzigerjahre eine Altbauwohnung im 19. Wiener Gemeindebezirk. Mit welchen Gefühlen erinnern Sie sich an Ihr erstes Zuhause?
Ernst Vejdovszky: Natürlich erinnere ich mich gerne daran zurück, aber die Wohnung hatte einen unglaublichen Nachteil: Unter dem Haus ist der 38er vorbeigefahren, bergauf und bergab, und die Straßenbahn war so laut, dass meine Frau und ich eines Tages beschlossen haben, uns eine ruhigere Lage zu suchen. 

Was sind denn heutige Nachteile, mit denen Mieter und Eigentümer von Wohnungen zu kämpfen haben? 
Der Markt ist heute viel differenzierter, aber auch deutlich enger als damals. Die Nachfrage ist gestiegen, die Grundstückskosten gehen kontinuierlich in die Höhe, und ich denke, dass man heute schwerer die passende Wohnung fürs passende Budget findet, als das etwa in den Achtzigerjahren der Fall war. 

Und was sind die Vorteile am Wohnungsmarkt gegenüber damals? 
Die Qualität der Wohnungen hat sich immens verbessert, und zwar nicht nur im Neubau, sondern auch bei den Sanierungen von Alt- und Bestandsbauten. Außerdem ist das Angebot heute so breit gefächert, dass für jeden Geschmack, für jeden Lebensstil, für jede Haushaltskonstellation etwas dabei ist.
 

Inwiefern hat die aktuelle Corona-Krise den Blick auf die Wohnimmobilienwirtschaft
verändert? 

Was wir während des Lockdowns gesehen haben: Der durchschnittliche Wohnraum ist nicht dafür geschaffen, dass zwei Erwachsene, die im Homeoffice arbeiten, mit ihren Kindern, die sich gerade im E-Learning befinden, darin gut Platz finden. Für solche Extremsituationen ist der österreichische Wohnungsmarkt nicht gewappnet. 

Waren Sie privat davon auch betroffen? 
Ich bin glücklicherweise in einer privilegierten Situation. Unser Haus ist groß genug. Das gesellschaftliche Problem ist jedoch nicht zu vernachlässigen. 

Was tun? 
Ein großer Nachteil beim städtischen Wohnen ist, dass viele Leute keinen Ausgang ins Freie haben. Wohnen ohne Grün ist auf Dauer unangenehm. Ich könnte mir vorstellen, dass es wieder einen Trend hinaus in den Speckgürtel und raus aufs Land gibt. Ob diese Stadtflucht, die in London und New York bereits zu beobachten ist, auch in Wien einsetzen wird, werden wir in den kommenden Monaten sehen. 

In den letzten Jahren waren auf dem Wohnimmobilienmarkt zwei gegensätzliche Tendenzen zu sehen: einerseits kompakt geschnittene Smart-Wohnungen mit kleinen Räumen, andererseits großzügig dimensionierte Wohnungen mit offenen Räumen und wenigen Wänden. Beide Typologien haben sich im Lockdown als problematisch herausgestellt. Wie geht’s weiter? 
Wien ist, was das leistbare Wohnen betrifft, gut unterwegs, aber noch lange nicht auf einem Niveau, auf dem man die gesamte Nachfrage abdecken kann. Das von Ihnen geschilderte Problem zeigt ganz genau auf, bei welchen Qualitäten und Wohnungstypologien wir dringenden Nachholbedarf haben: Eine gute Wohnung ist gut geschnitten, verfügt über einen großzügigen Wohn- und Küchenbereich, hat abtrennbare Zonen und lässt zu, dass man die Zimmer wie etwa Schlafzimmer multifunktional nutzt – beispielsweise als Arbeitszimmer untertags. An solchen Grundrissen mangelt es. 

