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Die Republik Südkorea ist bekanntermaßen eine (Pop-)Kultursupermacht. Aber auch die verschiedenen Designer des »Tigerstaates« erhalten immer mehr Aufmerksamkeit und heimsen internationale Preise ein. Daher die Frage: Südkoreanisches Design – was ist das?

24.02.2022 - By Manfred Gram

Man kann sagen, wie es ist. Südkorea avancierte in den letzten Jahren endgültig zu einer popkulturellen Weltmacht. Die Kulturindustrie des ostasiatischen Staates mit seinen fast 52 Millionen Einwohnern läuft auf Hoch­touren und produziert in einer top vernetzten Welt Erfolg um Erfolg.

Ein (sehr) kleiner Auszug: Serien wie »Squid Game« sind Streaming-Hits, Filmproduktionen wie »Parasite« sorgen für Furore, und auch im Musikgeschäft läuft’s nicht schlecht. Durchgestylte, gedrillte Reißbrett-Bands wie die siebenköpfige Boygroup BTS treffen plattformübergreifend Geschmacksnerven ihres Ziel­publikums und sorgen für Milliarden von Klicks und Millionen von Umsätzen. Zudem setzt das Land auch in Mode, Kosmetik und Kulinarik Trends, die global apportiert werden. Die Welle, mit der südkoreanischer Lifestyle gerade die Welt begeistert, hat übrigens auch einen Namen: »Hallyu« oder – auf gut Englisch – »K-Wave«. Eine Welle, die auch ­Interior- und Industrial-Design-Ideen anspült.

Auf der Suche

Hier lohnt sich ein genauerer Blick. Denn das Land hatte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen rasanten Industrialisierungsprozess durchlaufen, bei dem allerdings kaum Zeit blieb, eine Designidentität zu entwickeln, die auf das reiche kulturelle Erbe des Landes aufbaut.

Das mag merkwürdig anmuten, schließlich zählt Korea zu den ältesten Kulturnationen der Welt, aber man hat bei der Modernisierung des Landes keine Rücksicht auf die eigene ­kulturelle DNA genommen. Genau diese ­Versäumnisse machen Südkorea aber aktuell zu einem Kreativhochofen und die aktuelle ­Designergeneration, alle kaum älter als 40, zu gefragten Gestaltern, die für Hermès und ­Iittala ebenso Aufträge übernehmen wie für die südkoreanischen Multis Samsung, Hyundai oder LG. Die neue Generation an Designerinnen und Designern switcht zudem sehr gekonnt zwischen Interior- und Produktdesign hin und her. Wie Jiyoun Kim. Der 1984 in Soul geborene Designer ist mit internationalen ­Preisen gut dekoriert. Unter anderem erhielt er etwa für seine Handys iF und Red Dot Awards. In seinem Studio entwirft er gerne minimalistisches Interior, vor allem Sitzmöglichkeiten, und sehr erfolgreich formvollendete, bunte Artikel für die Beauty-Branche. Bürsten, ­Hightechgeräte zur Hautpflege, Zahnbürsten oder Lockenstäbe für die perfekte Welle. ­Zielpublikum ist vor allem die Generation Z, die auf hippe, schöne Oberflächen steht. ­Abgesehen davon sieht man aber die hohe Affinität von südkoreanischem Produktdesign zu Technologie.

K-Design-Prinzipien

Will man gestalterische Grundprinzipien im K-Design abseits von Consumer-Elektronik aufspüren, bemerkt man recht schnell, dass sich vieles in Bodennähe abspielt. Vor allem im Interiorbereich spiegelt sich die bodennahe Sitz- und Schlafkultur des Landes wider.Tische, Sofas, Sessel, Betten und Regale sind eher niedrig. An der Qualität der verwendeten Materialien wird dabei nicht gespart. Hochwertige Naturmaterialien sind Prämisse, und bei der Umsetzung erinnert man sich an ­tradierte Handwerkskünste. Der Anspruch dabei: Dinge müssen schön und nützlich ein.

Gut zu sehen etwa in der Konzeptstudie »Teacup« vom multi- und transdisziplinären Designstudio acasso. Die auf das Wesentliche reduzierte Keramiktasse, mattiert mit rauer Textur, hat am Henkel eine subtile Einkerbung für das Bändchen des Teebeutels. Kein großer Deal, aber eine charmante Idee.

Wobei gute Ideen in Südkorea auch bei ­Materialexperimenten entstehen. So wie die Hocker, Stühle, Sofas oder Lampen von Seungjin Yang, die er aus lackierten Luftballons fertigt und die problemlos als Pop-Art-Möbelstücke durchgehen, die quietschfidel Fragilitätsbegriffe hinterfragen.

Das Spiel mit dem Brüchigen und dessen Inszenierung kommt einem in der süd­koreanischen Kultur übrigens öfters unter. Auch weil Gegensätze im Land präsent und sichtbar sind. Mit Nordkorea hat man ein Bruderland, mit dem man sich Sprache und Geschichte teilt, ideologisch allerdings nicht so viel, und der schnelle industrielle Aufstieg kennt unzählige Abgehängte. Schwierige ­Themen, die Kreative aber verarbeiten. Wie Chiho Cheon, der, nachdem er gesehen hatte, wie Obdachlose am Bahnhof in Seoul unter Kartons Schutz suchten, schließlich über die Materialien Pappe und Beton als Baustoff für Häuser intensiver nachdachte. Daraus entstand eine neunteilige Kleinmöbelserie, die die unterschiedlichen Lebensrealitäten im Land thematisiert. Design, bei dem Formen nicht nur Funktionen folgen, sondern auch Aussage und Botschaft transportiert werden – wir meinen: durchaus eine Welle zum ­Mitschwimmen!

Dualität

Chiho Cheon kreierte für die Criteria Collection eine Möbelserie, die Zement und Karton kombiniert.

Figurativ

Skulpturale Spielerei von Designstar Jiyoun Kim. Die Metallteile des Männchens sind austauschbar.

Teezeit

Feines Tässchen, das gewitzt die Teebeutelschnur ins Design integriert.

99 Luftballons

Seungjin Yang macht aus Luftballons Lampen, Sofas, Hocker und Sessel.

Wasserdicht

Das angesagte Studio Bebop entwirft gerne hippe Alltagsgegenstände wie diese Trinkflasche für das Label Kiyo, die Wasser mittels UV-Licht aufbereitet. 

Putzig

Minkwan und Hongseok Seo sind die Gründer des Designstudios S2Victor. Für den Putzroboter »Everybot« gab’s 2021 einen Red Dot Award.

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Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 01/2022

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