© Ketsiree Wongwan

Ein Haus für Ferrero Rocher

Gold übt auf uns Menschen eine Faszination aus, der man sich kaum entziehen kann. Rechtzeitig zu Weihnachten fällt auf, dass der edle Farbton nun endgültig auch den Weg in die Architektur gefunden hat. In einem Pariser Hinterhof wurde auf diese Weise sogar ein sozialer Wohnbau veredelt.

20.12.2021 - By Wojciech Czaja

Messing vom Boden bis zur Decke, mit einer goldenen Brücke im ersten Stock und einem Plafond hoch oben, der mit seinem schimmernden, stark reflektierenden Goldlack so wunderbar glänzt wie eine Christbaumkugel oder wie eine Praline von Ferrero Rocher, die man auf der Stelle auspacken und auf einen Sitz verschlingen mag. »Goldene Architektur hat auf uns Menschen immer schon eine faszinierende Wirkung ausgeübt«, sagt Jacob van Rijs, Partner im Rotterdamer Architekturbüro MVRDV, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit jedem neuen Projekt eine visuelle Überraschung aufzutischen. »In diesem Fall möchten wir mit dem wohl stärksten und symbolkräftigsten Farbton, den die Farbskala zu bieten hat, auf das Erbe und auf die reiche Geschichte des italienischen Traditionshauses Bulgari hinweisen.« Der Bulgari-Flagship-Store in der ­Iconsiam-Shopping-Mall in Bangkok, nur wenige Schritte vom Chao Phraya entfernt, wurde vor wenigen Monaten eröffnet und ist Teil einer Serie, mit der nun einige Bulgari-Filialen in Südostasien von MVRDV archi­tektonisch neu gebrandet werden.

Bulgari Store, Bangkok

Die italienische Marke Bulgari blickt auf eine fast 140-jährige Geschichte zurück und verdient es durchaus, in Gold gehüllt zu werden. Im neuen Bulgari-Flagship-Store in der ICONSIAM-Shopping-Mall in Bangkok griffen die MVRDV Architects zu Messing und eloxiertem Aluminium und kopierten auf diese Weise die Besonderheit des Traditionshauses von Schmuckgröße auf einen recht imposanten Architekturmaßstab. Der Store ist Teil einer Serie, mit der nun einige Bulgari-Filialen von MVRDV architektonisch neu gebrandet werden.
bulgari.com, mvrdv.nl, iconsiam.com

© Ketsiree Wongwan

In Kuala Lumpur setzten die Holländer auf den Baustoff Marmor, in Shanghai eröffnet demnächst ein Store, der ganz im Zeichen von Jade steht, in Bangkok aber dreht sich alles rund um Glitzer und Glamour. »Wo, wenn nicht hier«, meint van Rijs, »in dieser Stadt voller prächtiger, goldener Tempel und Pagoden, sollten wir uns trauen, zu Gold zu greifen?« Die Kontur der Schaufenster mit ihren konkav eingedrückten Abrundungen in den Ecken ist ein Zitat der steingefassten Auslagen in der Via Condotti, dem berühmt-berüchtigten Stammhaus in Roms Innenstadt. In den einzelnen Fensteröffnungen findet man ausgestellte Schmuckstücke, Vorhänge mit edlen Faltenwürfen, die ein wenig an das Innenleben weich ausstaffierter Schmuckschatullen erinnern, sowie satte, edel ­gerahmte Farbflächen in Silber, Kupfer, ­Messing, Gold und Platin. Hinter der optischen, scheinbar unbezahlbaren Mimikry verbirgt sich nichts anderes als matt ­eloxiertes Aluminium. »Ich fände es übertrieben, die Farbe Gold ohne jeglichen Grund bei irgendeinem Bauwerk zu verwenden, nur weil es einem gefällt«, erklärt der Architekt. »Wo Gold ist, soll auch auf etwas Besonderes hingewiesen werden.« Auch bei anderen Projekten wie etwa dem Hard-Rock-Museum Ragnarock im dänischen Roskilde, dem Chroma-Casino im südkoreanischen Incheon oder den Sax Twin Towers in Rotterdam, die zwischen 24. und 28. Stockwerk von einer, jawohl, goldenen Air Bridge verbunden werden, setzte MVRDV bereits auf den unwiderstehlichen metallischen Aurum-Effekt. Während in der Architektur- und Kunst­geschichte Gold stets ein unverzichtbarer Bestandteil war, geriet die Farbe mit Ende der Secession und des Art déco in Verruf. Seit Einzug der Moderne wurde alles, was auf Schein verwies und vom Sein ablenkte, von Designern, Architekten und Auftraggebern zutiefst verpönt. Es musste erst die Postmoderne Einzug halten, ehe mit Memphis, Hans Hollein und (leider auch) dem Immobilienprotz-Tycoon Donald J. Trump Gold wieder salonfähig wurde.

Heute ist der goldene Farbton kaum noch aus der Architekturwelt wegzudenken. Ob Shops, Restaurants, Wohnbauten, Bürotürme oder sogar Schulgebäude in den Schweizer Alpen: Der edelste aller Farbtöne markiert nicht nur die Besonderheit innerhalb einer eintönigen Masse, sondern sorgt auch für spannende Spiegelungen und Farbreflexionen auf Plätzen, an Fassaden, im gesamten Stadtbild. Auf die absolute Spitze getrieben wird der Einsatz von Gold beim 2008 eröffneten ­Casinohotel »Grand Lisboa« in Macau, wo die Architekten Dennis Lau und Ng Chun Man den 260 Meter hohen Hotelturm in eine goldbedampfte und goldfolierte Glasfassade hüllten. Geschmacklosigkeit in Reinkultur, nichts für schwache Nerven. In weniger üppiger Pracht jedoch, wie etwa bei Norman Fosters RCC Headquarters in Jekaterinburg, beim kürzlich fertiggestellten Central Park Office Tower in Utrecht oder in einem Hinterhaus im 19. Arrondissement in Paris, wo sogar ein sozialer Wohnbau auratisch veredelt wurde, bekommt man durchaus wieder Appetit auf eine der beliebtesten und meistverkauften Pralinen der Welt. Immer goldrichtig.

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 08/2021

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