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Ganz hat es mit der Unabhängigkeit nicht geklappt, aber ein freier Geist weht dennoch durch Schottland. Dieser belebt auch die Kultur, und das macht Edinburgh zu einem kühlen Hotspot für zeitgenössische und junge Kunst. Aye!

15.03.2023 - By Maik Novotny

Über zwei Millionen Besucher:innen tummeln sich jeden Sommer in den Gassen zwischen den dunklen Mauern. Freche Comedians, bunte Schauspieltruppen, provokante Gegenwart, in einer Stadt, die mit ihren Burgzinnen an Harry Potters vieltürmiges Hogwarts erinnert. Das Edinburgh Festival Fringe, eines der größten Kulturfestivals der Welt, findet seit 1947 jedes Jahr im Sommer statt.

Doch beim Festival Fringe dominiert das Schauspiel, während die bildende Kunst in Edinburgh lange in der Zuschauerrolle blieb. Zwar war man hier immer etwas nobler als der ruppige Rivale Glasgow, doch jener hat die Glasgow School of Art, eine der besten Kunstuniversitäten Europas. Jetzt hat die schottische Hauptstadt nachgezogen: Das Edinburgh Art Festival ist gerade 20 Jahre alt, hat sich das Fringe aber zum Vorbild genommen, und das mit Erfolg. Aber die zeitgenössische Kunst lebt hier nicht nur während ausgesuchter Events, sondern rund ums Jahr. Zwar war die Museumslandschaft hier schon immer sehenswert, doch vor allem mit dem Schwerpunkt auf Weltreisen, Erfindungen, Technik und altehrwürdigen Porträts. Heute vibriert eine vitale, junge Galerienszene auf, unter und zwischen den steilen Hügeln von Edinburgh. Höchste Zeit für einen Besuch am Firth of Forth!

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Freitag

Wir starten ganz oben, zumindest was die Hierarchie betrifft. Gleich mehrere schottische Nationalgalerien finden sich in Edinburgh und eine Royal Scottish Academy noch dazu. Auch die Scottish National Gallery of Modern Art hat inzwischen schon mehrere Standorte, ganz salopp Modern One und Modern Two genannt, beide unmittelbar gegenüber voneinander inmitten von Skulpturenparks westlich der Altstadt gelegen. Schotten sind bekanntlich wetterfest, hier lässt sich also auch bei Sturm-regen in dünnem Gewand vor Henry Moore stehen. Wem das zu ungemütlich ist, der darf sich im trockenen Inneren die Werke inter­nationaler Künstler:innen und exzellenter schottischer Maler:innen zu Gemüte führen, zudem bieten Modern One und Two beide ­ausgezeichnete Cafés.

AUGE DES STURM

Von hier geht es sozusagen ins stille Auge des Sturms, in die Altstadt, an deren steilem Hang seit 1977 die Stills Gallery angesiedelt ist, der Fixpunkt für alle, die an Fotografie interessiert sind. Hinter dem Schaufenster befindet sich die eigentliche Galerie, deren wechselnde Ausstellungen auch zeitgenössische Kunst mit filmischen Elementen inkludieren; im Keller darf selbst in der Dunkelkammer gewerkt werden.

Auf unserer künstlerischen Stadterkundung peilen wir nun das Observatorium auf dem Calton Hill an. Unter dessen Kuppel ist seit 2018 die Collective Gallery zu Hause, die sich seit 1984 einer inklusiven und diversen Kunstvermittlung verschrieben hat. So ist hier ein freundlicher Tempel entstanden, der ein groß­artiges Rundumpanorama von Stadt und Meer bietet.

Samstag

Auch heute verbinden wir Stadterkundung und Kunstgenuss und wählen eine Route von Nord nach Süd. Wir starten an der Queen Street, im atemberaubenden neogotischen Atrium der Scottish National Portrait Gallery. Diese wurde 1889 eröffnet und sollte den Stolz auf ruhmreiche Nationalhelden und herausragende Persönlichkeiten verkörpern, was ihr auch ­gelang. Diese Tradition führt das Museum bis heute fort, auch noch lebende Persönlichkeiten dürfen sich in die Rahmen reihen. Nebenbei beherbergt das Haus auch die nationale Fotografiesammlung, deren Objekte bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen.

Direkt neben dem Bahnhof Waverley am Fuße von Edinburgh Castle wurde 1974 die Fruitmarket Gallery eröffnet – in den Räumen einer alten Markthalle, wie der Name schon verrät. Gegründet und kuratiert vom Scottish Arts Council, war Fruitmarket eines der ersten Fenster in die aktuelle Kunstproduktion der Welt, mit oft ungewöhnlichen Kombinationen, etwa John Cage und Jean-Michel Basquiat. 2021 wurde die Galerie renoviert und erweitert, bei gleichbleibend hohem Niveau im Programm.

COOLER NEUZUGANG

Auf den coolen Neuzugang unter Edinburghs Art Spaces treffen wir dann auf der anderen Seite der Altstadt. Summerhall, nahe der ­Universität gelegen, ist ein interdisziplinär summender Bienenkorb, in dem sich Kunst, Theater, Performance und Musik vermischen, politisch und provokant, all das in den laby­rinthartigen Räumen einer ehemaligen Veterinärschule, in denen noch der eine oder andere Seziertisch steht. Und zum Schluss der Tagestour gönnen wir uns ein Pale Ale aus der eigenen Summerhall-Brauerei.

Sonntag

Nicht nur die schottische Nation stellt in ihrer Hauptstadt ihre Sammlungen aus, auch die Stadt selbst will nicht hintanstehen. Das mit bürokratischer Sachlichkeit benannte City Art Centre ist so etwas wie das lokale Centre Pompidou im Klein­format. Das Programm ist mal elitär, mal populistisch: Shows über »Star Wars« kann man hier ebenso entdecken wie seriöse zeitgenössische Werke von heimischen Kunstschaffenden, sowohl aus der Sammlung als auch in Wechsel­ausstellungen.

LEHRE, FORSCHUNG, KUNST

Fehlt uns an kunstsinnigen öffentlichen Institutionen noch die Universität, und ja, auch diese hat ihre eigene Galerie. Passend zum Bildungshintergrund positioniert sich die Talbot Rice Gallery kritisch, politisch, antikolonial und feministisch. Die Querbeziehungen zu Lehre und Forschung der Universität und des Edinburgh College of Art sind vielfältig und fruchtbar, und seit 2018 mischen auch die fünf schottischen Talbot Rice Residents mit, die mit jährlichen Stipendien bedacht werden und sich hier frei entfalten dürfen.

Zum Abschluss des Wochenendes verlassen wir die Stadt ganz und atmen kernige schottische Landluft. Der Skulpturenpark Jupiter Artland westlich von Edinburgh wurde 2009 vom Sammlerehepaar Robert und Nicky Wilson gegründet und hat sich schnell mit hochklassigen Werken etabliert. Hier kann man inmitten saftig grüner Wiesen und mit Blick auf die Forth Bridge Bildhauerisches von Anish Kapoor oder Phyllida Barlow bewundern. Danach darf man je nach Präferenz entweder mit den Wanderschuhen Richtung Highlands ­aufbrechen oder sich zurück in der Stadt einen Whisky gönnen.

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 01/2023

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