© Studio Gang

Bausteine aus dem High-Tech-Labor

Ob neue Baustoffe, innovative Fertigungsmethoden oder GPS-Tracking von einzelnen Bauteilen: Diese Pionierprojekte beweisen, dass Hightech aus dem Bauwesen längst nicht mehr wegzudenken ist. Und ja, wenn es sein muss, wird sogar Mutter Natur hochtechnisch manipuliert.

03.10.2021 - By

Die Entwicklung der konkreten Form des Gebäudes war eine Mischung aus Hightech und Lowtech. »Einerseits haben wir die Gebäudemorphologie in 3D-Computerprogrammen generiert und in unzähligen Iterationen weiterentwickelt«, sagt Jeanne Gang, die das Chicagoer Architekturbüro Studio Gang leitet und die zu den derzeit innovativsten Architektinnen der USA zählt, »andererseits haben wir in den kalten Wintermonaten einen Eisblock vor die Haustüre gestellt und so lange mit heißem Wasser gespritzt, bis eine Form entstanden ist, die uns letztendlich überzeugt hat. Hightech-Methoden haben immer auch mit ganz einfachen, archaischen Werkzeugen zu tun.«

Tao Zhu Yin Yuan

Der belgische Architekt Vincent Callebaut ist ein Forscher und Erfinder – sein Ziel: Die Entwicklung einer neuen klimaresilienten Architektur. Der Tao-Zhu-Yin-Yuan-Tower in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh ist mit 22 Stockwerken das bislang größte realisierte Bauwerk aus seiner Feder. Die außergewöhnliche Form verdankt der Bau einem ausgeklügelten statischen Konstruktionsprinzip, das mithilfe eines Algorithmus entwickelt wurde. An der Fassade wurden 23.000 Büsche und Bäume gepflanzt. 

© Studio Gang

Das solcherart entwickelte Gebäude wird aktuell auf der Upper West Side in New York realisiert. Das »Gilder Center« – so der offizielle Name des amorphen Betongebildes – ist der letzte, noch fehlende Lückenschluss im American Museum of Natural History (AMNH) und soll die historischen Backsteinbauten auf der Columbus Avenue miteinander verbinden. Der 380 Millionen  US-Dollar teure Bau wird in Zukunft nicht nur einen neuen Eingang mit Kassenhalle und Lobby beherbergen, sondern auch Theater, Bibliothek, Bildungszentrum, ein Schmetterlingsvivarium und zahlreiche neue Ausstellungsräume. Für die Statik zeichnet das renommierte, weltweit agierende Büro Arup verantwortlich. 

»Die meisten Leute haben gesagt, es sei unmöglich, ein Gebäude mit einer ikonischen, monumentalen Leere zu bauen«, sagt Gang. »Doch es ist uns gelungen. Das Resultat ist eine fugenlose, organische Struktur, die wie aus einem Stück Stein gehauen scheint.« Möglich gemacht wurde dies mit digitalen Fertigungsmethoden: Die Bauweise orientiert sich an Großgussformen, die üblicherweise im Kraftwerks- und Turbinenbau zum Einsatz kommen, wenn millimetergenaue Passgenauigkeit vonnöten ist. Zum Abschluss sollen die einzelnen Fertigteile mit einer homogenen Spritzbeton-Schicht ummantelt werden.

Jade Eco Park

Die taiwanesische Großstadt Taichung zeichnet sich durch ein heißes, subtropisches Klima aus. Über künstliche Nebelanlagen, Wasserdüsen und eine unterirdisch installierte Kühlanlage – eine Art umgekehrte Fußbodenheizung für Mutter Natur – sorgt der Pariser Klima-Architekt Philippe Rahm dafür, dass die urbane Parkluft technisch gekühlt wird. Das Bataillon an Maschinen
umfasst außerdem Wasserzerstäuber, Verdunstungsbecken und Luftfilteranlagen. Irgendwie spooky, oder?

© Philippe Rahm Architects

The Cube

Das deutsche Architekturbüro Henn hat gemeinsam mit Forschern der TU Dresden einen neuen Carbon-Beton entwickelt. Statt mit einer herkömmlichen Stahlbe­wehrung wird dieser mit Kohlefasern verstärkt. Dank der ultradünnen Fäden aus Kohlenstoffkristallen wird es möglich sein, bei gleicher Festigkeit und Belastbarkeit aufregende Formen zu gießen und zugleich weniger Material zu verbrauchen. Der sogenannte »Cube« auf dem Universitätscampus der TU Dresden ist als Showcase-Projekt gedacht. 

© Henn Architects

Dass sich die globale Baupraxis in den letzten Jahren massiv verändert hat und bisweilen um neue Bau- und Fertigungsmethoden ergänzt wurde, beweist der Blick auf ein paar wahnwitzige Pionierprojekte. Das Spektrum reicht von 3D-Druck über neue Konstruktionsmethoden bis hin zu hoch tragfesten Materialentwicklungen im Carbonfaser-Bereich. Im Jade Eco Park in Taichung, Taiwan, wurde sogar Mutter Natur mittels Hightech weiterentwickelt: Um den 67 Hektar großen Park am Rande der Drei-Millionen-Einwohner-Metropole zusätzlich zu kühlen, hat der Pariser Architekt und Klimaplaner Philippe Rahm eine Art Open-Air-Klimaanlage errichtet, die auf den noch baumlosen Wiesen kühle Sprühnebelwolken emittiert. 

Ein auf den ersten Blick unscheinbares Hightech-Projekt verbirgt sich in Wien. Auf dem Gelände der Universität für Bodenkultur errichteten die SWAP Architekten in Zusammenarbeit mit den Holzbauunternehmen KLH und Stora Enso ein Instituts- und Bibliotheksgebäude aus Holz. Die hochtechnologischen Werte liegen im Inneren verborgen: Schon im Werk wurde jedes einzelne Bauteil mit einem Sensor ausgestattet, das in der gesamten Bauphase wertvolle Informationen zu Standort, Temperatur und Feuchtigkeitswert übermittelt hat. In weiterer Folge sollen die Daten für das Facility-Management herangezogen werden. Das Projekt wurde mit dem Zertifikat Gebäudestandard klimaaktiv Gold aus­gezeichnet.

Ilse-Wallentin-Haus

Das neue Instituts- und Bibliotheksgebäude an der Universität für Bodenkultur ist ein Holz-Hybrid-Bau und besteht zum überwiegenden Teil aus Holzmodulen. Große Kassettendecken in den Innenräumen prägen den Bau und verleihen ihm eine optische und akustische Behaglichkeit. Das komplette Projekt wurde als BIM-Modell geplant. Jedes einzelne vorgefertigte Element wurde im Werk mit einem Sensor ausgestattet. Dieses lieferte während des Transports und im gesamten Bauprozess wichtige GPS- und Bautechnikdaten.

© Voggeneder

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 06/2021

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