Wird die S Immo ihren Beitrag leisten, um dieses Defizit zu beheben? 
Wir arbeiten daran. Aktuell nehmen die Wohn­immobilien rund 31 Prozent unseres Flächenportfolios ein, und der Anteil wird noch deutlich zunehmen. 

Die S Immo gilt heute als Gewerbespezialist. ­Werden Sie eines Tages zum Wohnspezialisten? 
Wir sind Spezialisten in allem, was wir tun. Aber ich denke nicht, dass die Wohnungen bei uns eines Tages den Löwenanteil einnehmen werden. Wir sind und bleiben Büro- und Gewerbeprofis. 

Laut Experten soll der Trend zu Homeoffice, Teleworking und digitalen Meetings auch nach Corona bis zu einem gewissen Grad erhalten bleiben. Wird der Bedarf an Büroflächen langfristig zurückgehen? 
Bei neu errichteten Büros ist dieser Trend ja schon lange zu beobachten. Unternehmen mit mehreren tausend Mitarbeitern setzen oft auf Desk-Sharing und errichten meist nur noch 70 bis 80 Prozent der rechnerisch benötigten Arbeitsplätze, weil viele im Homeoffice oder im Außendienst arbeiten. Sollte uns der Trend mit dem Homeoffice erhalten bleiben, dann kann ich mir vorstellen, dass der Arbeitsplatzbedarf langfristig auf circa 65 Prozent zurückgehen wird. Das wäre die logische Konsequenz. 

Wollen wir das? 
Ein bis zwei Tage Homeoffice pro Woche ergeben durchaus Sinn. Das schafft Freiheit und Flexibilität und trägt zu einem guten Arbeitsklima bei. Mehr würde ich aber nicht raten, denn Unternehmenskultur, Wohlbefinden am Arbeitsplatz und letztendlich auch die wirtschaftliche Performance sind vom Beisammensein abhängig – von der Mittagspause, vom Treffen in der Kaffeeküche, vom kurzen Plauscherl zwischendurch. Bei aller Digitalisierung, bei allem technologischen Fortschritt dürfen wir diese soziale Komponente nicht vernachlässigen. 

Hat das Großraumbüro Zukunft? 
Ja, bis zu einem gewissen Grad. In der bestehenden Dichte jedoch ist das Großraumbüro mit der Erfahrung einer Corona-Pandemie wahrscheinlich nicht mehr State of the Art. 

»Ich glaube fest daran, dass Corona eine unglückliche Episode in unserem Leben ist. In zwei, drei Jahren wird diese Episode wieder vergessen und verarbeitet sein.«

Ernst Vejdovszky, Vorstand S Immo

Jetzt haben wir über Neubau-Büros gesprochen. Wie schaut die Situation im Altbestand aus? 
Wo es möglich sein wird, kann ich mir vorstel­-len, dass die Mieterinnen und Mieter auch hier reagieren und in Zukunft vielleicht etwas kleinere Flächen anmieten werden. Aber ich mache mir absolut keine Sorgen, dass das Büro eines Tages komplett verschwinden wird. Ein Bürostandort hat ja nicht nur die Aufgabe, den Mitarbeitern einen Arbeitsplatz zu geben, sondern dient auch der Sozialisation und Repräsentation. 

Was repräsentiert das Büro von S Immo? 
Sparsamkeit. 

Ist Sparsamkeit eine gute Tugend für die Zukunft?  
Sparsamkeit ist immer eine Tugend. Dinge, die man nicht braucht, kann man sich sparen. Ich bin nicht der Meinung, dass die Sessel in unserem Besprechungszimmer mit Englischem Leder bespannt werden müssen. Es geht auch so, wie wir es haben. 

S Immo steht nicht für Englisches Leder, sondern …? 
Für Naturfaser – Qualität, Ergonomie und Atmungsaktivität, aber kein Luxus. 

