Eat, Pray, Love
Wer hip essen geht, will auch schön sitzen. In diesen neuen Restaurants speisen die Gäste in einem mehr als ansprechenden Ambiente. Falstaff LIVING hat bei internationalen Interieur-Designern nachgefragt, welches Geheimnis hinter gutem Design steckt und warum Gefühl eine und Corona keine Rolle spielt.
26.11.2021 - By Florentina Welley
Wer das »Ave Mario« in London betritt, fängt Feuer. Leuchtendes Rot lodert von Bänken, unterbrochen von schwarz-weißen Wänden. »Wir wollen unsere Gäste in einen lauen italienischen Frühsommertag versetzen. Beim Betreten soll das Gefühl entstehen, als würde man den Dom von Siena betreten«, erklärt das Designteam Studio Kiki das Konzept. Damit sollte auch dem Nationalgericht Pizza eine heilige Halle errichtet werden. Ein gelungenes Konzept: Der sechs Meter hohe Dining Room mit den kardinalroten Logen wirkt wie eine Hommage an den Vatikan.
DOLCE VITA
Ein Raum, in dem man sich sofort wohlfühlt und freudig eine »holy burrata« bestellen möchte, eine Spezialität des Hauses. Das Centerpiece ist eine gigantische Bar mit über 3.500 Flaschen, die hinter Spiegeln reflektieren. Flaschen sind der Signature-Look aller Bars der Big-Mamma-Gruppe, zu der auch das »Ave Mario« in Covent Garden gehört. Das scheinbare Chaos, Symbol italienischen Lifestyles, das durch die Tausenden halb vollen Flaschen entsteht, wird durch die strenge Anordnung der Regale geordnet. Diese Details zeigen, dass gutes Design konsequent einem Thema folgt. Bei »Ave Mario« war es »Dolce Vita«. Daraus ergab sich ein Farbkonzept, das Stimmung erzeugen soll. Denn das Auge isst mit. Und Rot macht Lust auf Essen.
Im neu eröffneten Wiener »Chez Bernard Restaurant et Bar« setzt man hingegen auf Grüntöne. Hier thront die Bar in einem lichtdurchfluteten Dining Room, überdacht von Hängepflanzen. »Die Bar ist das Zentrum«, sagt Architekt und Interior-Designer Arkan Zeytinoglu. »Wir haben für die Bar Metallteile schmieden lassen. Im Restaurant mischen sich Vintage-Möbel aus den 60er-Jahren mit Thonet-Sesseln«, erklärt Zeytinoglu den Stilmix, der sich aus der Historie des Hotels ergab. Die Farbe Grün steht für den Green Smoothie am Morgen, den Gin Tonic am Abend und für eine Speisekarte, die Gerichte mit frischer Zubereitung und Bioprodukten verspricht. »Interior kann nie losgelöst von Architektur gedacht werden. Raum und Funktion schaffen eine Atmosphäre, die erlebbar sein muss.«
EMOTIONAL DESIGN
Auf Wien setzt auch einer der begehrtesten Interieur-Designer der Welt. Etwa wenn solides Handwerk mitspielt. Dann bestellt Martin Brudnizki handgefertigte Messinglampen beim Wiener Traditionsunternehmen WOKA. »Wenn ich einen Ort gestalte, denke ich zuerst an die Gefühle, die er hervorruft, wenn man ihn betritt«, sagt der schwedische Designer. So lädt seine »Jungle Bar« im Londoner »Annabel’s« mit einem Mustermix auf Boden, Wänden und Möbeln zur Drink-Safari. »Eine Statement-Bar ist heute ein Must. Die schwierigste Aufgabe beim Planen bleibt, ein Theater mit Animation zu entwerfen. Die Leute gehen heute, trotz Corona, nach wie vor in ein tolles Lokal, um zu sehen und gesehen zu werden.« Deshalb plant er Plätze, an denen man Ruhe haben, und solche, wo man sich mitten in den Trubel werfen kann. »Gute Restaurants müssen an vielen Stellen anziehend wirken«, so Brudnizki, »Kontext und Kunden sind die wichtigsten Punkte beim Storytelling. Man muss sichergehen, dass das Interieur auf die Straße, die Nachbarschaft, die Stadt aus Sicht des Kunden Bezug nimmt.«
Martin Brudnizki
Interior-Designer, London, New York
Martin Brudnizki
Interior-Designer, London, New York
STORYTELLING
Um Storytelling geht es auch bei zwei etwas ungewöhnlicheren Gastro-Projekten in Österreich. Eines davon ist die Praterstraße 18 in Wien. Die Bauherren Heinz Tronigger und Hennes Weiss wünschten sich ein Lokal, das mit einem Morgenespresso startet und bis zum Abend zur Bar, Disco und Bühne wird. Geplant wurde die »Hybrid«-Bar von Arkan -Zeytinoglu Architects, gestaltet von den Designern Philipp Brandstätter und Andreas Pust. Thema für das Interieur war ein Brückenschlag zwischen 1970er-Disco, 1980er-Techno und aktuellem Club-Sound. Die Designer antworteten darauf mit verkehrsblauen Möbelstoffen, Leuchten, die Lichtdesigner Thomas Weidinger aus alten Wiener Straßenlaternen baute, und einer Signature-Bar aus Betonmittelleitplanken. »Sie war die größte Herausforderung für uns. 14 unterschiedliche Firmen haben allein an der Bar mitgewirkt, die 14 Tonnen wiegt«, so Brandstätter. »Wir haben viel Material getestet, in Research investiert.« So gibt es pink eingefärbte Spiegel, grobporige Wände aus geschäumtem Aluminium oder eine Lichtinstallation aus 1.800 Acrylglasplättchen. Kunst von Martin Grandits bis Brigitte Kowanz dient als zusätzliches Kommunikationsmittel.
Philipp Brandstätter
Architekt
Philipp Brandstätter
Architekt
»An jeder Ecke gibt es etwas zu entdecken.« Das zweite ungewöhnliche Interior-Projekt wurde soeben mit dem Dezeen Award 2021 ausgezeichnet. Die Weinmanufaktur Clemens Strobl punktet durch minimalistische Eleganz. »Möglichst wenig Design« wünschten sich die Auftraggeber, worauf das Linzer Designstudio und Innenarchitekturbüro destilat mit einer reduzierten Farb- und Formensprache und puristischem Material reagierte. Nebelfarbener Estrich, weißes Heraklith bestimmen die Farbwelt. Auch Nachhaltigkeit spielte mit. »Wir haben darauf geachtet, mit nachhaltigeren Materialien zu arbeiten, doch wir dürfen uns trotzdem nichts vormachen. Greenwashing ist die führende Marketingstrategie, damit wollen wir uns nicht schmücken«, sagt Henning Weimer. Die größten Herausforderungen sah destilat bei der Dimension. »Jährlich werden Tausende Liter Wein produziert, der braucht viel Platz, um verarbeitet zu werden.«