Ein Zuhause in den Bergen
Kein Ferienbergdorf ohne Chalets. Die Häuschen in den Alpen üben einen ungebrochenen Zauber aus. Das liegt auch an ihrer Architektur, egal ob klassisch oder modern. Vom traditionellen Holzchalet bis zur zeitgemäßen Interpretation mit großen Glasflächen geht es immer ums Daheimsein.
23.12.2021 - By Davinia Stimson
Schneebedeckte Gipfel vor dem Fenster, ein prasselndes Feuer im Kamin und ein wohliges Gefühl von Heimat in der Brust: Ein Chalet in den Bergen weckt eindeutige Bilder im Kopf, und die kommen nicht von irgendwo. »Das Haus verkörpert die Identität – man ist Teil davon«, sagt Bart Lootsma, Professor für Architekturtheorie an der Universität Innsbruck. Schon 1923 beschreibt Josef Steger in »Ein Buch für das Tiroler Haus«, wie das Haus eine Möglichkeit sei, das Volk zu erziehen und ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen. »Man muss aber verstehen, dass das keine echte, sondern eine erfundene Tradition ist.« Diese seien im Vergleich zu gewachsenen Traditionen recht unveränderlich, orientieren sich an einem ursprünglichen Idealbild – und haben sich zum Teil bis heute gehalten. So wird der Alpenraum seit Ende des 19. Jahrhunderts romantisiert.
Gerhard Landau
Geschäftsführender Gesellschafter Landau + Kindelbacher
Gerhard Landau
Geschäftsführender Gesellschafter Landau + Kindelbacher
»Es ist eine heile Welt«, sagt auch Gerhard Landau, Geschäftsführer des Münchner Architekturbüros Landau + Kindelbacher. Und, etwas greifbarer ausgedrückt: »Die Häuser sind unglaublich gemütlich.« Gebaut und designt mit Naturmaterialien wie Holz und Stein, schönen Stoffen und Fellen, vermittle ein Chalet ein hohes Maß an Geborgenheit – und Raum für Luxus. Moderne Chalets im hochpreisigen Segment bieten die gleichen Annehmlichkeiten wie ein Fünf-Sterne-Hotel. Großzügiger Pool- und Spa-Bereich, offener Kamin, Backoffice und Personalbereiche gehören zum Status quo. »Das ist der Trend: gemütlich und schön für die Familie als Treffpunkt, aber der Servicegedanke eines Luxushotels.«
Für die Berge bauen
Was heute als traditionell vermarktet wird, hat mit dem Ursprung nicht mehr viel zu tun. Alte Chalets waren sehr klein, wurden meist landwirtschaftlich genutzt. Das entspricht zeitgemäßen Ansprüchen nicht mehr – und kann auch für einen architektonischen Fauxpas sorgen. »Wenn ein Chalet plötzlich 1.500 Quadratmeter Nutzfläche hat, sieht das wie ein aufgeblasenes Bauernhaus aus«, sagt Landau. Gute Architektur finde für jeden Bau die richtige Sprache und erhelle den Ort.
Ein Grundsatz, der für den Markenwert »Chalet« oft vergessen wird. »Nicht jedes Mehrfamilienhaus ist ein Chalet«, sagt Stefan Schramm. Für den Architekten funktioniert ein Chalet nur mit Bezug zur Natur, mit ungestörtem Blick und frei stehend im Raum. Eben ganz im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des Wortes: geschützter Ort. »Es ist ein Rückzugsort für die Familien und Freunde, an dem man gemeinsam die Nähe zu den Bergen erlebt.«
Diese Nähe zur Örtlichkeit findet sich in aufmerksamer Architektur wieder. Das fängt bei regionalen Hölzern und Steinen an und geht bis zur heimischen Flora und Fauna. Wenn das kuschelige Fell vor dem Kamin die Musterung der lokalen Kühe hat und die Natursteinmauer aus örtlichem Tuff gefertigt ist, dann trägt das Chalet die Ortsidentität weiter. »Die Architektur muss ihre Hausaufgaben machen, damit ein Chalet nicht überregional landet wie ein UFO«, sagt Schramm. Im Idealfall sieht man dem Haus gleich an, in welcher Ecke der Alpen man sich gerade befindet.
Stefan Schramm
Architekt und Interior-Designer
Stefan Schramm
Architekt und Interior-Designer
Modern in Tradition
Das gilt nicht nur für Winterlandschaften: Immer mehr Chalets werden ganzjährig genutzt. Durch Aktivitäten wie Mountainbiken und Golfen werden traditionelle Wintersportorte wie Kitzbühel zunehmend zu Ganzjahresdestinationen. So ändern sich auch die Ansprüche an die Architektur: »Ein bisschen weg vom traditionellen Holzstil, mehr hin zu einer moderneren Interpretation«, sagt Landau. »Chalets sind so vielfältig wie die Gesellschaft.« So ergeben sich spannende Symbiosen aus Alt und Neu, aus Tradition und Moderne und sie erfüllen damit die unterschiedlichsten Ansprüche. Denn es geht nicht nur um die viel zitierte Gemütlichkeit, sondern auch um neuere gesellschaftliche Phänomene wie Urlaub und Freizeit, analysiert Professor Lootsma: »Und dann ist es plötzlich auf vielen Ebenen ein hochmodernes Haus, auch wenn das Design ursprünglich ist.«