Im letzten Geschäftsbericht 2019 fällt auf, dass in Ihren modernen Büroimmobilien in der Schönbrunner Straße oder im »IP Two« am Lerchenfelder Gürtel mit 25 bis 40 Prozent auffallend hohe Leerstandsraten zu finden sind. Ist moderne Architektur eine Fehlinvestition? 
Überhaupt nicht! Das sind vorübergehende Leerstände in Objekten, deren Größe recht überschaubar ist. Das finde ich nicht weiter beunruhigend. Hochwertige, moderne Architektur ist nie eine Fehlinvestition.

Warum findet man dann so wenig davon in Ihrem Portfolio? Der Großteil ist – architektonisch betrachtet – mäßige Mittelklasse. 
Ich glaube, Architektur ist wichtig, aber sie ist nicht das Wichtigste. Lage und Funktionalität sind die Pflicht. Die Optik ist die Kür. 

2019 hat die S Immo mit 213,3 Milliionen Euro ein Rekordergebnis eingespielt. Wie ist Ihnen das gelungen? 
Das Immobiliengeschäft ist ein langfristiges. Das Wichtigste ist, über einen längeren Zeitraum hinweg überwiegend gute Entscheidungen zu treffen. Von zehn Entscheidungen waren in den letzten Jahren sechs bis sieben sehr gut, zwei na ja, und einmal darf man dann auch danebenliegen. Wenn diese Balance gegeben ist, dann führt das langfristig zu guten Ergebnissen.

Was war denn eine sehr gute Entscheidung? 
Wir haben uns im Speckgürtel von Berlin eingekauft, und zwar in einem Ausmaß von rund 2,4 Millionen Quadratmetern Land. Wirft man einen Blick auf die demografische und wohnungstechnische Entwicklung in Berlin und Umgebung, so denke ich, dass dies eine goldrichtige Entscheidung war. Berlin hat viel Wohnbedarf und ein enormes Potenzial. 

Von welchem Zeitraum sprechen wir da? 
Die ersten Baurechte werden wir in eineinhalb Jahren bekommen. Ich rechne mit einem Entwicklungszeitraum von bis zu zehn Jahren. 

Und womit sind Sie so richtig danebengelegen? 
Mit dem Bau des Shoppingcenters Serdika in Sofia, Bulgarien. Da haben wir die Entwicklung von Einzelhandel, stationärem Handel und Online-Handel falsch eingeschätzt. Glücklicherweise konnten wir das Projekt an eine südafrikanische Gruppe weiterverkaufen. 

Der Einzelhandel hat Schrammen abgekriegt, der städtische Hotelmarkt jedoch ist komplett eingebrochen. Wie hat es die S Immo getroffen? 
Die Hotels machen rund acht Prozent unseres Portfolios aus. In diesen acht Prozent hat uns die Krise massiv getroffen. Ich denke, es wird zwei bis drei Jahre dauern, bis die Be­-völ­kerung die Corona-Pandemie psychologisch verarbeitet hat und langsam wieder ­ihre Reiselust entdecken wird. 

Als AG sind Sie Ihren Stakeholdern Transparenz schuldig. Wie werden Sie das Corona-Jahr überstanden haben? 
Trotz allem mit einem positiven Ergebnis. Darüber bin ich sehr froh. 

Wie geht’s mit der S Immo weiter? 
Wir wollen uns nicht von der Furcht anstecken lassen, sondern fahren unsere bestehende Strategie weiter und arbeiten an mehreren Dingen parallel: Nach wie vor kaufen wir Grundstücke rund um Berlin sowie Zinshäuser in deutschen Sekundärstädten. Außerdem werden wir einige Objekte erwerben, die einen langfristigen Cashflow bringen. 

Und wie geht’s mit der Welt weiter? 
Wir leben in der besten aller Welten. Und das ist gut so. Ich glaube fest daran, dass Corona eine unglückliche Episode in unserem Leben ist. In zwei, drei Jahren wird diese Episode wieder vergessen und verarbeitet sein.

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