© Wojciech Czaja

Biennale Venedig: Wie werden wir in Zukunft leben?

Die kürzlich eröffnete Architektur-Biennale in Venedig flüchtet in digitale und dystopische Bilder, die ziemlich enttäuschend und verstörend sind. Umso erfreulicher sind die Trends und hoffnungsvollen Visionen, die man aus der Lagunenstadt mitnehmen kann: Kreislaufdenken und kollektive Wohnmodelle.

26.05.2021 - By Wojciech Czaja

Es plätschert in Dänemark

Es tropft und fließt und plätschert. Der dänische Pavillon in den venezianischen Giardini im Osten der Lagunenstadt steht komplett unter Wasser. Doch was während der Acqua Alta unwillkommener Kollateralschaden ist, entpuppt sich unter der dänischen Flagge als pure Absicht. Kuratorin Marianne Krogh hat das Gebäude mit wasserdichter Folie verkleidet und in den letzten Monaten den gesamten Niederschlag, der vom Himmel auf das Haus herabprasselte, in Containern gesammelt, um damit die Innenräume zu fluten. Zur Ablenkung gibt’s eine Schale Verbena-Tee.

»Wir reden in der Architektur seit Jahren schon von Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung«, sagt die ausgebildete Architektin und Kunsthistorikerin, »doch wir sind uns dessen überhaupt nicht bewusst, was genau das heißen soll und wie wir diese Qualität im Alltag zur Anwendung bringen sollen. Der dänische Beitrag soll das Kreislaufsystem, das in der Architektur unbedingt praktizierte Normalität werden muss, und zwar so schnell wie möglich, den Besucherinnen und Besuchern sinnlich vor Augen führen.«

Mehrere Tonnen Wasser haben sich zwischen Jänner und Mai über dem Pavillon ergossen, wurden chemisch und biologisch gefiltert und in temporären Zisternen gesammelt. Nun wird es über handelsübliche Kunststoffrohre durch das Ausstellungsgebäude gepumpt und formiert darin Seen, Bäche und sogar kleine Wasserfälle auf dem Weg von einem Raum zum anderen. Ein Teil des Wassers wird dazu verwendet, die eigens angelegten Kräuterbeete automatisch zu bewässern. Schläuche führen durch den Raum, der Duft von Salbei und Lavendel liegt in der Luft.

»Wir Menschen haben heute ein ziemlich distanziertes Verhältnis zu Umwelt und Natur und wir sind uns der Tragweite unseres architektonischen und städtebaulichen Handelns nicht bewusst«, sagt Krogh. »In gewisser Weise ist dieser Pavillon nichts Besonderes, und das will er auch gar nicht sein. Er ist einfach nur eine Visualisierung dessen, was längst Selbstverständlichkeit sein sollte. Und weil wir dort noch nicht sind, gibt es als mentale Starthilfe ein sinnliches Erlebnis. Noch eine Tasse Tee?«

Tatsächlich ist der dänische Beitrag auf der diesjährigen Architektur-Biennale in Venedig, die coronabedingt vom 2020 auf 2021 verschoben werden musste, eines der wenigen Projekte, die positiv in Erinnerung bleiben. Irgendwie banal, keine Frage, aber dafür mit einem Erfrischungs- und Abkühlungsmoment behaftet, der den überhitzten, völlig verkopften Architekten gut tun würde.

Nordische Länder geben Hoffnung

»How will we live together?« So lautete eigentlich das ziemlich klare Motto des diesjährigen Biennale-Kurators, Hashim Sarkis, Dekan am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Doch anstatt Antworten auf diese einfache, aber wichtige Frage zu liefern, übertrumpfen sich die Architekturschaffenden in Venedig heuer mit Aliens, Prothesen, QR-Codes zum Scannen, kreischenden Sound-Installationen und in Plastik eingeschweißten Algen und Gräsern. Und so verkommt die 17. Architektur-Biennale zu einer digitalen, virtuellen, zerpixelten Weltreise, die sich nicht selten in dystopischen Weltuntergangsszenarien erschöpft. Will man das wirklich sehen?

Umso erfreulicher sind die Trends und hoffnungsvollen Visionen, die man aus der Lagunenstadt mitnehmen kann. Das norwegische Duo Helen & Hard hat im Pavillon der nordischen Länder – ja genau, der mit den Baumstämmen im Raum – ihr Cohousing-Projekt »Vindmøllebakken« in Stavanger nachgestellt und in einer sehr schönen Rauminstallation die Vorzüge kollektiven Wohnens inszeniert. Sehr sympathisch.

Im belgischen Pavillon hat Kurator Dirk Somars dargestellt, welche hohe Architekturqualität in Flandern an der Tagesordnung steht, seitdem das Baugeschehen in den meisten Großstädten von sogenannten »Stadtbouwmeesters« kontrolliert und begleitet wird.

Polen: »Trouble in Paradise«

Und im polnischen Pavillon nimmt der Beitrag »Trouble in Paradise« jene 93 Prozent seiner Landesfläche unter die Lupe, die nicht Stadt sind, und geht der Frage nach, wo der soziale Gemeinschaftssinn geblieben ist. »Dörfer und rurale Gebiete gibt es überall in Europa«, sagt Co-Kurator Bartłomiej Poteralski, »aber in den postkommunistischen CEE- und SEE-Ländern werden die Nichtstädte noch mehr vernachlässigt als im restlichen Europa. Die Menschen leben in Isolation, es fehlen der kollektive Gedanke und das öffentliche Leben.« Unterstrichen wird das individuelle Verkriechen in die eigenen vier Wände in verstörend schönen Bildern – polnische Landesidylle auf häuslichen Vorhängen.

Da kriegt man wieder so richtig Lust auf Stadt. Und auf gemeinschaftliches Wohnen mit neuen, innovativen Wohn- und Lebensmodellen. How will we live together? Genau das ist eines der Learnings dieser Architektur-Biennale.

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